| # taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Klares Jein zum Brexit | |
| > In einer chaotischen Abstimmung setzt sich Jeremy Corbyn durch. Erst nach | |
| > den nächsten Wahlen soll Labour Stellung für oder gegen die EU beziehen. | |
| Bild: Hauptsache, rot: wedeln mit Plakaten in der Konferenzhalle | |
| Brighton taz | In der Mittagspause wurden vor dem Kongresszentrum in der | |
| südenglischen Seestadt Brighton noch rote Schilder verteilt, mit „Labour | |
| Can Stop [1][Brexit]“ in großen weißen Buchstaben. Zahlreiche Delegierte | |
| nahmen diese enthusiastisch entgegen, um am Nachmittag mit ihnen im | |
| Konferenzsaal der britischen Labour-Partei zu wedeln. | |
| Die tatsächliche „Stop Brexit“-Verkörperung, Dauerdemonstrant Steve Bray, | |
| der schon [2][vor einer Woche bei den Liberaldemokraten] in Bournemouth vor | |
| deren Konferenzzentrum stand, ließ derweil den ganzen Tag lang vor einem | |
| Infostand mit EU-Fahne Selfies mit sich machen, neben Leuten mit roten | |
| T-Shirts und der aktuellen linken Pro-EU-Parole „Reform, Remain, Revolt“. | |
| Dieser Montagnachmittag war entscheidend beim Jahresparteitag der größten | |
| britischen Oppositionspartei. Nicht etwa wegen der programmatischen | |
| Ankündigungen einer Viertagewoche, der Abschaffung der Armut und | |
| Reparationen für klimawandelgeschädigte Länder. Das Entscheidende war die | |
| Auswahl zwischen Composite 13 und Composite 14. Das waren keine chemischen | |
| Mixturen, sondern zwei gegensätzliche Anträge zur künftigen Brexitpolitik. | |
| Beide Anträge beinhalteten die zentrale Forderung nach einem zweiten | |
| Referendum, bei dem die Briten zwischen einem „glaubwürdigen Deal“ zum | |
| Brexit und dem EU-Verbleib (Remain) wählen sollen. Doch während Composite | |
| 13, mitgetragen von der Irland-Gruppe der Partei, eine eindeutige | |
| Stellungnahme zugunsten des EU-Verbleibs forderte, lässt Composite 14, nach | |
| dem Vorschlag von Parteiführer Jeremy Corbyn, offen, wie sich Labour bei | |
| einer Wahl zwischen einem von einer Corbyn-Regierung auszuhandelnden | |
| Brexit-Deal samt Zollunion und dem kompletten Verbleib in der EU | |
| positionieren soll. | |
| Das soll die Partei erst nach einem Wahlsieg entscheiden. Mit anderen | |
| Worten: Labour will in den nächsten Wahlkampf ziehen, ohne sich | |
| festzulegen, ob es für oder gegen den Brexit ist – das kommt erst später. | |
| ## Der Streit spaltet die Partei | |
| Die Kampagne „People’s Vote“, die für ein zweites EU-Referendum wirbt, h… | |
| das für fatal: Das werde Labour den Wahlsieg kosten, weil proeuropäische | |
| Wähler zu Grünen und Liberaldemokraten abwandern würden. Um Großbritannien | |
| zu verändern, darüber sind sich einig, müssten aber die nächsten Wahlen ein | |
| Erfolg für Labour werden. Die Frage des Brexits sei deshalb zentral. | |
| Dieser Streit spaltet die Partei. Labours Nummer zwei Tom Watson sagte am | |
| Sonntag, dass seiner Meinung nach Labour eine „Remain-Partei“ sei – und | |
| positionierte sich damit gegen seinen Chef Corbyn. Auch Gordon McKay von | |
| Unison, Großbritanniens größter Gewerkschaft, die unter anderem viele | |
| Angestellte im Gesundheitswesen vertritt, sprach sich für eine starke | |
| Remain-Position aus. Linke Gewerkschaften hingegen stellten sich hinter | |
| Corbyn. | |
| Die Delegierte Suzan King aus Glasgow behauptete, dass nur eine klare | |
| Remain-Haltung den Verlust von Rechten, Arbeit, Frieden und Chancen für | |
| Jüngere vermeide. Urte Macikere, eine jüngere Genossin aus Südlondon, | |
| stellte sich hinter Composite 13 mit dem Argument: „Brexit ist ein | |
| nationalistisches Unterfangen, das rechtsextremen Rassismus ansteigen ließ. | |
| Wir brauchen Corbyn, um die Freizügigkeit und Integration der europäischen | |
| Arbeiterklasse zu verteidigen und die imperialistische EU mit | |
| sozialistischen Reformen zu führen – nicht Sozialismus in einem Land, | |
| sonden internationalen Sozialismus.“ | |
| Auch Schattenaußenministerin Emily Thornberry und Schattenbrexitminister | |
| Keir Starmer stellten sich hinter die Remain-Festlegung. | |
| Am Ende nützte es nichts. Per Handzeichen wurde abgestimmt. | |
| Sitzungsleiterin Wendy Nichols stellte fest, Composite 13 sei | |
| durchgefallen. Oder vielleicht auch nicht. Denn erst tuschelte sie mit der | |
| neben ihr sitzenden Labour-Generalsekretärin der Partei Jenny Formby, die | |
| hörbar sagte: “Es ist verloren … es ist klar verloren. Sehr klar verloren.… | |
| Worauf Nichols verkündete: „Entschuldigt, ich dachte, es war in eine | |
| Richtung, aber Jenny dachte was anderes. Der Antrag hat verloren.“ | |
| Nach weiteren Beschwerden korrigierte sie sich: „Der Antrag ist | |
| angenommen.“ Dann wurde sie von Formby zurechtgewiesen und kehrte zur | |
| Feststellung zurück, Composite 13 habe verloren. Anhänger von Composite 14 | |
| begannen „Oooh Jeremy Corbyn“ zu singen. Ihr Antrag wurde per Handzeichen | |
| angenommen. | |
| Beim Verlassen der Kongresshalle am Montagabend lagen die Reaktionen der | |
| Delegierten zwischen Euphorie und Enttäuschung. Hoffmann Wattua aus | |
| Sheffield-Hallam, wo eventuell eine Nachwahl zum Unterhaus ansteht, gibt | |
| sich zufrieden. „Man muss die Parteiführung stärken und mit dieser Stellung | |
| kann ich Menschen in Sheffield, die für den Brexit stimmten, zur Wahl | |
| Labours überrreden.“ Deeba Sayed aus London, Vertreterin sozialistischer | |
| Anwälte, hätte eine klare Remain-Position gewollt und behauptet, sie könne | |
| vor der Presse nicht sagen, was sie denke. | |
| Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan hält die Abstimmung sogar für | |
| illegitim, da die Entscheidung nicht der Mehrheit aller Labourmitglieder | |
| entspreche, die den Brexit stoppen wollten. In Meinungsumfragen liegt der | |
| Prozentsatz der Labour-Mitglieder, die in einem Referendum für den | |
| EU-Verbleib votieren würden, bei 88 Prozent. | |
| ## Jahrzehntelang vergessene Arbeitergegenden | |
| Wer nach Hintergründen für die Nichtpositionierung Labours zum Brexit | |
| sucht, bekam sie auf Nebenveranstaltungen erklärt. Zum Beispiel von Chris | |
| Peace, Labourkandidatin für Nordost-Derbyshire, wo vor drei Jahren 62,8 | |
| Prozent für den Brexit stimmten. Sie erzählte von Arbeitergegenden, die | |
| seit Jahrzehnten vergessen wurden. | |
| John Trickett, Labour-Abgeordneter aus Hemsworth in Yorkshire, betonte: | |
| „Labour half ihnen einst mit Sozialwohnungen, dem nationalen | |
| Gesundheitssystem, Schulen für alle, aber als Labour diese Werte | |
| vernachlässigte, vernachlässigten sie auch diese Gemeinschaften. Im Lichte | |
| von Zerstörung durch Drogen, Suizid und industriellen Zerfall war die | |
| Floskel Take Back Control der Leave-Kampagne unwiderstehlich.“ | |
| In einer anderen Veranstaltung sprach Lisa Nandy aus Wigan ähnlich. „Als | |
| Cameron ein Referendum ausrief, traf ich mich mit über 100 | |
| Gewerkschaftsvertreter*Innen, um darüber zu sprechen. Ich war fast platt | |
| von ihrer starken Brexit-Position. Hier ist viele Jahre lang nicht | |
| miteinander gesprochen worden.“ | |
| Ihr Vorschlag: offene Gespräche und Kompromisse und keine Polarisierung. | |
| Das spricht für Corbyns Mittelweg und Composite 14. | |
| 24 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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