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# taz.de -- Die Wahrheit: Helden, bitte nicht melden!
> Neuer deutscher Heroenkult: von Zarah Leander zu Zopfgretel. Eine Rede an
> die Kinder dieser untergehenden Welt.
Bild: „Stern“-Sonderheft: Zeit für Helden
Liebe Kinder, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein. Das Ende ist nahe. Die Welt
geht unter. Das tut sie zwar schon von Anfang an, aber seit die Menschheit
das Sagen auf der Erde hat, ist es in den letzten 10.000 Jahren deutlich
ungemütlicher geworden.
Deshalb hat man für die Armen und Schwachen die Religion erfunden, die
Trost spenden soll. Damit die Menschen wenigstens das Gefühl haben, nicht
ganz umsonst auf Erden zu wandeln. Als Belohnung winkt ihnen ein Jenseits,
in dem angeblich alles Elend endet. Im Diesseits wollen die Puritaner und
Pietisten, Katholiken und Muslime oder wie sie auch heißen dafür auf alles
verzichten, was Spaß macht.
Nichts anderes aber verlangen von euch Kindern momentan auch die aktuellen
Apokalyptiker, die sich Klimaretter nennen, nur dass deren Jenseits Zukunft
heißt, was selbstverständlich nicht annähernd so rosig wird wie das
Paradies, in das jeder einzieht, der sich brav benimmt. Und um euch dies
bittere Leben schmackhaft zu machen, braucht es Helden. Sie heißen Jesus
oder Greta, wandeln übers Wasser und lieben alle Pflanzen und Tiere und
jeden Menschen, selbst den funzeligsten, der ihnen folgt.
„Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“, lässt Bertolt Brecht seine
zwiespältige Titelfigur im Theaterstück „Leben des Galilei“ sagen. Und
viele Jahre entsprach dieser logische Satz dem deutschen Selbstverständnis,
nachdem Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus reichlich
Verbrecher produziert hatte, deren herrliches Heldentum darin bestand,
andere totzuschießen, zu vergasen und zu verbrennen. Nie wieder braucht es
das. Aber die Zeiten sind nicht mehr einfach. Deshalb haben die
Vereinfacher derzeit Hochkonjunktur.
## Fremdschämen über Knötterknacker
Publizistisch gibt es dafür immer noch den Stern. Das geläuterte Titten-
und Hitlerblatt hat soeben ein Sonderheft auf den Markt geworfen mit dem
Titel: „Zeit für Helden“. Ja, es ist schon wieder so weit! Vier strahlende
Heroen zeigt das Cover: Udo Lindenberg, Greta Thunberg, Dirk Nowitzki und
Carola Rackete. Schon die peinliche Auswahl erzeugt ein Fremdschämen, gegen
das Flugscham ein feuchter Fleischfurz ist. Der Knötterknacker Udo
Lindenberg soll ein Held sein? Wahrscheinlich, weil er einen harten Hut
trägt, damit sein weichgesoffenes Hirn nicht oben herausfließt.
Zeit für Helden? Die gab es auch schon mal vor achtzig Jahren. Eine Ausgabe
der dem Hamburger Stern verwandten Berliner Illustrierten Zeitung hätte
seinerzeit sicher ein etwas anderes Heldenquartett gezeigt: Erwin Rommel,
Zarah Leander, Max Schmeling und Ferdinand Sauerbruch. Auch damals schon
war eine Schwedin dabei. Und nur achtzig Jahre hat es von der Zarah zur
Zopfgretel gebraucht. „Davon geht die Welt nicht unter“, sang die verlogene
Schauspielerin Zarah Leander im Schunkelrhythmus, während draußen die
Bomben die Erde erbeben ließen.
Heute singt die neueste Heldin zwar nicht, aber das Covergirl Greta ruft
als „Botschafterin des Gewissens“ jeden Freitag zum Streik auf, um die Welt
zu retten. Liebe Kinder, ihr müsst jetzt noch viel tapferer sein: Böser
Kapitalismus hin oder her – da gibt es nichts mehr zu retten. Erst recht
nicht durch einen Streik. Die gute, alte Erde ist längst verloren. Der
Kapitalismus lässt sich nicht abschaffen. Da helfen auch keine grünen
Pillen.
Das mag für manche Gretaisten zynisch klingen, es ist jedoch leider die
Wahrheit, die niemand gern hört, und – nebenbei gesagt – ist es nicht
zynisch, sondern sarkastisch: Ein Zyniker nämlich ist ein Foltermeister,
der dem Gefolterten die Wahl lässt, ob er gevierteilt oder verbrannt werden
will. Ein Sarkast aber ist ein Gefolterter, der sich nach einer halben
Stunde auf dem Feuerrost beschwert, man möge ihn doch bitte wenden, die
eine Seite sei nun durch.
So weh es tut. Es lässt sich nichts am Untergang ändern. Und niemand, auch
kein Wissenschaftler, kann euch, liebe Kinder, Hoffnung machen. Das
einzige, was bleibt, ist, als Mensch in Würde abzutreten. Das allerdings
ist gar nicht schwer, selbst für euch Kinder. Ihr müsst nur ein paar wenige
Handlungsweisen befolgen: Verschwendet eure Jugend! Bewahrt Distanz! Folgt
niemals Propheten! Macht euch mit keinen Ideologien gemein! Vertraut auf
euch selbst! Also auch nicht dem Verfasser dieser Zeilen.
Als Berufsspötter neigt er zur Ironie. Er will niemanden belehren. Denn es
gibt nichts Langweiligeres als didaktische Satiriker. Er würde daher
niemals einer Massenbewegung folgen. Er würde nie Mitglied einer Partei
werden, sich nie an einer Unterschriftenaktion beteiligen, nie auf eine
Demonstration gehen – allein schon deshalb, weil dort das unästhetische
Demonstrationsmöbel Sarg herumgetragen wird.
## Komiker auf der dunklen Seite
Der wahre Spötter scheut die Macht der Masse. Anders als die Helden
produzierenden Journalisten, die ihre Leser erziehen oder ihnen etwas
verkaufen wollen, wie etwa die Zopfgretel, die uns mittlerweile von
unzähligen Zeitschriften herab anstarrt. Oder sie wollen beides und gleich
Politiker werden wie Boris Johnson. Journalismus ist nur die Vorstufe für
Politik, wie Émile Zola einmal sagte. Obwohl es inzwischen
bedauerlicherweise auch einige Komiker gibt, die der dunklen Macht
verfallen und in die Politik abgewandert sind.
Zeit für Helden? Als wäre nicht eines der größten Probleme unserer Zeit das
brutale Herostratentum. Wenn wieder einmal irgendein größenwahnsinniger
Taugenichts sich eine Waffe schnappt und Amok läuft, um berühmt zu werden
und seinen lächerlichen Namen mit grausamsten Taten tief in unser
Gedächtnis zu brennen. Nicht zu vergessen all die politischen Amokläufer
von Trump bis Orbán, die nur an sich selbst als Helden ihrer wahnwitzigen
Egoerzählungen glauben und die Welt ins Chaos stürzen.
Warum braucht ihr kleinen Klima-Junkies eigentlich ständig Vorbilder und
Idole? Und seid euch nicht selbst genug? Weil ihr für den Weltuntergang
mitveranwortlich seid, ihr Gletscher-Groupies! Dauernd werden neue
Exemplare von euch in die Welt geworfen und sorgen dafür, dass es eng wird
auf unserer fragilen Kugel im Universum. Und behauptet jetzt nicht, daran
seien eure Eltern schuld. So leicht kommt ihr nicht davon. Nein, ihr müsst
euch auch nicht gleich alle entleiben, wir wollen gar nicht auf euch
verzichten, wobei ihr ja gerade zum persönlichen Verzicht auf Energie,
Fleisch und Flugreisen erzogen werdet, bis ihr freiwillig aus
existenzieller Langeweile den Löffel abgebt.
Allerdings gäbe es eine positive Form des Verzichts: Ihr könntet, statt
jeden Freitag sinnlos herumzukrakeelen, einfach die Klappe halten und uns
alte Falter in Frieden lassen, damit wir die Restzeit in Ruhe genießen.
Einverstanden, Kinder?
20 Sep 2019
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Greta Thunberg
Schwerpunkt Klimawandel
Helden
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Wahrheitklub
Schwerpunkt Fridays For Future
Downton Abbey
Matthias Horx
Inserat
Carola Rackete
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