# taz.de -- Hongkong-Aktivist zu Besuch in Berlin: Der Eine von Vielen | |
> Joshua Wong tourt um die Welt, um von den Protesten in Hongkong zu | |
> erzählen. Er will kein Anführer sein, ist aber das Gesicht der Bewegung. | |
Bild: Bei seiner Rede an der Humboldt Universität will Joshua Wong über ander… | |
BERLIN taz | Wong legt den weißen Kugelschreiber beiseite, den er die | |
vergangenen Minuten in der Hand gehalten hat: „Ich bin schon alt“, sagt er. | |
Und dann lenkt er die Frage um, weg von seiner Person und hin zu den | |
weniger bekannten Menschen, die seit 92 Tagen [1][in Hongkong auf die | |
Straße gehen]. „Die jüngste Person, die während der letzten Proteste | |
verhaftet wurde, ist zwölf Jahre alt. Ein Grundschulkind. Ich bin jetzt 22, | |
ich bin vergleichsweise alt.“ | |
Wong spricht über jemand anderen. Er macht das oft, wenn ihm eine | |
persönliche Frage gestellt wird und Journalist:innen versuchen, ihm näher | |
zu kommen. Es ist Mittwoch, der 11. September 2019, und Wong ist nicht in | |
Berlin, um über sich selbst zu reden – aber das ist gar nicht so einfach. | |
Auch weil er während der Regenschirmproteste vor fünf Jahren zu einem der | |
prominentesten Gesichter der Hongkonger Demokratiebewegung wurde, inklusive | |
einer Netflix-Doku mit dem blockbusterreifen Namen „Teenager gegen | |
Supermacht“. Seitdem ist Wong eine Projektionsfläche, ob er will oder | |
nicht: junge Demokratie-Ikone, Held der Freiheit. Die Bild-Zeitung feiert | |
ihn und vor allem sich selbst dafür, ihn eingeladen zu haben. | |
China nennt Wong derweil einen Separatisten. Kameras und Mikrofone sind auf | |
ihn gerichtet. Manchmal klatschen Menschen, wenn er einen Raum betritt. | |
„Mir ist klar, dass die Medien sich jemanden herauspicken müssen, der die | |
Bewegung repräsentiert. Aber ich sehe mich als einen von hunderttausend. | |
Meine Aufgabe ist, die Welt wissen zu lassen, was in Hongkong geschieht.“ | |
Joshua Wong ist demnach auch nicht hier, damit eine Journalistin ein | |
Porträt über ihn schreibt. Deshalb wird hier nicht spekuliert, weshalb er | |
in einer Redepause seine Hemdsärmel nach oben rollt, oder was es wohl | |
bedeutet, dass Wong stets ein schwarzes Notizbuch bei sich trägt. Wichtiger | |
ist, was er sagt und wessen Geschichten er erzählt. | |
## Peking reagiert empört | |
Was in Hongkong geschieht, beschreibt Wong in starken Bildern. Er erinnert | |
an Demonstrant:innen, deren Namen wir nicht kennen und die deshalb | |
[2][größeren Gefahren ausgesetzt sind]: das verhaftete Grundschulkind. Die | |
junge Frau, deren rechtes Auge von einem Gummigeschoss der Polizei | |
getroffen wurde und die jetzt erblinden könnte. Sogar Polizist:innen, die | |
gekündigt hätten und sich nun für die Wahlen aufstellen ließen, um den | |
Protest zu unterstützen. | |
Wong vergleicht Hongkong bei seinem Kurzbesuch in der deutschen Hauptstadt | |
ständig [3][mit dem Berlin des Kalten Krieges] – weil er weiß, dass er Nähe | |
herstellen muss, um mehr als nur Sympathien für die Proteste hervorzurufen. | |
„Wenn wir um die Welt reisen, müssen wir Narrative nutzen, mit denen die | |
Menschen in den jeweiligen Ländern etwas anfangen können. In den USA werde | |
ich eher den Kampf von David gegen Goliath aus der Bibel ansprechen. Und in | |
Südkorea erklären wir, wie uns die Kerzenlicht-Demonstrationen von 2016 | |
inspiriert haben.“ Wong und sein Team haben eine Mission, eine | |
Kommunikationsstrategie und sind gut vorbereitet. | |
Später am Abend gehen Joshua Wong und seine Mitstreiterin Glacier Kwong die | |
Stufen zu Hörsaal 208 der Humboldt-Universität nach oben, wieder umgeben | |
von Kameras und Mikrofonen, Jubel und Applaus. Zwischendurch waren sie bei | |
weiteren Terminen, auch in der Bundespressekonferenz, leider nicht bei | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die hätte Wong gern getroffen, bekam aber | |
keinen Termin. Vermutlich auch deshalb, weil Merkel sich nicht zu viel | |
Ärger mit Peking einhandeln will. Bei ihrem letzten Chinabesuch Anfang | |
September hatte die Kanzlerin eine „friedliche Lösung“ in Hongkong | |
angemahnt, nicht mehr und nicht weniger. Dafür konnte Wong am Abend zuvor | |
bei einem Fest der Bild-Zeitung aber mit Außenminister Heiko Maas sprechen | |
– China [4][bestellte daraufhin den deutschen Botschafter in Peking ein] | |
und nannte das Treffen einen „Akt der Respektlosigkeit“. | |
Jetzt warten etwa 200 Menschen auf Wong, und weitere Kameras und Mikrofone. | |
Eine Gruppe von Hongkonger:innen in Berlin hat das Event organisiert und | |
den Raum in der Humboldt-Universität gemietet. Sie tragen weiße Aufnäher | |
mit den Worten „Steht Hongkong bei“ oder „Safeguard Hongkong from White | |
Terror“. Wong pinnt sich auch einen an die graue Anzugjacke und später ans | |
weiße Hemd. Der Saal ist voll und stickig, die Sitzplätze reichen nicht, | |
viele müssen vor der geöffneten Tür stehen bleiben. Wong sitzt neben dem | |
Rednerpult und schreibt in sein Notizbuch. Der Saal wartet, still. | |
## Einer, der kein Anführer sein will | |
Und dann spricht Joshua Wong über den Freiheitskampf Hongkongs, wie er es | |
immer wieder tut, seit er 14 Jahre alt ist. Sprechen, ohne abzulesen. Ohne | |
große Gesten oder starke Mimik, aber mit großen Worten. Den entscheidenden | |
verleiht er mit der Stimme Nachdruck: Freiheit, Menschenrechte, | |
Zusammenhalt. Er spricht von Kaiser Xi statt von Präsident Xi Jinping. Er | |
erzählt von U-Bahnschächten, die mit Tränengas verqualmt sind, von | |
„Schlachtfeldern“, von [5][brutaler Polizeigewalt]. Immer wieder verweist | |
er auf die Menschen in Hongkong. Dann schließt er mit einem schnellen | |
„Thank you“. | |
Es sind auch Leute gekommen, die pro-chinesische Kommentare loswerden | |
wollen. Doch Wong ist nicht zu verunsichern, er hat das Publikum auf seiner | |
Seite. „Das Prinzip ‚Ein Land, zwei Systeme‘ muss bis 2047 weitergeführt | |
werden“, lautet eine Wortmeldung. „Finde ich auch“, entgegnet Wong, „ab… | |
wir sind ja jetzt schon bei ‚Ein Land, anderthalb Systeme.‘“ Wieder | |
Applaus. | |
Joshua Wong spult Sätze ab, die er den ganzen Tag gesagt hat, | |
gebetsmühlenartig, immer und immer wieder. „Hongkongs Zukunft sollte in den | |
Händen der Hongkonger Bevölkerung liegen.“ – „Wir müssen die Welt wiss… | |
lassen, dass Menschenrechte nicht weniger wichtig sein dürfen als | |
Handelsbeziehungen.“ Er erklärt auch, was die aktuelle Bewegung aus den | |
Regenschirmprotesten von 2014 gelernt habe: „Die Regenschirmproteste waren | |
wie eine Enzyklopädie, ihre Anführer wie die Herausgeber. Diesen Sommer ist | |
das anders. Wir sind jetzt wie die Wikipedia: Wenn alle mitmachen und sich | |
jederzeit spontan für die Bewegung einsetzen können, dann müssen keine | |
Anführer bestimmt werden.“ | |
Wong will nicht mehr Anführer genannt werden, aber er ist besonders | |
sichtbar und trägt daher besondere Verantwortung. Auch wenn es um | |
Unterstützer:innen der Proteste auf dem chinesischen Festland geht. Ob es | |
die denn gebe, junge Chines:innen, die nicht regimetreu seien, sondern den | |
Kampf für Demokratie unterstützten? Klar, sagt Wong, aber er könne keine | |
Namen nennen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Noch mehr unsichtbare | |
Protagonist:innen. „Beide Orte haben Demokratie verdient, Hongkong und | |
China“, fügt Wong hinzu. Und dann vergleicht er wieder – diesmal den | |
Berliner Mauerfall mit einem möglichen, wenn auch unwahrscheinlichen | |
Zusammenbruch der chinesischen Firewall. | |
## Die Kämpfe der Vielen | |
Mehr als ein Drittel seines Lebens ist Joshua Wong Aktivist. Als | |
14-Jähriger führte er die Bewegung „Scholarism“ an, die sich gegen die | |
Einführung eines Schulfachs „Moralische und nationale Erziehung“ richtete. | |
Rund 120.000 Menschen mobilisierten Wong und seine Mitstreitenden damals | |
und setzten ihre Forderung gegenüber der Regierung durch. | |
Drei Jahre später folgten die Regenschirm-Proteste, als er als einer der | |
studentischen Anführer weltweit bekannt wurde. Diesmal sahen die | |
Demonstrant:innen freie Wahlen in Hongkong durch einen Beschluss des | |
Nationalen Volkskongresses in Peking gefährdet. Jetzt ist Joshua Wong 22 | |
Jahre alt, wurde achtmal [6][verhaftet], saß dreimal im Gefängnis, | |
insgesamt 120 Tage seien es gewesen. | |
Was würde er tun, wenn Hongkong morgen frei wäre? „Mein Politikstudium | |
fortsetzen und so schnell wie möglich den Abschluss machen.“ Die Antwort | |
ist langweilig, nüchtern. Weil wir uns nicht zu sehr mit ihm beschäftigen | |
sollen, sondern mit den Kämpfen der vielen. | |
13 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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