Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tennisprofi Rafael Nadal: Ozeanweite Einsamkeit
> Über Roger Federer schreibt man blumige Essays, über Rafael Nadal
> hingegen Symptomsammlungen. Er ist ein Mann der Rituale.
Bild: Erfolg hat Rafael Nadal: 19 Grand Slams hat er gewonnen
Erst die Hose gerade zuppeln, dann das T-Shirt, dann Griff ans rechte Ohr,
über die Stirn zur Gesichtsmitte, einmal die Nase wischen, linkes Ohr,
wieder die Nase, kurzer Knick nach vorne, Blick nach vorne, dann der
Aufschlag mit maximaler Kraft. So sieht es aus, Rafael Nadals
Aufschlagritual, eine ganze Choreografie.
Und das ist nur der Hauptteil, die Peripetie. Rafael Nadal hat eine ganze
Oper an kleinen und großen Motiven und Themen um das Tennisspiel herum
aufgebaut. Vor jedem Match muss er kalt duschen, und auf dem Platz muss so
viel Ordnung herrschen, wie nur geht: die Socken auf der gleichen Höhe, die
Trinkflaschen immer mit dem Etikett in eine Richtung, beim Seitenwechsel
dürfen keine Linien berührt werden.
Die Kommentator*innen haben viele Worte dafür, [1][was Rafael Nadal da auf
dem Platz veranstaltet]: Marotten, Spleens, Ticks. Häufig sind sie Anlass
für amüsierte Verwunderung, spitze Kommentare, bestenfalls gönnerhaftes
Verständnis. Es ist irgendwie übertrieben, aber nicht wirklich gefährlich;
ein wenig kurios eben. So ist er, der Rafa: neurotisch eben. Über Roger
Federer schreibt man blumige Essays, über Rafael Nadal hingegen
Symptomsammlungen.
[2][Tennis ist ein Spiel], das sich oft genug im Kopf entscheidet. Die
wichtigen Punkte zu machen, im genau richtigen Moment konzentriert und
fokussiert zu sein, ist von herausragender Bedeutung. Viele Profis haben
sich dafür eine Art von Verhaltenstherapie aufgebaut, Handlungen, in denen
sie sich wiedererkennen. Serena Williams bindet sich die Schuhe auf immer
die gleiche Art, und vor jedem Aufschlag lässt sie den Ball exakt fünf Mal
prellen. André Agassi spielte Roland Garros einmal ohne Unterhose, weil er
sie im Auftaktmatch vergessen hatte.
Bei einem seiner letzten Wimbledon-Auftritte pflegte Goran Ivanisević den
immer gleichen Tagesablauf: Morgens zum Frühstück schaute er immerzu die
„Teletubbies“, obwohl er schon sehr bald begann, die Sendung zu hassen.
Abends aß er immer im gleichen Restaurant, am immer gleichen Tisch, immer
die gleiche Mahlzeit: Fischsuppe, Lamm mit Pommes Frites, Eis mit
Schokoladensauce. In der zweiten Woche, so gab er später zu, habe er das
Steak nur noch hinuntergewürgt bekommen, weil er sich vorstellte, es sei
Hühnchen.
## Tennis mit dem Vorschlaghammer
Rafael Nadal nennt das seine Rituale. „Ich baue eine Wand um mich herum,
während ich spiele“, sagt er, „es ist mein Weg, um mich in einem Spiel zu
positionieren, die Dinge um mich herum so zu ordnen, wie ich meinen Kopf
gern sortiert hätte.“ Kurzum, sie stellen sicher, dass er funktioniert,
indem er sich abschottet vom Publikum, vom Gegner, von den eigenen
Versagensängsten.
Rafael Nadals Spiel ist ein basales, eines, das auf Grundlagen baut.
Maßgeblicher Bestandteil ist eine überdurchschnittliche körperliche
Fitness, kaum ein Spieler kommt derart über brachiale Kraft wie Nadal. Sein
Paradeschlag ist der Vorhand-Topspin, den er mit derart vielen Umdrehungen
schlägt, dass seine Gegner den Ball immer um einiges höher treffen müssen,
als sie es gewohnt sind: es ist kein Winner-Schlag, nichts Spektakuläres;
dieser Topspin zwingt zu Fehlern, er zermürbt den Gegner mehr, als dass er
ihn vorführt. Tennis mit dem Vorschlaghammer statt dem Florett. Und diese
Zermürbung funktioniert: in engen Spielen ist regelmäßig Rafael Nadal
derjenige, der seine Nerven beisammenhält.
Die Freudlosigkeit, das Zwanghafte, das diese Rituale ausdrücken, ist am
Ende nicht das Symptom eines einzelnen Spielers oder einer Spielerin. Es
ist vielmehr das Symptom eines Profisports, der keine andere Währung kennt
als den Erfolg. Und Erfolg hat Rafael Nadal: 19 Grand Slams hat er
gewonnen, 12 davon in Paris, was ihn zum erfolgreichsten Sandplatzsspieler
ever macht.
Es gibt etwas, das bei all diesen Ritualisierungen verloren geht; die
Lockerheit, das Lächeln, der Genuss des Moments. Kurzum, das Spielerische.
Nie scherzt er mit den Ballkindern, nie hat er auch nur einen Seitenblick
für das Publikum. Das also ist die Bedingung des Erfolges: eine ozeanweite
Einsamkeit inmitten eines voll besetzten Stadions.
21 Sep 2019
## LINKS
[1] /Finale-der-US-Open/!5621163
[2] /Tennis/!t5014447
## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Rafael Nadal
Tennis
Tennis
Kolumne Helden der Bewegung
Tennis
US Open
US Open
## ARTIKEL ZUM THEMA
French Open im Tennis: Schreiende Schönheit
Rafael Nadal ist wieder einmal der Favorit auf den Titel bei den Paris. In
diesem merkwürdigen Tennisjahr könnte er zum Größten aller Zeiten werden.
Legenden im Fußball: Kopfballungeheuer am Tresen
Über den Fußball hat man sich immer was zu erzählen. Und letztlich ist es
dann auch eigentlich egal, ob es denn stimmt oder eben nicht.
Tennisturnier Laver Cup: Champagner-Spuren in den Haaren
Europas Tennis-Elite gewinnt beim Laver Cup gegen das Team „Welt“.
Alexander Zverev siegt im entscheidenden Einzel mit Hilfe von Federer und
Nadal.
Finale der US Open: Tolles Durcheinander
Favorit Nadal kann Außenseiter Medwedew nur mit Mühe bezwingen. Zuvor wurde
der Russe ausgebuht – doch am Ende jubelt das Publikum auch für ihn.
Beginn der US Open: Finale zum Auftakt
In der ersten Runde der US Open trifft Serena Williams auf Maria
Scharapowa. Ein Duell mit viel Vergangenheit. Die Zukunft gehört sowieso
anderen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.