# taz.de -- Ausstellung in den Uferhallen: Kunst gegen Internetraketen | |
> In den Weddinger Uferhallen findet mit „Eigenbedarf“ die letzte Werkschau | |
> der ansässigen KünstlerInnen statt. | |
Die schlechten Nachrichten vorweg, ohne die sich diese Ausstellung nicht | |
begreifen lässt: Anfang Juni verkündete der Konzern Rocket Internet, durch | |
den Aufkauf junger Start-up-Ideen sei kein großes Geld mehr zu machen. Das | |
Internet sei praktisch dicht, fertig, aus die Maus. Was tun? Nun, man wolle | |
Boden, Wohnhäuser und Krankenhäuser ankaufen – dort sei noch Spitzenrendite | |
drin. | |
Übersetzt heißt das: Berlins Start-upper*innen, viele davon ewige | |
Aufstocker*innen, dürfen nicht mal mehr hoffen, nach ein paar Jahren | |
Entwicklung ihre Programmierer- und E-Trade-Klitschen zu verkaufen, um mit | |
dem Erlös etwa eine kleine Eigentumswohnung anzuzahlen. Sie sollen nach dem | |
Willen der Rocket-Macher nun kräftig Wohnungsmiete überweisen und dafür als | |
Krankenpfleger oder Masseur*innen in privaten Spitälern und | |
Wellnesscentern jobben: „Eure Zukunft in unserem Kapitalismus!“ So hätte | |
der Titel der am Samstag eröffneten Ausstellung „Eigenbedarf“ in den | |
Weddinger Uferhallen auch lauten können. | |
Denn das 40.000-Quadratmeter-Areal wurde für rund 30 Millionen Euro | |
aufgekauft. 2006 hatte der rot-rote Senat die ehemaligen | |
BVG-Reparaturhallen noch für 6 Millionen hastig verscheuert, aber immerhin | |
noch den Wunsch in den Vertrag schreiben lassen, der neue Eigentümer solle | |
Kulturproduktion berücksichtigen. | |
Für den nun realisierten Gewinn von 24 Millionen und eine Rendite von 400 | |
Prozent binnen dreizehn Jahren war das nicht mal ein Kollateralschaden. Die | |
Künstler*innen können nun früher oder später einpacken, melden aber | |
künstlerisch „Eigenbedarf“ an. Die Produktionshallen stehen unter | |
Denkmalschutz, renditeträchtig ist aber der Boden, den die Brüder schnell | |
bebauen wollen, dicht und hoch. Womit, ist unklar. | |
## Trichter über Karstland | |
„Berlin ernährt seine Künstler nicht“, erklärt der Bildende Künstler Ulf | |
Saupe vor seiner Keramikskulptur, daran habe man sich schon gewöhnt. „Die | |
Stadt hat es zu lange versäumt, alle Kulturschaffenden als etwas | |
Schützenswertes zu sehen.“ Er selbst stellte zuletzt in der Public Library | |
in New York aus. Seine Skulptur zeigt den Grundstücksumriss des | |
Nestlé-Konzerns in der Schweiz als verkarstete Mars-Oberfläche. Ein Gruß | |
aus der Zukunft. Über dem Karstland hängt ein ausgetrockneter Trichter in | |
archäologischer Anmutung, leere „Pure Life“-Wasserflaschen sprudeln schon | |
lange keine Rendite mehr. | |
Der an der Kasseler Kunstakademie studierte Künstler will „konzeptionell, | |
nicht pädagogisch sein“. Er bemängelt das in Deutschland völlig | |
unterentwickelte Mäzenatentum. Käufer gebe es eigentlich nur im Ausland, | |
versteuert würde die verkaufte Kunst dann in Berlin, erklärt er in seinem | |
Atelier mit Tropfen-Surround-Sound und seinen Yves-Klein-blauen | |
„Cyanotypien“ zum Thema Wasser. | |
Wie Plastikmaterialien jenseits des Supermarkt-Verpackungsterrors | |
eingesetzt werden können, zeigt die Künstlerin Antje Blumenstein mit „Two | |
Folded Pieces“. Für ihre Plastik hat sie das Erdölgemisch als Werkstoff | |
verwendet – und zeigt damit einen Kunststoff, der mit klarer Kante im | |
dreidimensionalen Raum mathematische Hirnareale anregt. Für die | |
Ausstellungseröffnung hat sich Blumenstein einen Blumenbalkon vor ihr | |
Atelier gezimmert. „Schöne neue Welt“ heißt das ironische Stück nach Ald… | |
Huxley. Von hier aus kann sie die Bauarbeiten der Samwer-Brüder auf dem Hof | |
betrachten. | |
Was passiert, wenn Start-upper*innen, Jobber*innen, Künstler*innen – und | |
generell die Stadtbewohner*innen – aus ihren Arbeits- und Wohnräumen | |
gejagt werden, zeigt der Schlusspunkt der von Isabelle Meiffert kuratierten | |
Ausstellungshalle. Der Künstler Peter Knoch hat armlange | |
Puppenspielerfiguren an Führdrähten aufgehängt, die dem Betrachter | |
entgegengehen. Es ist eine abgerissene, isolierte Gesellschaft, die sich | |
erschöpft aber bewaffnet auf den Weg in die Gated Communities und | |
Wellnessoasen gemacht hat. | |
## Mobikes zu Skulpturen | |
Der Anblick entfaltet Wirkung. Als der Verfasser dieser Zeilen einen | |
anderen Ausstellungsbesucher vor der Figurengruppe fragt, ob er der | |
Künstler sei, wendet sich der gut gekleidete Senior mit gepflegtem | |
Rauschebart sofort ab – „Nein!“ – und verschwindet entschlossenen Schri… | |
Richtung Ausgang. Da muss er allerdings an der zeit-, raum- und | |
körperbezogenen Performance von Isaac Chong Wai vorbei. Das Ensemble | |
exerziert dezent und präzise verschiedene Körperbeherrschungstechniken | |
durch. Etwas weiter stapelt Lena Marie Emrich Elektroräder der Marke | |
„Mobike“ im Dutzend auf, die Uber-Taxis des Fahrradverleih-Kleingewerbes | |
werden zur Open-Air-Skulptur. | |
Es gäbe noch weit mehr gute Nachrichten aus den Uferhallen zu beschreiben, | |
wo dieser Tage neue Kunst am Ort ihrer Entstehung zu besichtigen und rund | |
70 echte Bildende Künstler*innen in ihren Ateliers für jedermensch | |
ansprechbar sind, wie auch der beeindruckende Peter Klare, der ein | |
alternatives Entwicklungskonzept für das Areal vollständig ausgereift hat. | |
Diese Ausstellung hat echtes internationales Kunstniveau zu bieten; | |
Familien mit kleinen Kindern können sich auf dem Gelände gut bewegen. | |
Anmerkung der Redaktion: | |
In einer früheren Version haben wir geschrieben, die Samwer-Brüder, Eigner | |
von Rocket, hätten das 40.000-Quadratmeter-Areal über eine andere | |
juristische Person – Augustus Immobilien – aufgekauft. Das war falsch. Die | |
Uferhallen gehören einer größeren Gruppe von Gesellschaftern, darunter nur | |
einem der Samwer Brüder. Auch handelt es sich bei der erwähnten Augustus | |
Management GmbH nicht um eine Beteiligungsgesellschaft. Sie hat die | |
Uferhallen nicht erworben. | |
26 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Anselm Lenz | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Musiktheater | |
Im Haifischbecken | |
Rocket Internet | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rocket Internet kündigte trotz Corona: Merkste selbst, ne! | |
Gekündigt während der Pandemie: Erst nachdem Mieter:innen auf sozialen | |
Netzwerken für Empörung sorgten, nahm Rocket Internet Kündigungen zurück. | |
Musical zur Wohnungsfrage: Das Böse hat ziemlich gute Musik | |
Mit einem Musical von Christiane Rösinger startete in Berlin das Festival | |
„Berlin bleibt“ zur Stadt- und Wohnungspolitik. | |
Im Haifischbecken: Stress nach 30 Jahren | |
Als „lebendiges Denkmal“ hat ein ex-besetztes Haus in Mitte überlebt. Jetzt | |
aber machen die Samwer-Brüder Druck. | |
Rocket Internet investiert in Immobilien: Samwer-Brüder in Shopping-Laune | |
Ein erster Kauf scheiterte, doch Rocket Internet will viel Geld in den | |
Immobilienmarkt investierten. Mieter in Häusern der Samwers klagen. |