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# taz.de -- Drachenfest auf Tempelhofer Feld: Stur dem Erdboden entgegen
> Einfach schweben lassen wie am Samstag über dem Tempelhofer Feld: das mit
> den Drachen ist gar nicht so einfach, weiß unsere Autorin.
Bild: Riesige Drachen beim Festival der Riesendrachen
Dass das noch geht: Drachen steigen lassen, zu Hunderten, richtig große,
und mitten in der Stadt, auf einer riesigen Freifläche. Das Tempelhofer
Feld ist ein irgendwie anachronistisch anmutender Luxus, aber ein unbedingt
notwendiger – und das achte Festival der Riesendrachen am Samstag ist nicht
der Beweis dafür, aber doch ein Hinweis darauf, wie notwendig ein Stück
Himmel in einer sich verdichtenden Stadt ist.
Zumal wenn ein sechs Meter langes Eichhörnchen oder, wie der Veranstalter
verspricht, „Europas längste Turbine (45 Meter)“ in dem Stück Himmel
schweben werden. Auch Super Mario ist als Drache wiederauferstanden,
angeblich zwölf Meter groß. 100.000 BesucherInnen erwartet das übrigens vom
Senat und den landeseigenen Wohnungsbauern von der Stadt und Land
co-veranstaltete Drachenfest.
Im Frühjahr hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), seit
jeher Verfechter einer 2014 mittels Volksentscheid abgewehrten Randbebauung
des Felds, übrigens auf einer Veranstaltung darauf hingewiesen, dass das
Bebauungsthema für den Wahlkampf 2021 auf Wiedervorlage stehe. Und: Er sehe
da dieses Mal durchaus die Chance für eine Mehrheit pro Bebauung in der
Bevölkerung, angesichts des Mietendrucks und wenn man das Ganze nur mit den
städtischen Wohnungsbaugesellschaften zusammen angehe.
In der Eröffnungsrede dürften Müller und
Stadt-und-Land-GeschäftsführerInnen Ingo Malter und Anne Keilholz das
heikle Thema allerdings kaum touchieren, das Ganze ist eine
Schönwetter-Veranstaltung, und das ist ja auch okay.
## Verführerische Gaukler
Nun ist es übrigens überhaupt nicht so, dass die Autorin dieser Zeilen ein
unkompliziertes Verhältnis zu Flugdrachen hätte. Im Gegenteil. Drachen sind
verführerische Gaukler, die einen glauben machen, es sei ganz einfach, ein
bisschen zu schweben.
Ist aber nicht so. Die Autorin erinnert sich an deprimierende Versuche auf
der elterlichen Wiese hinterm Haus, die kleine Schwester schmiss den
Drachen in die Luft, der Wind blies auch kräftig, aber das bunte Ding
kurvte entweder links- oder rechtsherum steil und stur dem Erdboden
entgegen.
Inzwischen hat die Autorin selbst Kinder, Kinder lieben Drachen, ihre auch.
Also hat sie sich informiert. Es gibt eine öffentlich-rechtliche
Kindersendung, sie heißt „[1][Wissen macht Ah!]“, und das gilt sehr oft
auch für die mitschauenden Eltern.
Die Reporterin fährt in dem Filmchen „[2][Wie lenkt man einen
Lenkdrachen?]“ raus auf eine Insel vor der niederländischen Nordseeküste.
Das kann einen eigentlich schon misstrauisch machen, dass man sich offenbar
erst mal offshore begeben muss, dahin, wo der Wind richtig weht.
## Physikalische Gesetzmäßigkeiten
„Die Handbewegungen sind ähnlich wie beim Fahrradfahren“, erläutert die
Stimme aus dem Off, als die Reporterin sich endlich mit ihrem Drachen am
Strand postiert hat. Der Drachen fliege einfach in die Richtung, in die man
zieht. Und zwar deshalb: Wenn beide Schnüre gleich lang und die Hände des
Lenkenden auf einer Höhe sind, ist unter beiden Drachenflügeln gleich viel
Wind. Zieht man links, ist mehr Wind auf der rechten Seite. Die rechte
Seite ist die stärkere, drückt die linke weg, der Drachen fliegt nach
links. Das nennt sich vermutlich eine physikalische Gesetzmäßigkeit.
Diverse Selbstversuche mit dem familieneigenen, angeblich
easy-to-fly-Lenkdrachen für AnfängerInnen haben ergeben: Zieht man links,
knallt der Drache mit Rumms links auf den Boden, zieht man rechts, dann
eben rechts. Aber Physik lag der Autorin auch noch nie sonderlich,
vielleicht hat sie da irgendetwas nicht verstanden. Wenn sie indes so
rumschaut, im Herbst auf der Brache hinterm Mietshaus, dann geht es den
anderen Eltern ähnlich.
Die Kinder mögen sich übrigens nicht entmutigen lassen. Das ist auch so
etwas beim Drachensteigenlassen: Sie sind deutlich länger damit
beschäftigt, die Dinger aus dem Gras zu klauben, als dass sie ihnen beim
Schweben zuschauen würden.
Und trotzdem.
21 Sep 2019
## LINKS
[1] https://kinder.wdr.de/tv/wissen-macht-ah/index.html
[2] https://www.youtube.com/watch?v=_v9y4oJL5LE
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Tempelhofer Feld
Freizeit
Michael Müller
Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld
Freizeit
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