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# taz.de -- Opfer von Menschenhandel: Ein deutsches Kind als Ausweg
> Viele Vietnamesinnen tun alles, um von einem Deutschen schwanger zu
> werden. Ein Übersetzer erzählt, wie und warum.
Bild: Wenn es keinen Asylgrund gibt, hilft manchmal nur eine Schwangerschaft
Auf einer Bank vor einem Flüchtlingsheim sitzen drei vietnamesische Frauen.
Zwei haben ihr Neugeborenes im Arm, die dritte Frau ist noch schwanger. Die
Frauen sind jung, fast zu jung für ein Kind, und der Ort ist offenkundig
keiner, an dem man mit neu geborenem Kind leben möchte. Dennoch sehen die
Frauen sichtlich zufrieden aus.
Exakt 398 Menschen aus Vietnam meldeten sich im ersten Halbjahr 2019 beim
Land Berlin als asylsuchend. Das ist fast eine Verdoppelung gegenüber den
Vorjahren. Ein Großteil von ihnen, nämlich 62 Prozent, waren Frauen, von
denen wiederum über 80 Prozent schwanger waren.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) sowie Mitarbeiter in
Flüchtlingsheimen berichten, dass sich die schwangeren Frauen in der Regel
erst dann bei den Behörden melden, wenn der Mutterschutz greift, sie also
in dem sehr wahrscheinlichen Fall der Ablehnung des Asylantrags nicht mehr
abgeschoben werden können.
Auch danach sind Abschiebungen die absolute Ausnahme. „Die Vietnamesinnen
kommen in der Regel mit einer vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung eines
deutschen Vaters oder eines nichtdeutschen Vaters mit
Niederlassungserlaubnis“, sagt Karin Rietz, die Sprecherin von
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Damit kommen die Kinder als
deutsche Staatsbürger auf die Welt. Und als Mutter eines Deutschen genießen
auch die Frauen dann Abschiebeschutz.
Wo sie aber bis zum achten Schwangerschaftsmonat tatsächlich wohnten, was
sie taten, das bleibt oft im Dunkeln. Gehörten sie vielleicht zu den
illegal eingereisten, versklavten und dann verschwundenen Kinder und
Jugendlichen aus Vietnam, die über Monate oder Jahre in einer Grauzone
lebten und arbeiteten und von denen Medien im Juni berichteten?
## In der Schuldenfalle
Ein vietnamesischer Übersetzer kann einige Geschichten erzählen. Fast immer
würden die Frauen aus dem armen, vom Klimawandel stark betroffenen
Zentralvietnam stammen, in dem junge Leute seit einer ganzen Generation in
der Auswanderung ihren Ausweg aus der Misere suchen. Das höre man deutlich
an ihrem Dialekt. Er erzählt von einer Frau, die von der Slowakei legal als
Arbeitskraft in der Gastronomie angeworben wurde, dann arbeitslos wurde. In
Deutschland habe sie größere Chancen gesehen, ihre Schulden abzuarbeiten,
denn für den Arbeitsvertrag in der Slowakei habe sie viel Geld an mafiöse
Netzwerke zahlen müssen. Die Schuldeneintreiber hätten schon ihre
Verwandten in Vietnam bedroht.
Eine andere Frau, für die er übersetzt, hatte über Jahre in einem
arabischen Land gelebt, war dort versklavt worden. Ihr gelang die Flucht
nach Deutschland, wo sie einige Zeit im Untergrund lebte und jobbte. Von
einem deutschen Mann schwanger zu werden, war ihre einzige Chance, ihr
Leben endlich zu legalisieren. Andere Frauen, erzählt er, wollten
eigentlich nach Großbritannien reisen, wurden während der Flucht aber
ungewollt schwanger und blieben in Deutschland.
„Ob sie vergewaltigt wurden, das will ich eigentlich nicht so genau
wissen“, sagt der Mann, der offiziell als Dolmetscher in Berlin arbeitet.
„Die Frauen suchen aber erst dann die Hilfe von Vereinen, den
Sozialarbeitern im Wohnheim und von Dolmetschern, wenn sie eine
Aufenthaltserlaubnis für Deutschland haben. Vorher organisiert die
Schleuserstruktur alle Hilfen für viel Geld.“
Auf der politischen Ebene wird über die Frauen seit Jahren immer wieder im
Zusammenhang mit „Scheinvaterschaften“ diskutiert. Hintergrund ist, dass
der Vater auf dem Papier, der dem Kind zu einem deutschen Pass verhilft,
oft weder Erzeuger noch sozialer Vater ist. Es sind bekanntermaßen häufig
deutsche Sozialhilfeempfänger, die sich von den Frauen für die
Vaterschaftsanerkennung bezahlen lassen und bei denen kein Unterhalt für
das Kind zu holen ist.
Konservative Innenpolitiker klagen in regelmäßigen Abständen über den, wie
sie es nennen, „Asylmissbrauch“ sowie den „Missbrauch von
Sozialleistungen“. Zweimal hat der Gesetzgeber versucht, diesen speziellen
Vaterschaftsanerkennungen einen Riegel vorzuschieben. 2008 wurde das sehr
liberale Kindschaftsrecht so verändert, dass in den Fällen, wo sich das
Aufenthaltsrecht eines Elternteils durch die Geburt eines deutschen Kindes
änderte, Behörden das Recht erhielten, die Vaterschaft anzufechten.
Dazu mussten die Behörden allerdings nachweisen, dass weder eine
biologische noch eine sozialfamiliäre Vaterschaft besteht. Das Gesetz wurde
2014 in Karlsruhe gekippt. Ein Änderungsversuch des Gesetzgebers von 2017
greift in der Praxis nicht.
## Frauen zahlen den Männern sogar Geld für Sex
Die Mütter und ihre Kinder bleiben also hier. Der Übersetzer berichtet
zudem, etliche Frauen hätten ihre Notlösungen geändert: Sie ließen sich
tatsächlich von deutschen Männern aus dem Trinkermilieu schwängern und
zahlten den Männern auch noch Geld für den Sex. Denn sie wüssten, dass nur
ein deutscher Kindsvater sie vor Abschiebung schützt. Doch während die
Politik die Frauen über Jahre als Täterinnen sah, wurden sie in die Enge
getrieben, Integration für sie und ihre Kinder fand nicht statt.
Erstmals machten der Verein „Reistrommel“ und andere Träger 2011 auf einer
Fachtagung darauf aufmerksam, dass in Berlin eine ganz andere Generation
vietnamesischer Kinder heranwächst als die leistungsstarken, strebsamen
Schüler, die es bis dahin gab. Mit der Presse will Tamara Hentschel von der
Reistrommel aber nicht darüber sprechen. „Das ist ein sensibles Thema und
Öffentlichkeit nützt den Frauen nicht.“
Voriges Jahr beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe im Bezirksamt Lichtenberg
mit diesen Müttern. Einige alleinerziehende Mütter, so stellten die
Experten vom Jugend- und Gesundheitsamt und freien Trägern fest, arbeiteten
außerhalb Berlins, die Kinder würden zusammen mit vier bis fünf anderen
privat in Berlin betreut werden oder von älteren Geschwistern, „da Eltern
permanent in der Erziehung abwesend sind“.
So steht es im Protokoll der Arbeitsgruppe, das der taz vorliegt. Denn die
Mütter stünden unter dem Druck ihrer Verwandten in Vietnam, die Schulden
abzuarbeiten. Diese Falle seien am Jugendamt meist unentdeckt
vorbeigegangen. „Das Thema Prostitution kam schon mal vor“, heißt es im
Protokoll. Für jegliche Integrationsmaßnahmen seien „die jungen Mütter
nicht frei. Es ist eine Form des Menschenhandels.“
12 Aug 2019
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Vietnamesen in Berlin
Menschenhandel
Asylrecht
Vietnam
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Flucht
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