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# taz.de -- Perseiden-Nacht auf dem Friedhof: Hinter den Wolken
> In der Perseiden-Nacht trafen sich Menschen zum Sternschnuppen-Gucken auf
> dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg – trotz schlechter Aussichten.
Bild: Sternschnuppen im Perseidenstrom: Nicht in Hamburg, aber 2018 in Brandenb…
Wir sitzen auf dem Friedhof und warten auf die Sterne. Es ist
Perseiden-Nacht. Wegen eines Meteorstroms sind im August viele
Sternschnuppen zu sehen, heute sollen es besonders viele sein. Der
Ohlsdorfer Friedhof hat deswegen in dieser Nacht zum Sternschnuppen-Gucken
die Tore offen gelassen.
Es dämmert. Auf einer runden Grasfläche mitten auf dem Friedhof haben die
Friedhofsmitarbeiter Liegestühle aufgestellt – „Auszeit, Freizeit,
Ewigkeit“ steht darauf. Die Laternen sind ausgeschaltet. Fledermäuse
huschen durch die Luft. Radfahrer fahren leise über die Wege, sternförmig
laufen Menschen von verschiedenen Seiten auf den Platz zu, breiten Decken
auf dem Boden aus, flüstern, schauen in den Himmel.
Es hat etwas Rührendes, wie sich die Menschen so hoffnungsvoll auf den Weg
gemacht haben. Wie die Lebenden hier bei den Toten auf der Erde liegen und
in den Himmel schauen, wirkt es, als würde sich etwas verbinden – die
Unfassbarkeit von Leben und Tod mit der Unendlichkeit des Alls. Eine
Sehnsucht wird spürbar, die die Menschen über die Jahrhunderte verbindet.
Die Sterne zu betrachten, Wünsche in den Himmel zu schicken. Dabei sind die
Wetteraussichten nicht gut. Der Himmel ist bedeckt. Es soll regnen.
In der Mitte der Wiese tauchen so plötzlich zwei korpulente Gestalten auf,
als wären sie gerade selbst vom Himmel gefallen. Ein Mann und eine Frau.
„Ist es hier, ist es hier?“, fragt der Mann laut. „Kann man schon was
sehen?“ Niemand antwortet. Die beiden lassen sich schwerfällig auf ihre
Jacken auf den Boden sinken.
Hinter uns klingt eine leise Stimme. „Wisst ihr, wo Perseus aufgeht, das
Sternbild?“ Ein Mann mit Kappe steht hinter den Liegestühlen, als würde er
Anschluss suchen: „Er steht im Osten habe ich im Astronomie-Radio gehört.“
„Ist hier Bramfeld-Mitte, 23 Grad?“, fragt der Mann auf der Wiese. Er
schaut auf sein Handy.
„So ein Erlebnis hat man nur einmal im Leben“, sagt die Frau.
„Ne, das ist jedes Jahr“, ruft jemand aus dem Hintergrund.
„Das nächste Mal ist erst in 50 Jahren“, sagt der Mann unbeirrt. „Da wä…
ich 104, das würde ich nicht erleben“, meint er, wie um zu betonen, dass er
genau in zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.
Die Zeit vergeht, doch es wird nicht Nacht. Der Lichtsmog der Stadt ist so
stark, dass nach 22 Uhr der Himmel milchig-hell bleibt. Nach einiger Zeit
packen die ersten ein und fahren. Rote Rückleuchten von Fahrrädern
schwirren davon, als wären es tanzende Friedhofslichter.
„Ich glaub, die Sternschnuppen kommen trotzdem“, sagt der Mann. Er flüstert
mit der Frau. „Das darfst du doch nicht verraten“, raunt sie. „Sonst geht
das nicht in Erfüllung.“ Haben sie sich etwas gewünscht? Vielleicht ist das
ja genau richtig. Sich etwas zu wünschen, selbst wenn die Sternschnuppen
nicht zu sehen sind. Sie sind ja trotzdem da, hinter den Wolken.
Ganz langsam wird es dunkel. Dann fängt es an zu regnen.
„Petrus, hör auf“, sagt die Frau. „Immer wenn man sich auf was freut, da…
regnet es. Es wird ausfallen“, sagt sie auf einmal bitter.
Noch mehr Menschen verlassen den Platz.
„Um 23 Uhr soll die Wolkendecke etwas auflockern“, sagt nun ein Mann in
einem Liegestuhl, der bislang unauffällig geblieben ist.
Er erzählt, dass er Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit der Hamburger
Friedhöfe sei: „Ausgerechnet heute ist es bedeckt“, sagt er. „Morgen sch…
soll es klarer sein.“ Er wirkt enttäuscht. „Aber vielleicht klappt es
später. Die beste Zeit für die Sternschnuppen ist um drei Uhr morgens.“
„Wir müssen ja wieder runterkommen vom Friedhof“, sagt der Mann. „Wann
fährt der letzte Bus nach Steilshoop?“
„Gleich haben wir Geisterstunde“, sagt jemand. Der Friedhofsmitarbeiter
erzählt von den Uhus, die hier brüten. Er bietet dem Paar an, sie gleich
über den Friedhof zum Tor zu fahren. Es regnet noch stärker. Wir brechen
nun auch auf. Das Paar und der Mann von der Öffentlichkeitsarbeit bleiben
unter einem Baum nebeneinander auf den Liegestühlen sitzen. Sie blicken in
den Himmel. Und ich denke, sie sind die Sternschnuppen in dieser Nacht.
16 Aug 2019
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
Sternschnuppen
Kolumne Zwischen Menschen
Friedhof
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Astronomie
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