# taz.de -- Deutsche Erfolge bei Schwimm-WM: Das große Auftauchen | |
> In Südkorea tragen die Schwimmer derzeit ihre Weltmeisterschaften aus – | |
> sogar die Deutschen sind dabei. Haben die ihre Krise überwunden? | |
Bild: Florian Wellbrock im Moment seines WM-Sieges – wirkt gar nicht wie zu w… | |
Berlin taz | Normalerweise legt Florian Wellbrock großen Wert auf | |
Pünktlichkeit. Aber zum Interview in einem Restaurant in Berlin-Kreuzberg | |
erscheint er anderthalb Stunden zu spät. „Ich hatte noch ’ne | |
Dopingkontrolle. Das hat alles ein bisschen verzögert.“ Die ständige | |
Verfügbarkeit für die Dopingagentur gehört mittlerweile zum Alltag des | |
21-Jährigen. Einem Alltag, der sich mit mindestens 25 Stunden Training pro | |
Woche eher im Wasser abspielt. Der Alltag eines Weltmeisters mittlerweile. | |
Das ist Florian Wellbrock nämlich seit wenigen Tagen: Den | |
10-Kilometer-Wettbewerb im Freiwasser der [1][WM im südkoreanischen | |
Gwangju] hat er gewonnen. Ein sensationeller Erfolg, der aber nicht von | |
ungefähr kommt. Seit der gebürtige Bremer der besseren Trainingsbedingungen | |
wegen nach Magdeburg gewechselt ist, kommen die Erfolge wie am Fließband: | |
2015 wurde er WM-Fünfter über 5 Kilometer, 2016 nahm er an den Olympischen | |
Spielen in Rio teil. 2018 wurde er Europameister in seiner Paradedisziplin, | |
den 1.500 Metern Freistil. Jetzt in Gwangju [2][der Weltmeistertitel im | |
Freiwasser]. Nun beginnen dort die Beckenwettbewerbe, und Wellbrock wird | |
seine 1.500 Meter kraulen – als Favorit, dessen Bestzeit nur knapp über dem | |
Weltrekord liegt. | |
Nervosität kommt aber nur bedingt auf. „Eine gesunde Anspannung ist da, | |
aber dass ich für andere der Favorit bin, blende ich aus“, sagt Wellbrock | |
während des Mittagessens in Kreuzberg. „Ich bin nicht der Typ, der für | |
große Ansagen im Voraus bekannt ist.“ Wellbrock ist realistisch und | |
fokussiert. | |
## Das Problem mit der Struktur | |
Damit verfügt er über Tugenden, die dem Deutschen Schwimmverband (DSV) | |
guttun können. In der Öffentlichkeit dominiert nämlich das Bild von | |
deutschen Schwimmern, die bei wichtigen Wettkämpfen stets scheitern. Gerade | |
im Vergleich zu früheren Glanzzeiten, als heutige TV-Experten wie Thomas | |
Rupprath und Franziska van Almsick noch WM-Titel holten. | |
Bei der Kritik an den heutigen Schwimmern wird jedoch gerne übersehen, dass | |
es beim DSV zu oft Umstrukturierungen gab, die letztlich scheiterten, | |
sowohl [3][in der finanziellen Förderung] als auch in der individuellen | |
Trainingsplanung. Im Jahre 2016 etwa wollte der DSV, dass Florian Wellbrock | |
aus Magdeburg weggeht. Er sollte zu einem Bundesstützpunkt, einem vom | |
Deutschen Olympischen Sportbund DOSB geförderten Leistungszentrum. | |
Magdeburg besaß diesen Status damals nicht. Also sollte Wellbrock mitten in | |
seiner Ausbildung zum Immobilienkaufmann umziehen. „Die Sorge war damals | |
groß“, sagt er heute. „Magdeburg ist für mich der optimale Standort. Zum | |
Glück ist es dann doch nicht so gekommen.“ | |
Umstrukturierung gab es auch in Halle (Saale). Dort gab es zwar einen | |
Bundesstützpunkt, die Schwimmer sollten aber nach einem neuen Kraftkonzept | |
trainieren. Dabei wurden allgemeingültige Kraftwerte gefordert, ohne auf | |
individuelle Körpertypen einzugehen. In Halle lehnte man das Konzept ab – | |
und Trainer Frank Embacher fand an Heiligabend 2016 seine Kündigung im | |
Briefkasten. | |
## Kein vergleich zu Michael Phelps | |
Als er ein halbes Jahr später in Leipzig eine Anstellung fand, folgten ihm | |
einige Schwimmer. „So konnten wir unseren systematischen Trainingsaufbau | |
weiterführen“, begründet Wellbrocks Nationalmannschaftskollege David | |
Thomasberger den Schritt. Die Entwicklung gibt Thomasberger recht: | |
sechsfacher Deutscher Meister ist der 200-Meter-Schmetterling-Spezialist | |
bereits. Seit Kurzem ist er auf dieser Strecke schneller als Michael Groß, | |
der dort in Deutschland lange das Maß aller Dinge war. | |
In Gwangju ist Thomasberger für seine erste Weltmeisterschaft bei den | |
Erwachsenen nominiert. Mit 23 Jahren. Ein Alter, in dem ein Michael Phelps | |
bereits der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten war. Doch davon | |
versucht sich Thomasberger frei zu machen. „Man will so nah wie möglich an | |
die Vollprofis anderer Nationen herankommen“, erklärt er. „Das ist bislang | |
aber nicht möglich, wenn diese schon die Zeit, in der wir arbeiten gehen | |
müssen, für regenerative Zwecke nutzen können. Es ist doch klar, dass die | |
dadurch belastbarer sind als wir.“ | |
Auch bezüglich der finanziellen Förderung wird Thomasberger deutlich. Zwar | |
würden einige Trainingslager finanziert, aber: „Die Förderung vom Verband | |
reicht in Deutschland nicht aus, um davon leben zu können. Das sind Gelder, | |
mit denen ich den Kühlschrank füllen kann, mehr nicht. Man muss schauen, | |
dass man nebenbei noch was verdient.“ | |
Deswegen ist der Elektroniker für Betriebstechnik seit April nicht mehr in | |
dieser Branche tätig, sondern in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Das | |
seit 1968 bestehende Modell soll den deutschen Spitzensportlern | |
Chancengleichheit mit Athleten anderer Nationen ermöglichen und die | |
Sportler während ihres Dienstes an die internationale Spitze heranführen. | |
## 600 Euro Einkommen – 700 Euro Miete | |
Thomasberger steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch Marco di Carli, | |
Olympiafinalist von 2004, meint, dass man erst die Sportler absichern | |
solle, ehe man die internationale Spitze einfordert. „Bei | |
Leistungssportlern in Deutschland liegt das Durchschnittseinkommen bei 600 | |
bis 800 Euro. In München kostet die durchschnittliche Wohnung schon 700 | |
Euro. Da muss man schon ein wenig bekloppt sein, um den Weg zu gehen.“ | |
In Deutschland sei man als Sportler auf Gelder aus offizieller Hand | |
angewiesen. „Kein Schwimmer, kein Leichtathlet und auch kein Ruderer macht | |
seinen Sport, um damit reich zu werden. Wenn ich aber nach Großbritannien | |
oder Frankreich schaue, dann haben wir hier den Anschluss an die Förderung | |
schlichtweg verloren“, kritisiert di Carli, der selbst nicht mehr aktiv | |
ist. | |
Was das Unverständnis der aktuellen deutschen Schwimmer angeht, schlägt der | |
heutige TV-Experte Thomas Rupprath allerdings immer wieder medienwirksam in | |
eine andere Kerbe: Heutzutage würde man einfach nicht hart genug | |
trainieren. Daher gebe es weniger Medaillen als zu der Zeit, als er noch | |
Weltmeister wurde. Unerwähnt lässt er aber, dass die Generation, die | |
Rupprath abgelöst hat, bereits 66 Prozent aller nationalen Rekorde | |
gebrochen hat. Darunter auch einige, die er aufgestellt hatte. | |
Langstreckler Florian Wellbrock ist von Ruppraths Vorwürfen irritiert: | |
„Gerade da er aus der Szene kommt, hätte er mir auch spezifischer sagen | |
können, wo ich nicht hart genug trainiere. So kann man mit der Aussage | |
nichts anfangen.“ | |
## Mehr Rekorde als die Briten | |
Auch Ruppraths ehemaliger Nationalmannschaftskollege di Carli ist der | |
Meinung, dass „es genügend Beispiele gibt, die das widerlegen. Die | |
Trainingsleistungen der aktuellen Athleten sind sicherlich nicht anders als | |
seine. Pauschalisieren ist immer schlecht. Damit trifft man nur die | |
Falschen.“ | |
In der Argumentation von Rupprath, der nach seiner Karriere 2011 ins | |
RTL-„Dschungelcamp“ ging, blieb ebenfalls unerwähnt, dass die neue | |
Generation des DSV mehr nationale Rekorde aufstellte als beispielsweise die | |
Briten. Trotz der besseren Förderung. Der Daily Telegraph berichtete, dass | |
man auf der Insel nach den Olympischen Spielen 2012 ein Förderungskonzept | |
eingeführt hat, wonach rund 400 Millionen Euro in den Sport investiert | |
wurden. Einzelne Athleten würden mit bis zu 75.000 Euro pro Jahr | |
finanziert, ganz ohne private Sponsoren. | |
„Wenn die Gesellschaft den Leistungssport wirklich will, muss man die | |
Förderungsmodalitäten so konzipieren, dass die Sportler ihre Leistung | |
bringen können und nicht am Ende des Monats nur noch Nudeln mit Ketchup | |
essen können“, sagt di Carli, der seit 2011 den deutschen Rekord über 100 | |
Meter Freistil hält. | |
Für Politik und Gesellschaft stellt sich hingegen die Frage, ob sich die in | |
den Leistungssport investierten Steuergelder überhaupt noch lohnen bei all | |
dem, was man von den Schwimmern und ihren Misserfolgen in den vergangenen | |
Jahren so sehe. | |
## Aufwärtstrend dank junger Talente | |
Wirft man allerdings einen Blick auf das aktuelle Geschehen, auf den | |
Nachwuchs und auf die Nationalmannschaft sieht es anders aus. Der | |
Aufwärtstrend im DSV ist unverkennbar. Das liegt auch an frischem Wind in | |
der Führungsetage: Nachdem Bundestrainer Henning Lambertz im November | |
zurückgetreten war, übernahmen Wellbrocks Trainer Bernd Berkhahn und Hannes | |
Vitense vorläufig den Job. Sogar der ehemals gefeuerte Frank Embacher ist | |
derzeit bei der WM wieder im Dienst. | |
Der Aufwärtstrend ist aber auch Talenten wie Luca Armbruster oder Isabel | |
Gose geschuldet. Bei den Junioreneuropameisterschaften im russischen Kasan | |
fielen sie jüngst mit einigen deutschen Rekorden auf. Und mit Schwimmern | |
wie David Thomasberger und der WM-Dritten im Freiwasser, Leonie Beck, sind | |
noch mehr auf dem Sprung an die Weltspitze. | |
Dorthin, wo sich Florian Wellbrock bereits mit Bravour behauptet. „Gut | |
aufgestellt“ sieht er die Nationalmannschaft. Zeit und Geduld seien dabei | |
die Devise. Wellbrock hat diese Gelassenheit, mit der er auch eine | |
Dopingprobe über sich ergehen lässt, obwohl er längst bei seiner | |
Verabredung in einem Kreuzberger Restaurant sein müsste. | |
20 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jannik Höntsch | |
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