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# taz.de -- Geburtstag der Postkarte: Mit Gruß und Kuss
> Zwischen Liebesbeweis und Propagandamittel: Das Berliner Museum für
> Kommunikation beschäftigt sich zum 150. Jubiläum mit der Postkarte.
Bild: Die erste Postkarte
Postkarten schreiben, Postkarten bekommen: Ich erinnere mich an eine Karte,
die ich vor vielen Jahren aus dem Briefkasten zog: Auf der illustrierten
Seite war ein Bilderwitz aus der historischen Satirezeitschrift
Simplicissimus abgedruckt: Ein bayerisch-militärisch uniformierter
Briefträger übergibt da auf dem Land die Post und fragt den Empfänger
schelmisch-herablassend: „Na, Großbauer, könnt Ihr denn auch lesen, was
Euer Sohn, der Student, Euch schreibt?“ „Ach nein“, antwortet der Bauer,
„wir schicken ihm halt Geld, wenn er schreibt.“ Hinten, auf der
eigentlichen Mitteilungsseite, befand sich dann nur meine damalige Adresse
und so etwas wie „Hier alles beim alten, melde dich mal wieder, Gruß P.“
Wenn Zweifel aufkommen: Das P. stand für Papa.
Dass Bilder oder Kürzestkürzel mehr als tausend Worte sagen, ist
Kernbotschaft und sinnliches Haupterlebnis der gerade im Museum für
Kommunikation in Berlin-Mitte eröffneten Ausstellung zum 150. Jubiläum der
Postkarte.
Man lernt dabei so einiges: Erstens hätte jedenfalls ich die Postkarte
deutlich früher verortet; ich dachte da etwa an den regen Zettelverkehr aus
dem Eben-nicht-nur-Briefwechsel von Schiller und Goethe, in dem es
inhaltlich postkartentypisch um Ab- und Zusagen von gegenseitigen Besuchen
oder auch banal-geschäftlich um die Verfügbarkeit einer bestimmten
Papiersorte geht. Aber das geschah eben noch per Bote, ohne Frankatur und
Stempel, zwei der Elemente, die die moderne Postkarte ausmachen.
Zweitens ist in Berlin zu sehen, dass die Postkarte zu Beginn ihrer
Karriere eben durchaus von der Schrift geprägt war, weswegen die erste in
Österreich 1869 abgesandte (und spektakulär in der „Schatzkammer“ des
Kommunikationsmuseums präsentierte) Jubiläumskarte eben nur solche enthält.
Das heutige Hinten war das damalige Vorne und für Adresse, Porto und
Stempel reserviert, auf der Rückseite konnte man sich textlich ausmähren.
## Überleben in der digitalen Ära
Dieses Verhältnis verschob sich dann mit der Zeit immer mehr, bis 1905 die
Form gefunden war, die wir heute noch kennen: vorn ein Bild, hinten die
Einteilung in Text- und Adressfeld. Dieser Wandel entsprach den
Bedürfnissen. Die Geschichte der Postkarte ist wie die vieler Medien und
Schriftmaschinen eine von der Notwendigkeit zur Freiheit: Das Pergament,
das handgeschriebene Manuskript, das gedruckte Buch, die Tageszeitung auf
Papier, der Federkiel, die Schreibmaschine – all diese Dinge braucht heute
niemand mehr unbedingt, aber sie existieren doch noch, zumindest als
Liebhaberei; und so wird die Postkarte möglicherweise auch die
elektronischen Grußformen überleben, Mail, SMS, Postkarten-App und so
weiter, und damit das so gut wie verschwundene Telegramm, den alten,
allerdings immer schon deutlich teureren Konkurrenten, endgültig
ausstechen.
Weil die Postkarte schön ist, sinnlich; aber auch eben deswegen schrecklich
beliebt und wirksam als Propagandamittel. Krieg, Kolonialismus, Rassismus,
Antisemitismus: die Postkarte bildet all das ab, schickt es in die Welt –
besonders gemein, weil eine individuelle Kaufentscheidung hinter der
Verbreitung steht.
Die kleine, leicht zu konsumierende Ausstellung zeigt das in allen
denkbaren Facetten, den positiven natürlich auch; da gibt es Grüße und
Küsse und Scherze und ganz sparsam auch Erotik. An Weihnachten übrigens
sind alle Ideologien gleich, was die Motive angeht – jedenfalls im
deutschsprachigen Raum, auf den sich die Schau beschränkt.
Die Postkarte ist ein offenes Mittel der Kommunikation. Das wurde schon
1865 kritisiert, als der Postreformer und spätere Gründer des
Reichspostmuseums, Heinrich von Stephan, die Einführung eines „offenen
Postblattes“ als einfache und kostengünstige Alternative zum Brief noch
vergebens vorschlug. Ob sich heute die NSA die Mühe macht, Postkarten zu
scannen – wer weiß. Die ausgestellten Postkarten von Häftlingen aus den
nazideutschen Konzentrationslagern zeigen auf zynisch-herzzerreißende Weise
diese Ausgeliefertheit der Mitteilung und der Mitteilenden. Man soll sich
das ansehen, bitte. Und dafür sorgen, dass es auch andere sehen.
Die Post wird heute nicht mehr wie im Berlin der Wende vom 19. ins 20.
Jahrhundert bis zu elfmal am Tag zugestellt, als frisch Verliebte einander
vom Morgen bis zur guten Nacht fortlaufend per Kartengruß ihre Leidenschaft
versichern konnten. Heute sind wir froh, wenn die Post überhaupt kommt,
dafür quillt das E-Mail-Postfach bei der Arbeit jeden Tag über.
Aber sie wird bleiben die Postkarte, hoffe ich jedenfalls und unterschreibe
die Karten an meine Kinder aus unerfindlichen Gründen genau wie mein Vater
mit „Gruß P.“ Nächstes Jahr übrigens feiern wir dann 100 Jahre Radio, ein
Medium, das gerade mit den Podcasts eine erweiternde Wiedergeburt (oder
umgekehrt) feiert. Man kann den Menschen ja viel vorwerfen – aber nicht,
dass sie nicht auf immer neue Weisen miteinander ins Gespräch kommen wollen
würden.
24 Aug 2019
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Post
Kommunikation
Berlin-Mitte
Briefe
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