| # taz.de -- Bundespräsident besucht Polen: Steinmeier bittet um Vergebung | |
| > Der Bundespräsident nahm am Sonntag an der Gedenkfeier in Wieluń teil. | |
| > Die Stadt wurde am 1. September 1939 von der Wehrmacht angegriffen. | |
| Bild: „Wieluń muss in unseren Köpfen und in unseren Herzen sein“, sagte S… | |
| WARSCHAU taz |Mitten in der Nacht stürzte Tod und Feuer vom Himmel. Vier | |
| Mal ließen deutsche Piloten am 1. September 1939 Brand- und Sprengbomben in | |
| die schlafende Kleinstadt Wieluń an der damaligen deutsch-polnischen Grenze | |
| bei Łódź krachen. Immer wieder kehrten die Stukas zurück, rasten mit | |
| ohrenbetäubendem Sirenengeheul auf einzelne Gebäude zu, verfolgten | |
| flüchtende Männer, Frauen und Kinder. Danach lag das | |
| 15.000-Seelen-Städtchen in Schutt und Asche. Zerstört war der | |
| mittelalterliche Stadtkern, das Krankenhaus, einige Kirchen und die große | |
| Synagoge. | |
| In diesem Jahr nimmt mit Frank-Walter Steinmeier zum ersten Mal ein | |
| deutscher Bundespräsident an den Gedenkfeiern zum Kriegsausbruch in Wieluń | |
| teil. Am frühen Sonntagmorgen, [1][am Jahrestag des deutschen Überfalls auf | |
| das östliche Nachbarland], sagte Steinmeier auf dem Wieluńer Marktplatz: | |
| „Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen | |
| Gewaltherrschaft.“ | |
| „Wieluń muss in unseren Köpfen und in unseren Herzen sein“, unterstrich er | |
| vor mehreren tausend Menschen, die sich noch vor Sonnenaufgang im | |
| Stadtzentrum versammelt hatten. Einige hatten Kerzen dabei, zu Beginn der | |
| Gedenkfeier gellten Alarmsignale und riefen die Erinnerung an den Angriff | |
| wach. „Wieluń war ein Fanal, ein Terrorangriff der deutschen Luftwaffe und | |
| ein Vorzeichen für alles, was in den kommenden sechs Jahren folgen sollte“, | |
| so Steinmeier. | |
| Auch Duda sprach von einem Terrorangriff und schilderte die Gräuel des | |
| Bombardements, das die Zivilbevölkerung traf und unter anderem ein | |
| Krankenhaus zum Ziel hatte. „Der Zweite Weltkrieg war ein großes | |
| Verbrechen“, betonte der polnische Präsident. In an Steinmeier gerichteten | |
| Worten dankte Duda, dass dieser sich der Wahrheit stelle: „Dass Sie hier | |
| sind, ist eine Form der moralischen Wiedergutmachung.“ | |
| „Der Zweite Weltkrieg hat die Welt vernichtet“, sagte Duda. Auch wenn es | |
| keine Zeitzeugen mehr gäbe, müsse man sich daran erinnern. | |
| Der Bundespräsident äußerte sich dankbar, dass Polen die Hand zur | |
| Versöhnung gereicht habe. „Deutschland wird immer dankbar dafür sein, dass | |
| es nach dem, was Deutsche den Menschen von Wieluń und Millionen Menschen | |
| auf unserem Kontinent angetan haben, wieder aufgenommen wurde in den Kreis | |
| der Europäer“, erklärte er. | |
| ## Ungeklärt bleibt, wo die ersten Bomben fielen | |
| Die 19-jährige Abiturientin Weronika aus Wieluń hatte vor dem Besuch des | |
| deutschen Bundespräsidenten gehofft, dass es nicht bei Floskeln wie „Ich | |
| schäme mich“ und „Ich bitte um Vergebung“ bleibt. „Steinmeier sollte u… | |
| die Angst vor den Deutschen nehmen und sagen, dass wir Polen uns heute auf | |
| die Deutschen verlassen können, dass die Deutschen uns beistehen, wenn Not | |
| am Mann ist.“ | |
| Auch 80 Jahre nach Kriegsbeginn ist keineswegs geklärt, wo nun tatsächlich | |
| die ersten Bomben fielen – [2][in Wieluń um 4.40 Uhr] und in Danzig auf der | |
| Westerplatte um 4.45 Uhr? Das Problem: Die Zeitzeugen in Wieluń wurden erst | |
| Jahre nach Kriegsende befragt. Dem Zeitsystem an Bord der damaligen | |
| Luftwaffe entsprechend fand der Angriff erst um 5.40 Uhr statt. „Ich bin in | |
| Wieluń aufgewachsen, und hier heulen die Sirenen jedes Jahr um 4.40 Uhr“, | |
| sagt der Schweißer und Rockmusiker Piotr Walaszczyk. „Aber letztlich ist es | |
| doch egal, wo nun die ersten Bomben fielen.“ | |
| Wieluń steht für das erste Kriegsverbrechen der Nazis schon am ersten Tag | |
| des Krieges, Danzig und die Westerplatte stehen hingegen für die mutige | |
| Gegenwehr der dort stationierten polnischen Soldaten. „Ich kämpfe gegen | |
| Hass und Rassismus, wie er leider unter jungen Leuten wieder stärker wird“, | |
| sagt Walaszczyk. „Es wäre gut, wenn der deutsche Bundespräsident uns eine | |
| allgemeingültige Lehre aus der deutschen Geschichte mitbringen könnte, eine | |
| Warnung vor der Katastrophe, zu der Hass und Nationalismus führen.“ | |
| Auch nachdem die Präsidenten Steinmeier und Andrzej Duda nach der | |
| Gedenkfeier am Sonntagmorgen eine Ausstellung zur Bombardierung der | |
| Kleinstadt besichtigt haben, werden sie keine endgültige Antwort auf die | |
| Frage finden, warum die Nazis ausgerechnet Wieluń zu einem ihrer ersten | |
| Kriegsziele bestimmten. War es Terror, um Panik, Angst und Schrecken unter | |
| den Polen zu verbreiten und so deren Kampfgeist zu schwächen? Oder ging es | |
| darum, die neuen Stukas auszuprobieren und das Flächenbombardement zu üben? | |
| Wieluń selbst vergleicht sich oft mit dem spanischen Guernica, das 1937 | |
| ebenfalls von Deutschen aus der Luft zerstört wurde und weltweit als Symbol | |
| für deutsche Kriegsverbrechen gilt. | |
| ## Danzig spielt eine untergeordnete Rolle | |
| Am Sonntag um 12 Uhr beginnt die Hauptgedenkfeier in Warschau auf dem | |
| zentralen Piłsudski-Platz. Obwohl sich 40 ausländische Delegationen mit | |
| insgesamt 250 Gästen angekündigt haben, werden nur zwei Präsidenten eine | |
| Gedenkrede zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns halten: Duda und Steinmeier. | |
| Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird erwartet. | |
| Außerdem wird auch US-Vizepräsident Mike Pence zugegen sein, der Donald | |
| Trump vertritt. Möglicherweise, so wird spekuliert, verkündet Pence bei | |
| seinem Besuch in Polen auch die Verlegung von 1.000 oder mehr US-Soldaten | |
| von Deutschland nach Polen. Sie sollen wie auch alle bisherigen | |
| Nato-Soldaten auf polnischem Boden regelmäßig den Standort wechseln, also | |
| keine feste Nato-Basis bilden. | |
| Die Ostseestadt Danzig, in der bislang die Hauptgedenkfeiern zum Ausbruch | |
| des Zweiten Weltkriegs stattfanden, spielt in diesem Jahr nur eine | |
| untergeordnete Rolle. Die rechtspopulistische Regierung der PiS nimmt es | |
| der Danziger Oberbürgermeisterin und dem Stadtrat von Danzig übel, dass | |
| diese in einer weltoffenen Stadt leben wollen, in der auch die deutsche | |
| Vergangenheit ihren Platz hat und nicht vollständig als Nazigeschichte | |
| verworfen wird. | |
| Vor Kurzem übernahm der Staat einen großen Teil der Danziger Westerplatte. | |
| Hier soll nun ein Westerplatte-Museum entstehen, das die bislang | |
| authentischen Ruinen des Munitionsdepots und der polnischen Kasernen | |
| ersetzen soll. In den letzten Monaten hat bereits der PiS-nahe neue | |
| Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs die Opferzahlen verändert, | |
| sodass Polen nun als dasjenige Volk erscheint, das im Zweiten Weltkrieg – | |
| prozentual gesehen – die meisten Opfer zu beklagen hatte. Dabei sollte das | |
| vom renommierten Historiker Pawel Machcewicz konzipierte Danziger Museum | |
| ursprünglich die Opferperspektive aller unter der Nazi- und | |
| Sowjetokkupation leidenden Gesellschaften zeigen. | |
| Die konservativ-populistische Regierung in Warschau hatte zuvor | |
| angekündigt, am 1. September auf der Westerplatte den Grundstein für die | |
| neue Filiale des Museums des Zweiten Weltkriegs legen zu wollen – gegen den | |
| erklärten Willen der Stadt Danzig. (mit dpa) | |
| 1 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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