# taz.de -- Labour-Parteitag in Großbritannien: Die Linke bekämpft sich selbst | |
> Zum Jahresparteitag der britischen Labour-Opposition zerreißt der Brexit | |
> die Partei. Der linke Flügel ist auf dem Kriegspfad gegen EU-Befürworter. | |
Bild: Strand von Brighton: Brexit-Gegner stehen bei Labour momentan im Regen | |
Brighton taz | Durch ihren Parteitag wollte sich Labour als potentielle | |
britische Regierungspartei gegen Boris Johnson behaupten. Doch noch bevor | |
am Samstag in der südenglischen Seestadt Brighton alles begann, | |
entwickelten sich politische Sturmwellen, trotz des Sonnenscheins. | |
Jon Lansman, der Vorsitzende der Corbyn-treuen Basisbewegung Momentum, | |
stellte beim Parteivorstand den Antrag, dass der Posten des | |
stellvertretenden Parteiführers abgeschafft werden sollte. Grund: Der | |
aktuelle Inhaber dieses Postens, Tom Watson, hatte im März seine eigene | |
parteiinterne Gruppe Future Britain gegründet, die eine zentristische | |
pro-europäische Politik innerhalb Labours vertritt. | |
Watson verurteilte in der Vergangenheit auch stark den Umgang mit | |
Antisemitismusvorwürfen in der Partei und widersprach direkt Corbyns | |
Brexitpolitik, indem er sich dafür aussprach, Labour solle sich zum | |
Verbleib in der EU bekennen. | |
Zuvor hatte Corbyn verkündet, Labour werde zum Brexit gar keine Stellung | |
beziehen, sondern erstmal Wahlen gewinnen, danach einen eigenen Deal mit | |
der EU aushandeln und diesen dann im Juni nächsten Jahr dem Volk in einem | |
Referendum darbieten – in dem, so sagen andere Führungsmitglieder, Labour | |
dann gegen den eigenen Deal und für den EU-Verbleib kämpfen solle; Corbyn | |
will hingegen neutrl bleiben. | |
Watson bezeichnete den Momentum-Vorstoß als einen bewaffneten Nahangriff | |
auf ihn und die Pluralität innerhalb der Partei. „Dies widerspricht | |
vollkommen Labours Traditionen seit 100 Jahren“, sagte er und rief zu | |
Einigkeit innerhalb der Partei auf. | |
## Pro-EU? Abschaffen! | |
Am Ende wies nicht nur der Parteivorstand in einer Abstimmung den | |
Momentum-Vorschlag ab, sondern auch Corbyn selber: „Ich verstehe mich gut | |
mit Watson“, ließ der Parteichef am Samstag wissen, und kündigte an, dass | |
nun nur der Verantwortungsbereich seines Vizes überprüft werde. Corbyn gab | |
an, er hätte gerne zwei Stellvertreter*Innen statt einen. | |
Tom Watson ist nicht der Einzige, der sich bei Labour stark für den | |
Verbleib in der EU ausgesprochen hat und damit den Zorn des linken Flügels | |
auf sich zieht. Auch Emily Thornberry, die stellvertretende | |
Fraktionssprecherin, und Brexit-Schattenminister Keir Starmer hatten offen | |
sich für eine klare Remain-Position ausgesprochen. Sogar Corbyns | |
sozialistischer Schatten-Finanzminister John McDonnell stimmt bezüglich | |
Brexit nicht mit Corbyn überein. | |
Der Angriff auf Watson war bereits der zweite Versuch seitens Momentum, | |
Andersdenkende rauszuwerfen. Am Dienstag hatte Lansman es bereits | |
geschafft, den 40 Jahre alten Studentenflügel Labour Students per | |
Abstimmung des Parteivorstandes abzuschaffen. | |
Labour Students hatte sich ebenfalls stark für die EU ausgesprochen und, so | |
der Vorwurf, Beziehungen zu „zentristischen“ Labourpolitikern gepflegt. Der | |
Studendenverband habe auch seinen Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt, was die | |
Gruppe allerdings-dementiert. Ein Momentum Kontakt der Tageszeitung | |
Guardian bezeichnete die Auflösung als Sieg für Demokratie gegen die | |
„verottete Abteilung der eingebunkerten Clique.“ | |
All dies kommt noch bevor die Delegierten in Brighton selbst über | |
irgendetwas beraten dürfen, und nach einer weiteren für Labour desaströsen | |
Woche in den Meinungsumfragen. Boris Johnsons Konservative liegen derzeit | |
mit 32 bis 36 Prozent der Stimmen weiter stark in Führung, Labour ist in | |
die unteren Zwanziger abgesackt, manchmal sogar hinter die | |
Liberaldemokraten, die vergangene Woche auf ihrem Parteitag die Absage des | |
Brexit ins Zentrum ihres Programms nahmen. | |
Corbyns Popularität in der britischen Öffentlichkeit liegt zudem laut Ipsos | |
MORI auf einem Rekord: nur 16 Prozent finden ihn gut, 76 Prozent finden ihn | |
schlecht, ein Minus von 60, weit mehr als jede andere und damit „der | |
unbeliebteste Oppositionsführer aller Zeiten,“ wie es am Wochenende die | |
rechte Presse herausstrich. | |
## Enger Corbyn-Vertrauter wirft hin | |
Nach diesem Auftakt dürfte die zukünftige Brexit-Ausrichtung Labours nicht | |
leicht zu definieren sein. Sie ist eine Frage der prinzipiellen Identität | |
Labours geworden, welche die offenen Spaltungen innerhalb der Partei | |
offenbart. Am Samstagabend wurde bekannt, dass einer der engsten | |
politischen Mitarbeiter aus Corbyn’s Führungsstab das Handtuch geworfen | |
hat. | |
Andrew Fisher, der verantwortlich für den Text des letzten Wahlprogramms | |
gewesen ist, gab an, er habe kein Vertrauen mehr in einen Erfolg seiner | |
Partei. Die Zeitung Sunday Times zitiert ein Memo, dessen Existenz Fisher | |
mittlerweile bestätigt hat und in welchmr er Corbyns Büro einen „Mangel an | |
Professionalismus, Kompetenz und Menschlichkeit“ zuschreibt. | |
Offiziell heißt es, Fisher wolle mehr Zeit mit der Familie verbringen. Es | |
könnte jedoch auch sein, dass er sich in Sicherheit bringt, bevor das | |
Urteil der britischen Menschenrechtskommision über die Frage des | |
Antisemitismus bei Labour veröffentlicht wird, bei dem Corbyns engste | |
Mitarbeiter im Rampenlicht stehen werden. | |
22 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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