# taz.de -- Hausbesetzungen in Berlin: Da tat sich tatsächlich wat | |
> Eine Schnitzeljagd, um die Polizei abzuhängen, zwei Hausbesetzungen, | |
> Aktionen gegen Airbnb: Es war viel los bei den „Tu mal wat“-Aktionstagen. | |
Bild: Euphorische Stimmung bei den Besetzern | |
BERLIN taz | Die Schnitzeljagd beginnt am Samstagmorgen 12 Uhr im | |
Bilgisaray in der Oranienstraße. In dem nichtkommerziellen Stadtteilladen | |
gibt es zu Kaffee und Apfelstreuselkuchen Informationen über den Weg zur | |
angekündigten Hausbesetzung. Anders als bisher hat das Bündnis #besetzen | |
seine Aktion öffentlich angekündigt. Eine massenhafte Hausbesetzung soll | |
der Höhepunkt der [1][„Tu mal wat“-Tage] der linken Szene sein, die an | |
diesem Wochenende den Kampf für räumungsbedrohte Projekte wie die Potse | |
oder die Meuterei sowie für neue Freiräume forciert. | |
Während die Polizei die Oranienstraße auf und ab fährt, verlassen | |
Kleingruppen möglichst unauffällig das Bilgisaray in Richtung | |
Alexanderplatz. Dort soll es neue Informationen über den geheim gehaltenen | |
Ort der Besetzung geben. Auch vom Nettelbeckplatz und der Großbeerenstraße | |
haben sich potenzielle Besetzer auf den Weg zu weiteren Schleusungspunkten | |
gemacht. Während die Aktivisten am Alex auf weitere Auskünfte warten, macht | |
schon die Nachricht einer ersten Hausbesetzung des Tages die Runde. | |
Eine Personengruppe ist in die alte Schultheiss-Brauerei in der Landsberger | |
Allee 54 eingedrungen. Einige hangeln sich an gespannten Seilen, andere | |
stehen auf dem Dach. An der Backsteinfassade haben sie Transparente | |
angebracht, etwa für das queerfeministische Hausprojekt Liebigstraße 34. | |
Die Besetzergruppe nennt sich Villa 54 und ist unabhängig von #besetzen | |
aktiv. Die Polizei ist schnell vor Ort, auch einige Unterstützer sammeln | |
sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Amore, Anarchia, Autonomia�… | |
rufen sie herüber. | |
„Die müsste man alle verhaften“, schimpft dagegen eine ältere Anwohnerin, | |
die sich vor dem Regen schützend in einen Hauseingang gedrängt hat. Sie hat | |
die Szene eine Weile beobachtet. „Ich selbst lebe hier seit 1967 und habe | |
einige Jahre in der Brauerei gearbeitet“, sagt sie. Als sie erfährt, dass | |
die Besetzer auch für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, wird sie | |
verständnisvoll: „Auch mein Haus wurde von Akelius gekauft. Seitdem habe | |
ich immer Stress.“ | |
## Schnitzeljagd durch die Stadt | |
Am Alex kriegen die Aktivisten einen Zettel in die Hand gedrückt, der sie | |
nach Lichtenberg in einen kleinen Park nördlich der Frankfurter Allee | |
lotst. Ab 14 Uhr sammeln sich hier immer mehr Linke. Wer besetzen oder | |
blockieren will, soll in Kleingruppen zum Zielort geführt werden. Eine | |
Stunde später ist es so weit. Schwarz gekleidete Gruppen schleichen durch | |
das ehemalige Stasi-Gelände. Die ersten Besetzer haben da schon durch den | |
Hinterhof den leer stehenden Häuserblock in der Frankfurter Allee 187 | |
betreten. Immer neue kommen hinzu und helfen dabei, die Zugänge zum Hof und | |
ins Haus zu verbarrikadieren. | |
Gegen halb vier werden Transparente aus den Fenstern entrollt. Die | |
Strategie ist aufgegangen. 200 bis 300 Aktivisten haben es von der Polizei | |
unbemerkt ins Haus und zu den Blockaden der Eingänge geschafft. Vermummte | |
stehen auf einem Balkon und zünden Pyrotechnik, vor dem Haus wird ein | |
Pavillon mit Informationsmaterialien der Besetzer aufgebaut. Die Stimmung | |
ist ausgelassen. | |
Im Mai vergangenen Jahres [2][hatte #besetzen erstmals ein Haus okkupiert]. | |
Auf diesen „Frühling der Besetzungen“ folgten weitere Aktionen im Herbst. | |
Mit Ausnahme einer Wohnung in der Großbeerenstraße wurden alle Besetzungen | |
am selben Tag geräumt. So auch der bislang letzte Versuch im Frühjahr in | |
einem leer stehenden Ladengeschäft in der Wrangelstraße. Jetzt soll die | |
vierte #besetzen-Jahreszeit den Erfolg bringen. Die Aktivisten wollen ein | |
Haus halten und die Berliner Linie überwinden, nach der die Polizei | |
Besetzungen binnen 24 Stunden räumt. | |
In der alten Brauerei beginnt die Polizei auf Antrag der privaten | |
Eigentümerfirma am frühen Abend mit der Räumung. Über einen Feuerwehrkran | |
verschaffen sich die Beamten Zugang zum Dach. Drei Besetzer, die sich an | |
der Hausfassade abgeseilt haben, werden gesichert; insgesamt zehn Personen | |
werden vorübergehend festgenommen. | |
## Plötzlich Verhandlungen | |
In der Frankfurter Allee vergehen derweil die Stunden mit Diskussionen | |
darüber, ob eine Kundgebung direkt vor dem Haus abgehalten werden darf. | |
Schließlich vertreibt die Polizei die Menschen vom Bürgersteig und umzäunt | |
das Gelände. Zur Räumung kommt es aber nicht. | |
Auf Twitter schreibt unterdessen Kultursenator Klaus Lederer (Linke), dass | |
das Haus an den Bund übertragen werden soll, der dort den „Campus der | |
Demokratie“ plant. Die Unterstützung dafür habe das Abgeordnetenhaus | |
beschlossen. Die Grünen-Politiker Daniel Wesener und Andreas Otto | |
widersprechen: Ein Verkauf sei damit nicht beschlossen. | |
Nach Anbruch der Dunkelheit stehen plötzlich der Geschäftsführer der | |
landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), Sven Lemiss, und | |
die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg an den Absperrgittern und | |
diskutieren mit Vertretern der Besetzer. | |
„Wenn das Haus weiter verfällt, ist das Resultat auch kein gutes“, sagt | |
Gennburg, die eine Räumung verhindern will und sich für eine | |
Zwischennutzung starkmachtLemiss verweist auf andere, legale Wege, über die | |
die Stadtgesellschaft Platz für ihre Projekte einfordern könne. Ein Aktivst | |
hält ihm entgegen: „Wir sind in Berlin. Viele gute Projekte sind aus | |
Besetzungen entstanden.“ Die Entscheidung, einen Räumungsantrag zu stellen, | |
will Lemiss aber nicht treffen. Schließlich bietet er „ernsthafte | |
Verhandlungen“ über eine Nutzung des Gebäudekomplexes an, wenn die Besetzer | |
bis Sonntag 15 Uhr das Haus freiwillig verlassen. | |
Doch dazu kommt es nicht. Weil auf Druck der Polizei weder der freie Zugang | |
zum Haus noch das Hineintragen von Schlafsäcken gestattet wird und weil die | |
Bedingung, das Haus vor den Verhandlungen verlassen zu müssen, auf | |
Ablehnung stößt, entscheiden sich die Besetzer, in der Nacht das Haus zu | |
verlassen. Immerhin: Sie bleiben straffrei. Womöglich wollen einige von | |
ihnen noch das Gespräch mit der BIM suchen. | |
## Widerstand gegen Airbnb | |
Was von den „Tu mal wat“-Tagen noch bleibt: Der Widerstand in der Stadt | |
gegen Ferienwohnungen und Konzerne wie Airbnb wächst. Am Freitag zog eine | |
Satire-Demo durch Friedrichshain entlang zahlreicher Häuser, in denen kaum | |
noch Mieter wohnen, sondern mit Ferienappartements und anderen Formen von | |
Kurzzeitvermietung Profit gemacht wird. Die vermeintlichen Airbnb-Sprecher | |
priesen ihr „Portfolio“ an, die mit Rollkoffern ausgestatteten Teilnehmer | |
skandierten: „Wir kaufen euch alle“. | |
Bei einem Kiezspaziergang in Kreuzberg wurde ebenfalls auf Zweckentfremdung | |
hingewiesen, etwa durch den Anbieter Wunderflats, der das Verbot der | |
Kurzzeitvermietung durch die Vermietung möblierter Wohnungen ab einer Dauer | |
von zwei Monaten umgeht. | |
Auf dem YouTube-Kanal der Aktionstage wurde zudem ein [3][Video | |
veröffentlicht], das Sabotageaktionen an und innerhalb von Ferienwohnungen | |
zeigt. Zu sehen ist, wie Schlüsselboxen und Türschlösser verklebt werden | |
und in einer Wohnung Chaos gestiftet wird. An der Wand hinterließen die | |
Eindringlinge die Parole: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ | |
29 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Besetzungen-in-Berlin-angekuendigt/!5615418&s=Erik+Peter/ | |
[2] /Aktivistinnen-besetzen-leeres-Haus/!5507245/ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=CJv2PTcDGrw | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Torben Becker | |
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