# taz.de -- György Konrád ist tot: Der ewige Regimegegner | |
> Der ungarische Schriftsteller, Holocaust-Überlebende und Dissident György | |
> Konrád ist mit 86 Jahren gestorben. Ein Nachruf auf einen großen | |
> Europäer. | |
Bild: György Konrád gehörte zu denen, die den Fall des Eisernen Vorhangs vor… | |
Wenn man das Leben von György Konrád auf den Punkt bringen will, so war er | |
ein ewiger Regimegegner. Einer, der der Versuchung der Emigration | |
widerstanden hat und seine intellektuelle Kraft im Inneren zur Wirkung | |
brachte. | |
Wie er mit seiner bürgerlich-jüdischen Familie in einem Dorf das Wüten der | |
Nazis und ungarischen Pfeilkreuzler überlebte, beschreibt er in seinem 2003 | |
erschienenen autobiografischen Roman „Glück“. Glück war es, dass die | |
Familie Konrád in der Ortschaft Berettyóújfalus, wo damals Tausend Juden | |
lebten, als einzige vollzählig blieb. Keiner der Klassenkameraden überlebte | |
den Holocaust. | |
Im Realsozialismus durfte Konrád zunächst am Russischen Institut der | |
Universität studieren. Als dieses 1953 in Lenin-Institut umbenannt wurde, | |
war für ihn kein Platz mehr. Erst später konnte er ein Ungarisch-Studium | |
abschließen. Die Karriere als Mitarbeiter der kritischen Zeitschrift | |
Életképek (Lebensbilder) endete schon nach kurzer Zeit mit dem Aufstand von | |
1956, den Konrád an der Seite einer bewaffneten Studentengruppe erlebte. | |
Obwohl er nun von Gelegenheitsarbeiten leben musste, folgte er seinen | |
Freunden und seiner Schwester Eva nicht in den Westen. | |
Eine Anstellung bei der Vormundschaftsbehörde in Budapest lieferte ihm | |
Material für sein Romandebüt „Der Besucher“ (1969) – eine Milieustudie … | |
das Elend, das es im sozialistischen Staat nicht geben durfte. | |
Protagonisten sind Obdachlose, Schwachsinnige und Gewalttäter. | |
## Veröffentlichung kritischer Romane | |
In den Sechzigern arbeitete Konrád als Lektor und kümmerte sich vorrangig | |
um Werkausgaben russischer Klassiker. Im sich damals entwickelnden | |
intellektuellen Milieu fand er eine geistige Heimat, die ihm auch eine | |
Zusammenarbeit mit anderen Autoren ermöglichte. Die Veröffentlichung | |
kritischer Romane und soziologischer Studien blieb trotz Schikanen durch | |
die Politische Polizei ohne Konsequenzen. | |
Der Versuch, das Manuskript eines Freundes in den Westen zu schmuggeln, | |
brachte ihm ein dreijähriges Reiseverbot ein. Erst 1976 konnte er ein | |
Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) annehmen, | |
verbrachte ein Jahr in Berlin und ein weiteres in den USA. | |
György Konrád gehörte zu denen, [1][die den Fall des Eisernen Vorhangs | |
vorhersahen], was ihm die Kraft gab, auszuharren und seine Bücher, die im | |
Ausland reißend Absatz fanden, zu Hause im Samisdat zu publizieren. Nach | |
1989 wurde er mit Literaturpreisen und Auszeichnungen überhäuft und lebte | |
auch sein privates Glück, das ihn 1994 mit über 60 Jahren zum fünften Mal | |
zum Vater machte. Von 1997 bis 2003 leitete Konrád als erster Ausländer die | |
Berliner Akademie der Künste. Anfang der Neunziger stand er dem | |
internationalen PEN-Club vor. | |
Dass der international gefeierte Schriftsteller in seinen letzten | |
Lebensjahren durch [2][Viktor Orbáns rückwärtsgewandte Kulturpolitik] | |
neuerlich zum Dissidenten wurde, passt ins Bild des Mannes, der am Freitag | |
im Alter von 86 Jahren in Budapest in den Parnass eingegangen ist. | |
15 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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