| # taz.de -- Politikberater über Seenotrettung: „Wasser auf Salvinis Mühlen�… | |
| > Matteo Salvini hetzt gegen Seenotretter*innen wie die auf der „Sea-Watch | |
| > 3“ – und erntet keinen souveränen Protest aus flüchtlingsfreundlichen | |
| > Ländern. | |
| Bild: „Dass die meisten privaten Seenotretter aus Deutschland sind, passt in … | |
| taz: Herr Knaus, Italiens Innenminister [1][Matteo Salvini agiert sehr hart | |
| gegen Rettungsschiffe] wie die „Sea Watch 3“ und seine Kapitänin Carola | |
| Rackete. Er nennt den europäischen Norden heuchlerisch. Was ist denn an | |
| deren Position zur Flüchtlingshilfe auf dem Mittelmeer so zu | |
| charakterisieren? | |
| Gerald Knaus: Salvini argumentiert seit mehr als einem Jahr, mit brachialer | |
| Rhetorik, dass die Nordeuropäer gern Migranten retten können, wenn sie | |
| wollen, aber diese dann nicht in Italien ausladen dürfen. Per Tweet schloss | |
| er im Juni 2018 Italiens Häfen. Italiens Politik ist es seither, die | |
| Seenotrettung ganz an die libysche Küstenwache abzutreten. Beim letzten | |
| Gipfeltreffen der Mittelmeerländer der EU in Malta im Juni dieses Jahres | |
| wurde dieses Prinzip auch von Portugal, Spanien, Griechenland, Malta und | |
| Frankreich unterstützt. Salvini sieht sich hier nicht isoliert. | |
| Und was unterscheidet diese eher mitte-links regierten Länder vom rechten | |
| Matteo Salvini? | |
| Matteo Salvini lebt von zwei Themen: der Verteidigung Italiens gegen | |
| scheinheilige Nordeuropäer, und der Abwehr von Migranten aus Afrika. Damit | |
| hat er es geschafft, binnen kurzem zum beliebtesten und mächtigsten | |
| Politiker Italiens aufzusteigen. Dazu griff er im Juni 2018 auch Macron an, | |
| weil dieser ihn kritisiert hatte, aber gleichzeitig täglich versuchte, an | |
| der gemeinsamen Landesgrenze Migranten nach Italien zurückzuschicken. Und | |
| Salvini griff Premier Sánchez in Spanien mit dem Argument an, dass Madrid | |
| damals zwar einige hundert Menschen von der „Aquarius“ aufnahm, aber | |
| insgesamt viel weniger Asylsuchende hatte als Italien. Unter lauter | |
| Heuchlern, so seine Botschaft, ist er der einzige ehrliche Politiker. | |
| Und Deutschland? | |
| Salvini hat Berlin schon lange im Visier. Sein politischer Verbündeter hier | |
| ist die AfD, schon lange greift er Angela Merkel im Stil Marine Le Pens an. | |
| Überdies argumentiert Berlin zu defensiv. Deutschland leistet objektiv mehr | |
| als der Rest der EU, hat in den letzten fünf Jahren von allen | |
| Industriestaaten in der Welt den meisten Flüchtlingen Schutz geboten. Auch | |
| bei den Geretteten im Mittelmeer im letzten Jahr war Deutschland letztlich | |
| immer bereit, Menschen aufzunehmen. Doch das Zögern dabei ist immer wieder | |
| Wasser auf Salvinis Mühlen. Seht her, sagt er dann, die heuchlerischen | |
| Deutschen versuchen erneut ihr schlechtes Gewissen auf Kosten Italiens zu | |
| beruhigen: retten, dann abladen. Dass heute die meisten privaten | |
| Seenotretter aus Deutschland sind, passt da in sein Konzept. | |
| Welches Signal aus Berlin wäre angemessen? | |
| Die deutsche Regierung könnte klar sagen, dass es die Verantwortung für | |
| Flüchtlinge übernimmt, die von deutschen Organisationen gerettet werden. Es | |
| ist nicht länger glaubwürdig, auf eine europäische Lösung zu setzen, denn | |
| diese wird – auch dank Salvini und Orbán – nicht kommen. Darauf zu warten | |
| ist Warten auf Godot. Deutschland sollte den Spieß umdrehen, sich nicht von | |
| Salvini abhängig machen. Dabei geht es heute um einige hundert Menschen im | |
| Monat. | |
| Ist es nicht absurd: In den letzten zehn Jahren hat Schweden viel mehr | |
| Menschen Asyl geboten als Italien? | |
| Schweden hat zehn Millionen Einwohner, es hat in den letzten zehn Jahren | |
| 216.000 Menschen Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutz gegeben. In | |
| Italien mit mehr als 60 Millionen Einwohnern waren es in dieser Zeit | |
| weniger als 100.000. Und in Deutschland allein in den letzten fünf Jahren | |
| fast eine Million. Salvini spielt mit einem Mythos, den erstaunlicherweise | |
| auch in Deutschland viele glauben: dass Italien seit Jahren für Europa | |
| überdurchschnittlich viele Asylsuchende aufnimmt. Migranten kommen aufgrund | |
| der Geographie zunächst in Italien an, aber nachweislich ziehen die meisten | |
| weiter. Doch was nur die Seenotrettung betrifft, helfen Schuldzuweisungen | |
| nicht, da gibt es tatsächliche Dilemmas, die eine kluge humane Politik | |
| aufgreifen muss. | |
| Und welche wären dies? | |
| Es gibt zwei Imperative. Der eine ist der der Seenotrettung, das elfte | |
| Gebot, wenn man so will: Du sollst niemanden ertrinken lassen, den Du | |
| retten kannst. Das ist grundlegend für unsere Zivilisation, es gilt sogar | |
| in Kriegszeiten. Der zweite Imperativ ist es, irreguläre und | |
| lebensgefährliche Migration zu reduzieren. In den letzten Jahren kamen | |
| Hunderttausende etwa aus Westafrika nach Libyen, wurden dort gefoltert und | |
| vergewaltigt, setzten sich dann in kleine Schiffe, ertranken zu Tausenden. | |
| Und taten dies, weil sie hofften: selbst wenn sie kein Asyl bekommen werden | |
| sie für immer in Europa bleiben. Hier muss kluge Politik ansetzen, damit | |
| das unvermeidliche Retten keinen tödlichen Sogeffekt erzeugt. | |
| Um einen solchen geht es nicht – bei der „Sea-Watch 3“ mit Kapitänin | |
| Rackete [2][handelte es sich um wenige Menschen]. | |
| Insgesamt sprechen wir seit Ende 2017 nur noch von wenigen Menschen. Bei | |
| den deutschen NGO-Booten handelt es sich heute um kleine Zahl von Schiffen, | |
| die im Monat einige hundert Menschen retten. Nachdem sich Deutschland | |
| jahrelang großzügig gezeigt hat und tausende Menschen aufgenommen hat, | |
| sollte es jetzt bei diesen Zahlen nicht zögern, wobei dies ohnehin nur ein | |
| hilfloser Bluff ist. Deutschland sollte stolz darauf sein, dass es human | |
| handeln will. | |
| Was müsste die Botschaft sein seitens der Regierung? | |
| Die Regierung müsste sagen: Wir unterstützen Seenotrettung, wir begrüßen | |
| zivilgesellschaftliche Anstrengungen. Gleichzeitig arbeiten wir an einer | |
| Strategie, sodass sich nie wieder, wie zwischen 2014 und 2018, etwa 40.000 | |
| Gambier auf den Weg nach Libyen machen und tausend Gambier im Mittelmeer | |
| ertrinken. Und dann von den Überlebenden kaum jemand Asyl in Europa | |
| zuerkannt bekommt. Um so etwas zu verhindern, sind schnellere Asylverfahren | |
| und Abkommen zur Rücknahme nach einem Stichtag mit Herkunftsländern nötig, | |
| im Gegenzug legale Migrationsmöglichkeiten. Ich war gerade in Gambia und | |
| weiß: Daran gibt es Interesse. Nur: Das kann nur eine Regierung verhandeln. | |
| Derzeit hat man den Eindruck, dass Berlin hilflos wirkt zwischen einer | |
| Gesellschaft, die die Seenotrettung einfordert, und einer EU, in der viele | |
| Staaten auch zur brutalsten Abschreckung bereit sind. | |
| Hat diese Haltung mit den nahenden [3][Landtagswahlen im Osten des Landes] | |
| und dem drohenden Erfolg der AfD zu tun? | |
| Wer die AfD wählen will, tut es wegen der Politik der vergangenen fünf | |
| Jahre, und nicht, weil jetzt 53 Menschen von der „Sea Watch“ oder demnächst | |
| ähnlich viele vom Schiff „Alan Kurdi“ in Deutschland aufgenommen werden. | |
| Das kann nicht die Kalkulation sein. Ohnehin sind die größten Verlierer der | |
| letzten Jahre jene Politiker, die sich nicht entscheiden können, ob sie nun | |
| ein Gewissen haben, und gerade dadurch scheinheilig wirken … | |
| … wie in Italien der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi aus der linken | |
| Mitte … | |
| … dessen Partei zunächst unglaublich stolz darauf war, dass das | |
| italienische Militär hunderttausende Menschen in Seenot rettete, um dann | |
| die Politik Berlusconis der Abkommen mit libyschen Milizen zu übernehmen. | |
| Auch dank dieser Wankelmütigkeit wurde es Salvini leicht gemacht. Wenn man | |
| jetzt bei einigen Hunderten und der Seenotrettung zögert, signalisiert man | |
| erst recht, dass die Kritiker Recht hatten, als es um Zehntausende ging. Es | |
| ist keine kluge politische Strategie für Parteien der Mitte, | |
| Grundprinzipien des humanitären Rechts zu opfern. Zumindest, zum Glück, | |
| nicht in Deutschland. | |
| 2 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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