| # taz.de -- Berliner Mietendeckel: Ganz schön unsolidarisch | |
| > Berlin will die Mieten deckeln. Einige werden profitieren. Aber für | |
| > Neuzugezogene und jene, die ihr Erspartes in Eigentum gesteckt haben, | |
| > wird es hart. | |
| Bild: Die Lebensentwürfe in Berlin sind bunt, deshalb ist ein Mietendeckel kei… | |
| Vor drei Jahren wurde ich aus der Berliner Innenstadt herausgentrifiziert. | |
| Mein Freund und ich wollten zusammenziehen, aber im Zentrum fanden wir | |
| keine Wohnung, trotz zweier mittelmäßiger Einkommen. Nach einem Jahr Suche | |
| gaben wir auf und zogen nach Köpenick, tief in den Berliner Südosten. Jetzt | |
| pendeln wir, jeder von uns am Tag zwei Stunden. | |
| Unsere Singlewohnungen lagen in Neukölln und Kreuzberg. Als wir Nachmieter | |
| für sie suchten, erlebten wir die andere Seite des Berliner Wohnungsmarkts | |
| – Menschen riefen uns im Minutentakt an und boten uns aus Verzweiflung | |
| Bestechungsgelder. Wir haben natürlich abgelehnt. | |
| Und jetzt der [1][Vorstoß für einen Mietendeckel in Berlin], mit dem | |
| Altbauten höchstens 6 Euro pro Quadratmeter kosten – das klingt wie ein | |
| Traum. Eine Reise zurück ins Jahr 2011, als Berlin noch günstig war und so | |
| leer, dass es Spaß gemacht hat, stundenlang durch die Stadt zu spazieren. | |
| Aber die Zeiten sind vorbei, und man kann sie auch nicht mit einem | |
| brachialen Gesetz wieder zurückholen. | |
| Viele Menschen, die zur Miete wohnen, jubeln jetzt natürlich. Denn | |
| jahrelang haben sie nur die kalte Macht der Vermieter gespürt, die sie | |
| immer mehr ausgequetscht haben. Jetzt hoffen sie auf Genugtuung. | |
| Aber abgesehen [2][von allen juristischen Problemen], die ein solcher | |
| Mietendeckel mit sich brächte, und abgesehen von der absurden Vorstellung, | |
| die maroden Berliner Bezirksämter könnten einen solchen Eingriff | |
| tatsächlich irgendwie verwalten – er wäre auch unsolidarisch. Denn | |
| profitieren würden nur die Mieter, die bereits eine Wohnung haben. Am | |
| knappen Angebot würde er nichts ändern. Er würde ein Symptom bekämpfen, | |
| denn die Mieten sind nur deshalb so extrem angestiegen, weil der Wohnraum | |
| in Berlin bei Weitem nicht ausreicht. Es wurde jahrelang zu wenig gebaut, | |
| vor allem fehlen Sozialwohnungen. | |
| Angenommen, man zählt also nicht zu den Menschen, die es in ihrer Wohnung | |
| in der Innenstadt gerade schön gemütlich haben – angenommen, man kommt neu | |
| in die Stadt. Oder man bekommt ein Kind und sucht eine größere Wohnung. | |
| Oder man trennt sich von seinem Partner und sucht eine kleinere. Dann | |
| stünde man vor der absurden Situation, dass die Miete theoretisch zwar | |
| günstig wäre, man aber an keine Wohnung kommt. Denn selbst Gutverdiener, | |
| die sich eine teure Miete leisten könnten, würden sich dann um ähnliche | |
| Wohnungen bewerben wie Geringverdiener. | |
| Schlimmer noch: Das Angebot würde vermutlich noch knapper werden. Denn | |
| Gutverdiener könnten sich ja dann größere Wohnungen als bisher leisten – | |
| oder auch mehrere, zum Beispiel Wochenendpendler. Dadurch würde das Angebot | |
| weiter sinken. | |
| Es würde also vermutlich ein Schwarzmarkt entstehen. Bestechungsgelder | |
| würden wohl normal. Oder man müsste jemanden kennen, um an eine Wohnung zu | |
| kommen. Alles keine verlockenden Vorstellungen und das Gegenteil von | |
| solidarisch. | |
| Dazu kommt: Menschen, die sich seit 2011 eine Eigentumswohnung gekauft | |
| haben, müssten hinnehmen, dass ihre Immobilie an Wert verliert, wenn die | |
| Mietpreise nicht nur eingefroren, sondern auf das Niveau von 2011 gesenkt | |
| werden. Da kann man sagen: Was kümmern mich diese Leute? Wer sich eine | |
| Eigentumswohnung leisten kann, gehört sowieso zu den oberen Zehntausend. | |
| Nun gehört es aber in vielen Ländern dieser Welt, die ärmer sind als | |
| Deutschland, zum Erwachsenwerden dazu, in Eigentum zu investieren, sobald | |
| man einen halbwegs stabilen Job hat. Auch in anderen | |
| Gesellschaftsschichten, wie zum Beispiel im Arbeitermilieu, ist das so. Es | |
| trifft also auch Migranten und Arbeiterkinder, die in den vergangenen | |
| Jahren ihre Ersparnisse zusammengekratzt haben, um sich mit einer Immobilie | |
| ein Stückchen Sicherheit zu kaufen, oft auch deshalb, weil sie wissen, dass | |
| sie sich im Alter nicht auf eine Erbschaft verlassen können und sich | |
| deshalb selbst um ihre Altersvorsorge kümmern müssen. Diese Menschen für | |
| die verfehlte Wohnungspolitik des Berliner Senats zu bestrafen, wäre unfair | |
| und eben auch unsolidarisch. | |
| ## Ruin für Kleinanleger | |
| Wenn diese „Kleinanleger“, wie es so schön heißt, gezwungen wären, ihre | |
| Immobilie zu vermieten, weil das Leben dazwischen kommt – wegen Jobwechsel, | |
| Familienvergrößerung oder Trennung –, könnte das ihren Ruin bedeuten. Denn | |
| von einem Quadratmeterpreis von 6 Euro kann man keinen Immobilienkredit | |
| abbezahlen. Die Raten für einen solchen Kredit sind für Menschen, die in | |
| den vergangenen acht Jahren eine Wohnung zu einem halbwegs vernünftigen | |
| Preis gekauft haben, in der Regel etwa doppelt so hoch. Es könnte also dazu | |
| kommen, dass ein Gutverdiener von einer niedrigen Miete profitiert, während | |
| ein Mensch mit mittlerem Verdienst mit seinem Einkommen den Mietausfall | |
| kompensieren müsste, um die Raten für den Kredit zu bedienen, weil er die | |
| Wohnung aus irgendwelchen Gründen nicht mehr selbst nutzen kann. | |
| Es ist schade, dass der Berliner Senat [3][künstlich eine vergangene Zeit | |
| konservieren will]. Das wird nicht klappen. Es wäre wünschenswert, dass er | |
| die Veränderungen in der Stadt positiv gestaltet, Menschen ein Wohnen in | |
| Würde ermöglicht und soziale Unwuchten dämpft. Eine Mietpreisbremse kann | |
| Teil davon sein, das massenhafte Aufkaufen von Wohnungen durch das Land | |
| auch. Vor allem aber braucht es einen aktiven Wohnungsneubau, der günstigen | |
| Wohnraum schafft. | |
| Was man sofort ändern könnte: Die Taktung des Nahverkehrs in die Berliner | |
| Randgebiete erhöhen und so die Anbindung verbessern. Denn dort ist Platz | |
| und die Mieten sind noch günstig, im Gegensatz zu vielen anderen | |
| europäischen Metropolen. Das Zentrum ist einfach zu voll. | |
| 28 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Berliner-Mietendeckel/!5617933 | |
| [2] /Nach-Entscheidung-zur-Mietpreisbremse/!5616238 | |
| [3] /Entwicklungssenatorin-uebers-Wohnen/!5607889 | |
| ## AUTOREN | |
| Steffi Unsleber | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mietendeckel | |
| Deutsche Wohnen & Co enteignen | |
| Katrin Lompscher | |
| Katrin Lompscher | |
| Katrin Lompscher | |
| Mietendeckel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mietendeckel in Berlin: Die Obergrenze kommt | |
| Nach einer turbulenten Woche verständigt sich der Berliner Senat auf eine | |
| Mietenbegrenzung für fünf Jahre. Das ist einmalig in Deutschland. | |
| Berliner Mietendeckel: Das richtige Signal | |
| Über den geleakten Entwurf der Berliner Senatorin Lompscher schäumt die | |
| Lokalpresse. Dabei macht die Politikerin bloß ihren Job: linke Politik. | |
| Radikaler Mietendeckel in Berlin: Jetzt wird's dirty | |
| Die Mieterbewegung sieht die weitreichenden Vorschläge für einen | |
| Mietendeckel als großen Erfolg. Jetzt gelte es, diese gegen Angriffe zu | |
| verteidigen. | |
| Nach Entscheidung zur Mietpreisbremse: Für den Mietendeckel wird es schwer | |
| Die bundesweit geltende Mietpreisbremse verstößt nicht gegen das | |
| Grundgesetz. Über die Rechtssicherheit sollte man sich aber nur bedingt | |
| freuen. |