Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: „Ich werde Ställe ausmisten“
> Das Wahrheit-Interview: Ein Gespräch mit dem amtsmüden Aschaffenburger
> Dichter Thomas Gsella über seine Zukunft nach der Poesie.
Bild: Künftig nicht mehr zu erleben: Poet Thomas Gsella bei einer Dichterlesun…
taz: Herr Gsella, man erzählt sich, dass Sie das Dichten aufgeben wollen.
Warum?
Thomas Gsella: Warum man sich das erzählt?
Nein, warum Sie das Dichten aufgeben wollen.
Für diese Arbeit wird man einfach zu schlecht bezahlt. Und die
hochdotierten Lyrikpreise gehen immer nur an irgendwelche Luschen. Ich muss
Alimente für sieben uneheliche Kinder abdrücken, das Finanzamt schröpft
mich, als wäre ich Rockefeller, und dann habe ich noch einen Prozess am
Hals …
Worum geht es da?
Um einen lächerlichen Plagiatsvorwurf. Irgendein mieser, versoffener,
inkontinenter, ungewaschener und skrofulöser Stinkstiefel mit Gehirnkrebs
behauptet, dass ich mit dem Titel meiner Gedichtsammlung „Nennt mich Gott“
den ersten Satz des Romans „Moby-Dick“ von Herman Melville – „Nennt mich
Ismael“ – plagiiert hätte. Die Sache geht jetzt bereits in die dritte Runde
und kostet mich ein Vermögen. Um diesen Streitfall außergerichtlich
beilegen zu können, werde ich wahrscheinlich ein paar schwere Jungs aus der
Aschaffenburger Unterwelt anheuern müssen.
Soweit wir wissen, haben Sie noch keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Wovon wollen Sie leben, wenn Sie nicht mehr dichten?
Ein Freund von mir züchtet Alpakas, und bei dem werde ich künftig
ausmisten.
Entschuldigen Sie, Herr Gsella, die Verbindung ist sehr schlecht. Können
Sie den letzten Satz wiederholen?
Ein Freund von mir züchtet Alpakas, und bei dem werde ich künftig
ausmisten.
Das ist ein ungewöhnlicher Plan. Wieso wollen Sie in einem Parkhaus
arbeiten?
Parkhaus? Ich habe nicht Parkhaus gesagt, sondern Alpakas.
Um welches Parkhaus handelt es sich dabei?
Um gar keins! Ich werde Ställe ausmisten!
Gut. Lassen wir das vorerst auf sich beruhen und wenden wir uns der Frage
zu, ob Ihr Entschluss, das Dichten einzustellen, auch etwas mit Ihrem
angespannten Verhältnis zur deutschen Literaturkritik zu tun haben könnte.
Die Prädikate, mit denen man Sie in den vergangenen dreißig Jahren bedacht
hat, sprechen für sich: „Stümper“, „Kretin“, „Hanswurst“, „Mari…
Arme“, „präpotenter Schmierfink“, „fleischgewordenes Symptom des
kulturellen Niedergangs“, „verseschmiedende Pestbeule“ oder „poetische
Nullpotenz“. Schmerzt Sie das?
Mir ist das Urteil meiner Leser stets viel wichtiger gewesen als das der
Kritiker. In einer Amazon-Rezension heißt es zum Beispiel: „Thomas Gsella
hat es nicht nötig, auf den Schultern seiner Vorläufer Heine, Busch,
Morgenstern, Ringelnatz, Tucholsky, Kästner und Gernhardt zu stehen, um
einen langen Schatten zu werfen. Er ist ein Gigant aus eigenem Recht. Oder
besser gesagt: Er ist das dichterische Zentralgestirn, um das sich alles
dreht und dessen Licht erst am Ende aller Zeiten erlöschen wird. Und
vielleicht nicht einmal dann.“
Das Zitat ist uns bekannt. Wir haben allerdings herausgefunden, dass Sie es
selbst verfasst und auf Amazon eingestellt haben.
Mag sein. Aber das ändert nichts am Wahrheitsgehalt dieser Worte. Und
dennoch werde ich, bildlich gesprochen, die Schreibfeder in Kürze an den
Nagel hängen. Am 2. September wird meine Abschiedstournee mit einer
Privatlesung in meiner Küche beginnen und anderntags mit einer
geschlossenen Veranstaltung in meinem Wohnzimmer enden.
Das ist gewiss eine bittere Pille für den in Ihrer Vaterstadt Essen
ansässigen Thomas-Gsella-Fanclub.
Glaube ich nicht. Ich habe diesen Club vor zwanzig Jahren selbst gegründet
und bis heute kein einziges Mitglied dafür anwerben können. Und auch auf
anderen Gebieten ist mein soziales Engagement im Sande verlaufen.
Sie spielen hier vermutlich auf den von Ihnen gestifteten
Thomas-Gsella-Preis an, für den sich noch kein Abnehmer gefunden hat …
Exakt. Ich biete ihn alljährlich an wie Sauerbier, doch es hagelt immer nur
Absagen.
Wie hoch ist der Preis denn dotiert?
Der Preisträger wird mit einem gerahmten Autogrammfoto von mir geehrt und
darf mich einen Abend lang in dem Aschaffenburger Traditionslokal
Schlappeseppel freihalten.
Wir haben recherchiert: In dieser Gastwirtschaft belaufen sich Ihre noch
unbezahlten Rechnungen auf insgesamt 1.903 Euro und 25 Cent, die der
Preisträger dann sicherlich ebenfalls bezahlen müsste.
Ja, aber nur rein theoretisch. In der Praxis ist das in Ermangelung von
Preisträgern noch nicht geschehen.
Lassen Sie uns jetzt noch einmal auf Ihre künftige Arbeit im Parkhaus
zurückkommen. Was genau werden Sie dort tun?
Sie haben da was falsch verstanden. Ich habe, wie gesagt, von Alpakas
gesprochen und nicht von einem Parkhaus.
Und wo steht dieses Parkhaus? In Aschaffenburg?
Nein. Die Alpakas befinden sich auf einem Gutshof in der Nähe von
Schweinheim.
Bekannt geworden sind Sie vor allem als Naturlyriker. Wird es Ihnen nicht
an Licht, Luft und Sonne fehlen, wenn Sie in dem Parkhaus arbeiten?
Als Stallknecht werde ich in unmittelbarem Kontakt zur Natur stehen. Da
brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen.
Das freut uns. Letzte Frage, Herr Gsella: Ihre Stimme klingt so belegt –
sind Sie krank?
Ich leide seit zwei Wochen an einer Rachenfistel und schon seit längerem an
Zungenpilzen, Parodontitis und der sogenannten gastro-ösophagealen
Refluxkrankheit, die mit einem unspezifischen Brustschmerz einhergeht und
dazu führt, dass mein Mageninhalt immer wieder in die Speiseröhre
zurückfließt. Außerdem haben sich in meiner Mundschleimhaut sechzehn
Reizfibrome gebildet. Das sind knotenförmige Stielwarzen, die mir das
Sprechen erschweren. Dazu haben sich gestern auch noch eine Angina pectoris
und eine nässende Gesichtsrose gesellt. Aber sonst bin ich wohlauf, wenn
man von meiner Schuppenflechte, meinen Talgdrüsenzysten und den chronischen
Beinleiden absieht, von denen ich nur hoffen kann, dass sie mir das
Ausmisten der Alpakaställe gestatten werden.
Dann gute Besserung, Herr Gsella. Vielen Dank für das Gespräch und viel
Spaß im Parkhaus!
2 Sep 2019
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Thomas Gsella
Interview
Poesie
Schwerpunkt Coronavirus
Harvey Weinstein
Arno Schmidt
Sahra Wagenknecht
Thomas Gsella
Recherche
Franz Josef Wagner
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Wider die Schadenfreude
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte
Leserschaft an einem Poem über den Coronapräsidenten erfreuen.
Die Wahrheit: Deutung eines Agenturfotos aus NYC
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Diesmal darf sich die
Leserschaft an einem Poem über einen US-Strafprozess erfreuen.
Die Wahrheit: Siebzehn Pfund Masse
Fünfzig Jahre „Zettel’s Traum“: Zum Jubiläum die schönsten Anekdoten r…
um das berühmte Hauptwerk von Arno Schmidt.
Die Wahrheit: Halberstädter Pottsuse reloaded
Realsozialistisches „Feeling“ in Hoyerswerda: Wie Sahra Wagenknecht mit
einer pfiffigen Geschäftsidee ihren Burn-out überwunden hat.
Die Wahrheit: Die Causa G.
Wie die Wahrheit unter die Räder kam: Anatomie einer Affäre um den Dichter
Thomas Gsella, der alle erhobenen Vorwürfe vehement abstreitet.
Die Wahrheit: „So muss es gewesen sein“
Im großen Wahrheit-Interview spricht der Enthüllungsjournalist Thomas
Gsella über soziale Missstände im Raum Nordhessen.
Die Wahrheit: Ist es mehr als Liebe?
Society: Alles über das neue Traumpaar Christian Wulff und Thomas Gsella.
Mit dabei: Bettina Wulff und Franz Josef Wagner.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.