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# taz.de -- Protest gegen Seehundrichtlinie: Jäger ohne Kontrolle
> Hunderte kranke, verletzte oder gestrandete Seehunde werden jedes Jahr
> von Seehundjägern getötet. Dagegen regt sich Widerstand.
Bild: Tod am Strand von Hörnum: Ein Seehundjäger verpackt einen Seehund
Berlin taz | Überall an der Nordseeküste wirbt man mit Fotos von Seehunden.
Es gibt Ausflugsfahrten zu den Seehundbänken und Auffangstationen für
Heuler (verlassene Jungrobben). Es gibt sogar die Möglichkeit, in
Schwimmbecken mit ihnen zu tauchen. Youtube ist voll mit Fotos und Clips
von Seehunden, die in Liegestühlen schlafen oder sich an und auf
Badeurlauber robben.
Und es gibt eine Seehundrichtlinie. Sie betrifft 40 Seehundjäger und damit
alle in ihren Revieren sich tummelnden Seehunde, obwohl die offensive Jagd
auf sie seit 1974 ganzjährig verboten ist. Dessen ungeachtet wurden im
vergangenen Jahr 658 Seehunde erschossen. Die Seehundjäger bekommen 45 Euro
pro Todesschuss.
Seltsamerweise fand ich in den Archiven der F. A. Z., des Spiegel und der
taz keinen einzigen Artikel über diese „Seehundrichtlinie“. Dabei haben
inzwischen schon mehr als 85.000 Unterstützer sie mit einer Petition
(change.org/seehunde) bekämpft. Und der Kampf geht weiter, Robert! Gemeint
ist der ehemalige grüne Umweltminister von Schleswig-Holstein, Robert
Habeck, in dessen Verantwortung die Richtlinie lag. Die Kritiker –
Tierärzte, Naturschützer und Robbenliebhaber – verlangen eine
„tierschutzgerechte Neufassung“ – inzwischen von Habecks Nachfolger Jan
Philip Albrecht (Grüne).
Eine ihrer Sprecherinnen und Initiatorin der Petition ist die
Tierheilpraktikerin Bettina Jung, Mitgründerin der Initiative „Ethia –
Leben in die Politik!“ Von ihr erfuhr ich: Das Töten der durch die
FFH-Richtlinie geschützten Robben geschieht ohne Einbeziehen eines
Tierarztes. Es reicht, wenn der Seehundjäger sagt, das Tier sei unheilbar
krank gewiesen. Er entscheidet über Leben und Tod des Seehundes. Kein
Gedanke, dass man auch ein krankes Tier mit Geduld und Kenntnis
gesundpflegen kann, dass gerade bei verlassenen Heulern nur ihre
Austrocknung und der Nahrungsmangel ausgeglichen werden müssen, dass bei
Lungenwürmern häufig eine Wurmkur hilft.
Einem Tierarzt oder den Mitarbeitern einer Wildtierstation ist es nur 24
Stunden lang erlaubt, eine Erstversorgung vorzunehmen. „Für kein anderes
Wildtier gibt es eine derartige Regelung,“ heißt es in einem „Factsheet“
der Richtlinienkritiker: „Das Land Schleswig-Holstein hat die komplette
Verantwortung der Jägerschaft übergeben und als ‚Kontrollinstanz‘ das
Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der
Tierärztlichen Hochschule Hannover eingesetzt.“
Von einer echten Kontrolle der Seehundjäger durch das ITAW in Büsum kann
aber wohl keine Rede sein, denn beide sind anscheinend eher an toten als an
lebenden Seehunden interessiert. Auf der Internetseite jawina.de (Jagd Wild
Natur) heißt es in einem Bericht aus dem ITAW: „Außer dem Kegelrobbenbullen
warten eine ganze Reihe noch auftauende Robben und Seehunde darauf, seziert
zu werden. Forschungsmaterial, das die Seehundjäger anliefern.“
Die sich im ITAW mit Schweinswalen und Seevögeln als Opfer der Fischerei
beschäftigende Meeresbiologin Ilka Hasselmeier wurde noch deutlicher: „Wir
sind froh, dass die Seehunde dem Jagdrecht unterliegen. Wenn wir die
Seehundjäger nicht hätten, sähen wir dermaßen alt aus. Deshalb – und um d…
Seehundjäger bei ihrer Tätigkeit rechtlich abzusichern – plädieren wir
dafür, dass auch die Kegelrobbe ins Jagdrecht aufgenommen wird.“
Kegelrobben sind nach der FFH-Richtlinie streng geschützt, deswegen werden
sie von den Seehundjägern bis jetzt wohl noch illegal abgeschossen. Diese
können laut „Augenzeugenberichten“ oft sowieso keinen Seehund von einer
Kegelrobbe unterscheiden. Für die Kritiker der Seehundrichtlinie ist das
natürlich ein „Skandal“, auch dass Ilka Hasselmeier selbst auf Seehundjagd
geht, wie man dem Friesenanzeiger im August 2016 entnehmen konnte.
Umgekehrt finanziert die Landesjägerschaft laut der Stiftung Tierärztliche
Hochschule Hannover auch schon mal eine „wissenschaftliche Forschung“ am
ITAW.
Deutschland hat sich mit Dänemark und den Niederlanden zum „Trilateralen
Wattenmeer-Abkommen“ zusammengeschlossen: Im Gegensatz zu den beiden
Nachbarländern hat Deutschland seine Seehundjäger aber noch nicht
abgeschafft, sondern sie im Gegenteil mit Forschung verbunden und dadurch
aufgewertet, wenn nicht gar personell verstärkt.
Es liegt ein typischer Polit-Kompromiss vor: Man wollte mit diesem ganzen
Seehund-Tötungsverfahren wahrscheinlich das alte Gewohnheitsrecht der
friesischen Seehundjagd so schonend wie möglich brechen. In der Praxis, im
Leben, ist dabei, wie so oft, etwas korruptiv Illegales herausgekommen.
Exemplare einer geschützten Tierart dürfen nur aus medizinischen Gründen
getötet werde. Demnach dürfte das also nur von einem Tierarzt nach einer
Untersuchung veranlasst werden. Ein auf Sylt tätiger Seehundjäger spricht
davon, dass er die Tiere von ihrem Leiden erlöst.
Von allen erschossenen Seehunden wird etwa jeder fünfte auf eine
rechtmäßige Tötungsentscheidung hin vom ITAW untersucht. Zwar bietet das
ITAW diesbezüglich Kurzschulungen für die Jäger an, die Teilnahme an den
Schulungen ist jedoch keine Pflicht und es gibt keinerlei Prüfung. Dafür
durfte einer aus den Reihen der Seehundrichtlinien-Kritiker nicht daran
teilnehmen, obwohl er einen Jagdschein besitzt und eine Wildtierstation
leitet, aber ihm fehlte ein „Fürsprecher“ aus den Reihen der etablierten
Seehundjäger.
Und weil es für verwaiste Jungseehunde, Heuler, nur eine Auffangstation in
ganz Schleswig-Holstein gibt, in Friedrichskoog, werden auch schon mal
Heuler getötet, „weil kein Platz mehr für sie da war“, wie die
Schleswig-Holsteinische Zeitung berichtete. Auf der Station haben einige
Seehunde und Kegelrobben ein Dauerquartier, Besucher können sie dort
besichtigen.
Ansonsten heißt es auf ihrer Internetseite: Wenn man auf einen Heuler
trifft, soll man ihn auf keinen Fall anfassen – sondern umgehend den
zuständigen Seehundjäger benachrichtigen.
6 Sep 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Seehunde
Jäger
Küste
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Robert Habeck
Nordsee
Fischerei
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