| # taz.de -- Die Wahrheit: Make Greta Garbo again | |
| > Lebende Legenden unter sich: Jane Bulbin über Greta Thunberg. Eine | |
| > amerikanische Ikone über eine junge Ikone von heute. | |
| Bild: Greta Mural in der Mason Street in San Francisco | |
| Jane Bulbin, Jahrgang 1935, lebt seit mehr als sechzig Jahren in San | |
| Francisco. Seit ihrem Debütroman „Butterface“ (1958) und der Novelle „Ni… | |
| Beats“ (1961) gilt sie als „die literarische Stimme der weiblichen | |
| Beatniks“ („Washington Post“). Ihr rhythmischer, mit schnoddrigen | |
| Sprachspielen durchsetzter Stil hat viele Schriftstellerinnen inspiriert. | |
| Obwohl sie seit Jahren nur noch selten Erzählungen oder Essays | |
| veröffentlicht, wird die 84-Jährige von allen Lesergenerationen als „die | |
| große, schmutzige alte Dame der amerikanischen Literatur“ („Rolling Stone�… | |
| verehrt. Jetzt hat sich Jane Bulbin erstmals nach langer Zeit wieder zu | |
| Wort gemeldet und sich im „New Yorker“ zu der sechzehnjährigen | |
| Klimaaktivistin Greta Thunberg geäußert. Die Wahrheit dokumentiert den | |
| furiosen Artikel in einer leicht gekürzten Fassung. | |
| Hella, what the fuck is this? Zur Hölle, was ist das? Seit einer halben | |
| Ewigkeit lebe ich hier. Aber das ist neu in „The City“, wie wir Bewohner | |
| der Nebelbucht die Stadt nennen. Gerade laufe ich durch die sonnigen | |
| Straßen von San Francisco. Auf meinem nachmittäglichen Spaziergang zum | |
| Vesuvio in der Columbus Ave. Als ich an der Ecke Post und Mason plötzlich | |
| sie sehe: Beim heiligen Jesus-Che-Bobby-Sands-Bob-Marley-Elvis-Malcom-X! | |
| Yee, das ist diese Greta! | |
| Fast habe ich vergessen, wo ich herkomme. Aus einem kalifornischen | |
| Wüstennest im Nichts. Heimat der Coyoten. Tecopa. Bei den Shoshone. Wegen | |
| Jack, diesem verdammten Roadrunner Kerouac, kam ich die Straße runter und | |
| strandete in der Stadt der Liebe. Habe einiges weggeschrieben. Gutes. | |
| Schlechtes. Böses. Komisches. Wie die Hängen titten. So reden wir | |
| Übriggebliebenen hier. Wir vertrockneten Blumen. Aus den Flower-Power-Tagen | |
| und davor. Als der Beat in unseren Herzen und Mösen den Takt angab. | |
| Über das Dach der weißen Congregational Church in der Mason Street hinweg | |
| mustert mich die kleine Riesenschwedin. Mit strengem Blick. Ein frisches | |
| gigantisches Wandgemälde. Die Augen habe ich schon mal gesehen. Nur wo? Nur | |
| wo? Ich tapere weiter. Meinem Drink entgegen. Und endlich falle ich ins | |
| Vesuvio. Wo das Reibeisen von Kellnerin hinter der Theke mir mein Glas | |
| hinstellt. Und dann noch eins. Langsam kühlt sich mein verfluchtes Hirn ab. | |
| ## Feine New Yorker Blechgesichter | |
| Für die New York Times habe ich einmal eine sehr, sehr lange Story über | |
| politische Wandgemälde geschrieben. Ende der Siebziger. Als die Yankees | |
| noch Geld und Zeit hatten. Drei Monate bin ich durch die Weltgeschichte | |
| gezuckelt. Nordirland. Bronx. Kuba. Afrika. Indien. Aber die feinen New | |
| Yorker Blechgesichter haben mir den Pulitzer-Preis trotzdem nicht gegeben. | |
| Nicht für diese Geschichte. Hella, sei’s drum! | |
| Ich habe sie alle gesehen: den kommunistischen Christus Che Guevara. In | |
| Havanna. Wie haben die den Kopf geschüttelt, die ihn kannten. Ein | |
| Superarschloch. Ein Macho. Ein Blödmann. Ein Mann eben. Aber an jeder | |
| zweiten Wand. Oder der einzige Weltstar aus der Dritten Welt: Bob Marley. | |
| Der König der Kiffer und der Ficker. Elvis natürlich. Irgendwo in Indien | |
| eine bunte Mauer an einer Betonburg: The King. Oder der vehemente X in der | |
| Bronx. Oder der zur Leiche abgemagerte Bobby Sands in Belfast. Oder Jesus. | |
| Überall Jesus. Jesus lebt. Von wegen. Alle mussten sie sterben, um zu | |
| werden, was sie wurden. | |
| Und jetzt starrt einen die Kleine von der Wand an. Als erste Frau! Obwohl: | |
| Frau? Sie ist genauso alt wie ich, als ich mich von Mike, dem Tankwart, | |
| entjungfern ließ. Als die Coyoten hinter mir her heulten. Ich wollte nur | |
| weg, weg, weg. Von meinem Vater. Der Tyrann im Unterhemd mit Hosenträgern. | |
| Acht Postkarten von meiner Mutter liegen noch irgendwo in einer Schachtel. | |
| Komm zurück! Ich war nie wieder in Tecopa. | |
| Und die Kleine? Fährt mit der Jacht über den großen Teich, hin und zurück. | |
| Bitte schön! Soll sie machen! Das „Greta Mural“ in San Francisco ist auch | |
| nicht das erste Wandgemälde. In Bristol, England, gibt es schon eines. Und | |
| in Schweden. Diese Greta-Augen habe ich tatsächlich schon einmal gesehen. | |
| Es sind die Augen des Todes. Und schon tut mir die Kleine leid. Denn sie | |
| wird umkommen. Nicht durch diesen verdammten Klimawandel. Nicht durch | |
| biblische Hochwasser oder Feuersbrünste. Die gab es immer und wird es immer | |
| geben. Diesen Apokalyptikern, die sich gerade wieder den Weltuntergang | |
| herbeiwünschen, möchte ich am liebsten meinen knochigen Finger in den Arsch | |
| stecken, damit sie keine faule Luft mehr abblasen können. | |
| ## Im Himmel der höheren Politwesen | |
| Ich befürchte, Greta wird auf dieser Jacht sterben. Mitten im Atlantik. Ich | |
| bin zwar keine dieser putzigen Wahrsagerinnen vom Rummel. Mit Ringen an den | |
| Ohren, Nasenflügeln und Schamlippen. Aber Greta kann nur so als nützliche | |
| Ikone aufsteigen in den Himmel der höheren Politwesen. Es ist wie bei Che | |
| und den anderen. Du bist auf dem halben Weg, und schon steht deine | |
| beschissene Beerdigung an. Nur der Tod macht dich zur Legende. Deshalb wird | |
| Greta sterben. Bald. Auf hoher See. In einem Sturm über Bord gehen. Und | |
| kein Wal wird sie wie Jona verschlucken und an Land ausspucken. | |
| Sollte sie es dennoch schaffen, will ich ihr ein besseres Angebot machen | |
| als der Sensenmann. Wir tauschen unsere Leben. Bevor sie noch einmal in See | |
| sticht, darf sie an meine Stelle treten. Darf im Vesuvio Drinks nehmen. | |
| Darf Kerle kennen- und loswerden. Darf überhaupt ein Leben leben. In dem | |
| die Coyoten heulen. | |
| Ich hingegen sehe dem Ende kühl entgegen. Wie Yeats einst dichtete: „Blick | |
| mit kaltem Auge / auf Leben und Tod / Reiter, reitet weiter.“ Ich werde für | |
| Greta in den Sonnenuntergang reiten. Auf einer Jacht. Bis in die Ewigkeit | |
| von Wandbildern herabstarren. Nebenbei den Nobelpreis einheimsen. Und | |
| natürlich die Welt retten. Schließlich aus der kleinen eine wirklich große | |
| Schwedin machen. Wie eine andere ewige Ikone: Make Greta Garbo again. O | |
| yee! | |
| Aus dem Englischen übersetzt von Michael Ringel | |
| 22 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jane Bulbin | |
| ## TAGS | |
| Greta Thunberg | |
| Jane Bulbin | |
| Ikonen | |
| Veganismus | |
| Influencer | |
| Downton Abbey | |
| Greta Thunberg | |
| Carola Rackete | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Archipel Gulasch | |
| Insgeheim hat das Regime auf der Insel Helgoland ein Umerziehungslager für | |
| widerständige Veganer wie Xavier Naidoo errichtet. | |
| Die Wahrheit: Die Influencer-Influenza | |
| Ein neuartiger Erreger bedroht die Welt der Netzstars. Erstmals geht ein | |
| Virus viral und springt vom Bildschirm auf Menschen über. | |
| Die Wahrheit: Up, Upperclass, and away … | |
| Eine Revolution des Tourismus: „Downton Abbey“-Erfinder Julian Alexander | |
| Kitchener-Fellowes kauft das insolvente Reiseunternehmen Thomas Cook. | |
| Die Wahrheit: Helden, bitte nicht melden! | |
| Neuer deutscher Heroenkult: von Zarah Leander zu Zopfgretel. Eine Rede an | |
| die Kinder dieser untergehenden Welt. | |
| Die Wahrheit: Freibeuterin für Hollywood | |
| Die deutsche Kapitänin Carola Rackete wird in New York von der | |
| „International League of Captain Icons“ in die Captains Hall of Fame | |
| aufgenommen. |