# taz.de -- Kündigung von Betriebsrätin unrechtmäßig: Wegen 3,60 Euro rausg… | |
> Beate S. wurde wegen „Erschleichens“ von Briefporto in Hannover | |
> entlassen. Tatsächlich war die Mitarbeiterin dem Arbeitgeber wohl zu | |
> unbequem. | |
Bild: Kein Grund für eine Kündigung nach 30 Jahren: 3,60 Euro | |
GÖTTINGEN taz | Beate S. ist wieder da. Nach einer fristlosen Kündigung und | |
gewonnenen Arbeitsgerichtsprozessen in allen Instanzen ist die | |
Betriebsrätin an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt: Sie ist | |
Bilanzbuchhalterin bei der [1][MDG Medien Dienstleistungsgesellschaft], die | |
zum Medienkonzern Madsack in Hannover gehört. | |
Ein letzter Versuch der MDG-Geschäftsführung, die 57-Jährige nach mehr als | |
30 Jahren Betriebszugehörigkeit mit 100.000 Euro Abfindung loszuwerden, sei | |
erfolglos geblieben, sagt Annette Rose, Sprecherin der zu Ver.di gehörenden | |
Deutschen Journalisten Union (DJU): Die langjährige Betriebsrätin S. habe | |
das Geld abgelehnt. | |
Auslöser des Konflikts waren 3,60 Euro Porto für drei Werbebriefe zur | |
Betriebsratswahl im Dezember 2017. Die betreffenden Wahlwerbebriefe ihrer | |
Liste hatte S. an Beschäftigte adressiert, die krank oder in Elternzeit | |
waren, und die Umschläge in die Madsack-Hauspost gegeben. | |
Die Briefe landeten bei der City-Post, wurden dort mit Wertmarken versehen | |
und verschickt. Sie sei davon ausgegangen, dass es einen betriebsinternen | |
Kurierdienst zur MDG-Niederlassung in Potsdam gebe, erklärte S. später. Das | |
nahm ihr der Arbeitgeber aber nicht ab und feuerte sie wegen | |
„Erschleichens“ der Briefbeförderung fristlos. | |
## Konflikte gab es schon länger | |
Ein offensichtlich vorgeschobener Grund. Denn wegen der Tätigkeit im | |
Betriebsrat und für die Industrie- und Handelskammer (IHK) – S. gehört dem | |
Prüfungsausschuss der Kammer an und muss für diese Tätigkeit acht Tage im | |
Jahr freigestellt werden – war es schon öfter zu Meinungsverschiedenheiten | |
zwischen der Frau und ihren Vorgesetzten gekommen. | |
MDG habe S. im Laufe der Jahre mehrere Abmahnungen erteilt, das | |
Arbeitsverhältnis sei belastet, erklärte der Madsack-Anwalt laut DJU in den | |
Prozessen vor dem Arbeits- und dem Landesarbeitsgericht. Die Richter | |
folgten der Argumentation aber nicht. Es gehe in dem Verfahren nicht um | |
Abmahnungen, sondern um einen strafrechtlichen Vorwurf, mit dem das | |
Arbeitsverhältnis beendet werden solle. | |
Eine fristlose Kündigung sei grundsätzlich zwar auch wegen Bagatelldelikten | |
möglich, so die Gerichte. Sie verwiesen auf das Grundsatzurteil des | |
Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Fall der [2][Tengelmann-Kassiererin Barbara | |
Emme („Emmely“)]: Die Berlinerin hatte zwei ihr nicht gehörende | |
Pfandflaschenbons eingelöst – im Wert von 1,30 Euro. Ihr war deshalb | |
fristlos gekündigt worden. | |
Das BAG erklärte die Kündigung im Juni 2010 für unverhältnismäßig und dam… | |
für unwirksam: Bei Bagatellvorwürfen müsse eine Interessenabwägung | |
erfolgen, die unterschlagenen Pfandbons rechtfertigten keine fristlose | |
Kündigung nach 31 Jahren Beschäftigung. | |
Dieser Vorgabe schloss sich das Landesarbeitsgericht in Hannover im Fall | |
von Beate S. an: Der ihr gemachte Vorwurf sei nicht schwerwiegend genug, um | |
nach fast 30 Jahren im Betrieb eine fristlose Kündigung zu begründen. Zudem | |
habe S. nicht für sich privat gehandelt, sondern als Mitglied des | |
Wahlvorstands für ihre Liste. | |
## 100.000 Euro Abfindung | |
Nach DJU-Angaben schlugen die Richter einen Vergleich und eine Abfindung | |
von 100.000 Euro vor, was Beate S. aber ablehnte. Eine Revision ließ das | |
Landesarbeitsgericht mit seinem Urteil im Dezember 2018 nicht zu, eine | |
sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde der MDG wies das Bundesarbeitsgericht | |
mit Sitz in Erfurt ab. | |
Am 2. Mai dieses Jahres wollte Beate S. ihre Arbeit wieder aufnehmen. Doch | |
kurz zuvor, so DJU-Sprecherin Annette Rose, habe sie einen | |
„Überraschungsanruf“ ihres früheren Vorgesetzten erhalten, der mit ihr oh… | |
ihren Anwalt über eine Abfindung reden wollte. Als S. dieses Ansinnen | |
ablehnte, habe der Chef ihre „Freistellung“ gegen Anrechnung von | |
Urlaubszeiten verfügt. Bei der anschließenden Verhandlung über eine | |
Vertragsauflösung zum Jahresende seien 100.000 Euro brutto Abfindung | |
angeboten worden. | |
Doch sowohl die Arbeitsagentur als auch S.’ Anwalt Walter Lübking rieten | |
von dem Deal ab: „Meine Mandantin hätte eine Arbeitslosengeldsperre | |
bekommen, Steuern und Krankengeld nachzahlen müssen und wäre das Risiko | |
eingegangen, sich mit 57 Jahren einen neuen Arbeitsplatz suchen zu müssen“, | |
sagte Lübking [3][der DJU-Mitgliederzeitschrift M]. | |
Ende Juni kam dann die Wende. MDG lud die 57-Jährige zum Arbeitsantritt am | |
5. Juli. „Beate S. wurde von einem neuen Geschäftsführer in Empfang | |
genommen, erhielt ihren früheren Büroraum und ihr Aufgabengebiet zurück“, | |
berichtet Rose. Laut ihrem Anwalt wurde sie freundlich behandelt, | |
Absprachen seien konstruktiv verlaufen. Die Freistellung für ihren Einsatz | |
in der IHK-Prüfungskommission solle sie künftig mit dem neuen Vorgesetzten | |
absprechen. | |
31 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.madsack.de/Portfolio/Dienstleister-fuer-Verlage/MDG-Medien-Dien… | |
[2] /!5073660/ | |
[3] https://mmm.verdi.de/recht/betriebsraetin-haelt-madsack-stand-60007 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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