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# taz.de -- Erstes Taubblindenhaus Deutschlands: „Es begann mit einem Kind“
> Seit 130 Jahren ist das Oberlinhaus in Potsdam eine Institution in der
> Taubblindenarbeit. Tina Mäueler über Anfänge und Herausforderungen.
Bild: Lange Tradition: Eine hör-/sehbehinderte Frau 2005 im Oberlinhaus
taz: Das Oberlinhaus in Potsdam-Babelsberg war die erste Einrichtung für
taubblinde Menschen in Deutschland. Wie kam es dazu?
Tina Mäueler: Es begann mit einem Kind. In Nowawes, wie Babelsberg damals
hieß, lebten viele arme Weberfamilien. Seit den 1870er Jahren betrieb der
diakonische Verein Oberlinhaus deshalb hier eine Kleinkinderschule. 1886
begann die Arbeit mit behinderten Kindern. Tatsächlich war es einfach so,
dass jemand ein Kind brachte und die Diakonissen bat, sich darum zu
kümmern.
So kam das erste taubblinde Kind ins Oberlinhaus?
Genau. Im Januar 1887 wurde Hertha Schulz gebracht. Das Mädchen war 10
Jahre alt und konnte nach einer Hirnhautentzündung nicht mehr sehen und
hören. Die Eltern, ein Polizist und eine Hausfrau aus Berlin hatten Kontakt
zu der Einrichtung aufgenommen, weil es zu Hause im Mietshaus nicht mehr
ging. Hertha war so laut, weil sie sich selbst nicht hörte. Das ist
übrigens heute noch ein Grund, warum taubblinde Menschen in unsere
Wohnstätten ziehen müssen. Im Oberlinhaus wurde eine Diakonisse damit
beauftragt, Blindenschrift zu lernen und Hertha darin zu unterweisen. Das
gelang auch. 1891 kam dann der königliche Taubstummen-Oberlehrer Gustav
Riemann ins Oberlinhaus und hat Hertha unterrichtet. Es wurden dann immer
mehr taubblinde Kinder aufgenommen und ein ehemaliges Siedlerhaus zum
ersten Taubblindenhaus Deutschlands umgebaut.
Wie wegweisend war diese Arbeit?
Damals hat das Oberlinhaus als Erstes den Fokus auf die Förderung der
Kommunikation gesetzt. Es gibt zum Beispiel ein eigenes Oberlin-Alphabet,
ein Alphabet, das in die Hand gebärdet oder daktyliert wird. Es gab auch
einen Austausch mit Helen Keller aus den USA, das ist ja die Taubblinde,
die jeder kennt. Da hat sich das Oberlinhaus Input geholt, welche Förderung
taubblinde Kinder brauchen. Und so haben wir bis heute Wohnstätten, die
ganz und gar auf taubblinde Menschen ausgerichtet sind. Es gibt zum
Beispiel Zimmer, da geht ein Ventilator an, wenn man es betritt. Damit der
Bewohner, der nichts hört und sieht, am Luftzug spürt, dass jemand da ist.
Unsere Mitarbeiter sind genauso spezialisiert.
Wie viele taubblinde Menschen wohnen bei Ihnen?
Wir haben das Hertha-Schulz-Haus für 20 taubblinde/hör-sehbehinderte Kinder
und eine Wohnstätte für Erwachsene mit 55 Plätzen. Wir arbeiten inzwischen
überwiegend mit geburtstaubblinden Menschen, die noch viele andere
Beeinträchtigungen mitbringen, weil sie gar keine Sozialisation ohne
Behinderung erlebt haben.
Was ist die größte Herausforderung?
Immer ist der Schlüssel die Kommunikation. Bei einem kleinen Kind, mit dem
ich Ball spiele, würde ich „Da ist der Ball“ sagen. Bei einem taubblinden
Kind daktyliere ich es in die Hand und hoffe, dass sich ein
Sprachverständnis entwickelt. Das erfordert natürlich eine ganz intensive
Betreuung und Beziehung. Früher haben das die Diakonissen geleistet, die
mit den Bewohnern gelebt haben. Heute brauchen wir dafür ausreichend
Mitarbeiter und Freiwillige.
Kämpfen Sie gemeinsam mit anderen für mehr Selbstbestimmung für Taubblinde?
Wir sind wie alle Einrichtungen der Taubblindenhilfe in einer
Arbeitsgemeinschaft vernetzt. Wir haben natürlich einen anderen Fokus als
etwa die Selbstvertretungen von Taubblinden, die erst spät erblinden und
gehörlos werden und oft sehr selbstbestimmt leben. Aber grundsätzlich ist
die Gefahr bei allen taubblinden Menschen: [1][Wenn sie nicht genügend
Assistenz haben, sind sie isoliert.] Taubblinde brauchen auch in
Einrichtungen eine Eins-zu-eins-Betreuung. Ich kann auch mal mit zweien
spazieren gehen, aber dann kann man schon nicht mehr alles erzählen, was im
Umfeld passiert.
27 Aug 2019
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## AUTOREN
Manuela Heim
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Behinderung
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Leben mit Behinderung
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Forschung
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