# taz.de -- Kleinstadt in Sachsen vor der Wahl: Leben mit Rechten in Wurzen | |
> Ein Parlament, in dem Rechte ein Viertel der Stimmen haben. Was in | |
> Sachsen und Brandenburg droht, gibt es in der sächsischen Kleinstadt | |
> Wurzen schon. | |
Bild: „Zecken schlachten“-Graffito in der Nähe des Doms | |
Wurzen taz | Angriff ist die beste Verteidigung. Jörg Röglin, in weißem | |
Hemd und Schlips, kommt aus dem Eingangsportal der Stadtverwaltung Wurzen | |
und geht auf einen muskulösen Mann zu, der frappierend an den Dschinn aus | |
Aladin erinnert. Röglin ist Oberbürgermeister von Wurzen mit | |
SPD-Parteibuch, der Dschinn heißt Benjamin Brinsa und ist ein über Wurzen | |
hinaus bekannter Hooligan aus der Naziszene. Seit Mai ist er auch gewählter | |
Stadtrat. Röglin schüttelt ihm die Hand, wechselt ein paar Worte. Gegenüber | |
steht die Antifa und fotografiert. Das Foto macht nun die Runde. Mit | |
Kommentaren wie: Die Stadt mit Nazis Hand in Hand! | |
Aber ganz so schlicht ist es nicht. Wurzen ist eine Kleinstadt östlich von | |
Leipzig. Bekannt für seine Kekse. Und für seine [1][rechte Szene], die sich | |
in der Stadt fest als Gewerbetreibende etabliert hat. Seit Dienstag sitzen | |
sie auch im Stadtrat. Die AfD und das Neue Forum Wurzen, das sich an die | |
NPD anlehnt, waren die eigentlichen Wahlsieger der Kommunalwahl im Mai, | |
während CDU, SPD und Linke Stimmen verloren haben. Der rechte Block besetzt | |
im Stadtparlament mehr als ein Viertel der Sitze. | |
Ein Szenario, das sich am Sonntag auf Landesebene in Sachsen und in | |
Brandenburg wiederholen könnte. Die AfD liegt in Umfragen bei 25 Prozent, | |
den regierenden Parteien drohen deutliche Verluste. Wurzen ist also | |
Trendsetter und Versuchsfeld. Hier üben die Parlamentarier schon mal den | |
Umgang mit den Rechten, die stark und selbstbewusst geworden sind. | |
Soll man ihnen Paroli bieten? Sollen sie sich selbst entzaubern? Oder muss | |
man gar mit ihnen zusammenarbeiten? Diese Optionen werden gerade in Wurzen | |
diskutiert. | |
## So viele Besucher wie sonst nie | |
Als sich der Stadtrat am Dienstagabend zur konstituierenden Sitzung trifft, | |
interessiert es auch viele Wurzener, wie das mit den Rechten läuft. Die | |
Besucherreihen sind voll wie sonst nie. Er sei das erste Mal zur Sitzung | |
hier, sagt ein junger Mann. Klar wegen denen da, er nickt mit dem Kopf zu | |
den Tischen ganz außen, wo auch Brinsa inzwischen Platz genommen hat. Er | |
finde es schlimm, dass der sich hier so breitmache, mal sehen, was | |
passiere. | |
Durch die geöffneten Fenster des Plenarsaals dringt schwüle Luft. Röglin | |
liest die Namen vor, die jede Fraktion für Ausschüsse und Beiräte nominiert | |
hat. Die Listen werden en bloc abgestimmt, die Stadtverordneten heben nach | |
jeder Aufzählung ihre grünen Stimmkarten. Am Ende der Abstimmungen sitzen | |
weitere Nazis als sachkundige Bürger im Kulturausschuss oder in der | |
Gesellschafterversammlung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Mit | |
Billigung selbst der Linken. | |
Man habe sich vorher darauf geeinigt, diese Wahlen nicht zu blockieren, | |
sagt Jens Kretzschmar, der Fraktionsvorsitzende der Linken. Das koste zu | |
viel Kraft. Aber in der parlamentarischen Arbeit wollen er und seine | |
Fraktion störrischer sein. Die Linke werde keinem Antrag von AfD oder Neuem | |
Forum zustimmen. „Da muss man sattelfest sein.“ | |
In den anderen Fraktionen wollen sie sich nicht so eindeutig festlegen. | |
Was, wenn AfD oder Neues Forum einen Antrag für kostenloses Mittagessen in | |
Kitas einbringen? | |
## 20 kräftige Kerle patroullieren um das Kulturhaus | |
Im Grunde sei man gegen jegliche Zusammenarbeit mit den Rechten, sagt Heinz | |
Richerdt, der sich als künftiger Fraktionsvorsitzender der SPD vorstellt. | |
Aber: „Wenn wir das Mittagessen ablehnen, stoßen wir viele vor den Kopf, | |
die uns gewählt haben.“ Das ist am Vortag der Stadtratssitzung, die taz hat | |
im Kulturhaus zur Diskussion geladen. Draußen ist Brinsa gesichtet worden, | |
er patrouilliert um das Kulturhaus, nach der Veranstaltung werden er und 20 | |
weitere kräftige Kerle noch die beiden Securitymänner einschüchtern. „Es | |
geht um die Sache, alles andere ist Kindergartenniveau“, findet Thomas | |
Zittier, der noch nichts davon weiß. Der Polizist vertritt die „Bürger für | |
Wurzen“ im Stadtrat. | |
Es ist eine bewährte Strategie der Rechten, Anliegen der politischen Gegner | |
zu kopieren und sie so im Parlament vorzuführen. Wer mitspielt, hat schon | |
verloren. Entweder stimmt man für die Rechten oder gegen die eigene | |
Forderung. | |
Die CDU windet sich. Als Landtagskandidat der CDU lehnt Kay Ritter eine | |
Zusammenarbeit mit der AfD ab. Als Stadtrat in Wurzen sagt er: „Hier geht | |
es doch um die Stadt.“ Er überlegt kurz, schiebt dann hinterher: „Ich habe | |
nicht gesagt, dass ich mit denen zusammenarbeiten will.“ Ausgeschlossen hat | |
er es aber auch nicht. | |
Um ein ordentliches Gespräch mit Ritter habe er früher regelrecht betteln | |
müssen, sagt Kretzschmar von der Linken. Nun, angesichts der neuen | |
Machtverhältnisse im Stadtrat, sei die CDU zugänglicher geworden. | |
Man rückt zusammen. Gegen die Rechten. Doch eine gemeinsame Strategie fehlt | |
bislang. Deshalb gehen auch taktische Manöver nicht auf. Für den | |
Dienstagabend hatte Bürgermeister Röglin kurzfristig noch eine Sitzung des | |
Ältestenrats einberufen. Brinsa fehlte, er habe ihn daher freundlich an | |
seine Pflichten erinnert, erklärt Röglin die Szene auf dem Foto. „Nichts | |
anderes.“ Er klingt etwas genervt. | |
Knapp zwei Stunden dauert die erste Sitzung des Wurzener Stadtrats. Sie | |
verläuft unspektakulär. Röglin wirkt nach der Sitzung erschöpft und | |
erleichtert zugleich. Na klar sei er nervös gewesen. Noch nervöser mache | |
ihn allerdings die Landtagswahl am Sonntag. [2][Danach] werde sich zeigen, | |
ob das Land weiterhin regierbar sei. Was die Rechten im Stadtrat angehe? | |
„Schau’n mer mal.“ Röglin geht, diesmal durch den Hinterausgang. | |
28 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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