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# taz.de -- Rechte Pseudowissenschaft: Fakefakten erobern Unis
> Rechtspopulisten erklären Gefühle zu Fakten, etwa beim Klimawandel. Um
> diese zu etablieren, nutzen sie immer häufiger wissenschaftliche
> Strukturen.
Bild: Was machen die da?
BERLIN taz | Der Begriff der „alternativen Fakten“ wurde vor allem durch
Donald Trumps Presseteam geprägt. Er bezeichnet eine politische Strategie:
Wem die Faktenlage nicht passt, der erschafft sich eine neue. Vermeintliche
Expert*innen finden sich immer sowie randständige Medien, die solche Fakten
verbreiten. Meistens wird dabei weitgehend wirkungslos gegen die
Wissenschaft angeschrien. Aber was, wenn rechtspopulistische Kräfte aus der
Wissenschaft heraus sprechen?
In Deutschland versucht vor allem das AfD-nahe Milieu, mit gefühlten
Wahrheiten Politik zu machen. Und das kommt an. In der aktuellen
Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die rechtsextreme Einstellungen
in Deutschland untersucht, gab die Hälfte der Befragten an, ihrem eigenen
Gefühl mehr als „sogenannten Experten“ zu trauen.
Beate Küpper, Mitautorin der Studie, erkennt dahinter Denkmuster des
Rechtspopulismus: „Dinge als Fakten zu bezeichnen, die landläufig nicht als
solche gehandelt werden. Also statt objektiv zu sein, ein Gefühl zum Faktum
zu erklären.“ Aus dieser Sicht sei die Wissenschaft Teil einer „korrupten
Elite“, dagegen stehe das „moralisch reine Volk, das aus gesundem
Volkswillen heraus weiß, was richtig ist“.
Dabei werde sich zwar der Wissenschaft bedient, ohne aber den
vorherrschenden Konsens zu berücksichtigen. Beim Klimawandel wird das sehr
deutlich: Während der überwältigende Teil der Forscher*innen die Auffassung
eines menschengemachten Klimawandels teilt, stellt die AfD diejenigen
heraus, die ihn anzweifeln. Das „Europäische Institut für Klima und
Energie“ wird hier gern zitiert.
„Mit irgendwelchen Instituten, Labels wird versucht, eine Seriosität zu
imitieren. Die haben mit unseren üblichen wissenschaftlichen Kriterien, ein
akademisches System und Peer-Reviews durchlaufen zu haben, nichts zu tun“,
so Küpper. „Dann zaubern Sie irgendeinen anderen Experten aus der Tasche,
der das vertritt. Ohne zu fragen: „‚Was sind die Motive dahinter, was ist
dessen Expertise?‘“
Doch einmal in der Welt, werden die so erzeugten „Fakten“ von denjenigen,
die am Klimawandel zweifeln, als Teil eines komplizierten
wissenschaftlichen Meinungsstreits wahrgenommen. Auch andere Reizthemen wie
Feinstaubbelastung, Gender oder Migration werden gezielt aufgegriffen.
Erkenntnisse, die in jahrelanger Forschung gewonnen werden, stehen Annahmen
und Ressentiments entgegen. Die Grundlogik des Rechtspopulismus
funktioniere entgegengesetzt zur Wissenschaft, sagt Beate Küpper: „Das
Muster ist: Eine Botschaft, die ist wahr oder falsch.“
Wissenschaftler*innen, die komplexe Sachverhalte korrekt darstellen
wollten, hätten es schwer, dagegen zu argumentieren. Was der politischen
Meinung widerspricht, wird als methodisch unsauber angegriffen. „Als
‚Methodenkritiker‘ gewinnen Sie doppelt: Sie sind der vermeintlich
kritische Geist, schlagen die Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln.“ Eine
weitere Taktik: einem ganzen Forschungszweig die Wissenschaftlichkeit
abzusprechen, wie es bei den [1][Gender Studies] praktiziert wird.
## „Klimawandel-Hysterie“
Die Anzahl der Wissenschaftler, die mit ihrem akademischen Renommee in den
Dienst dieser Logik stellen, ist verhältnismäßig gering, aber es gibt sie.
Ein Fall: Ulrich Kutschera, Professor an der Universität Kassel. Er hat in
Pflanzenphysiologie promoviert und lehrt Evolutionsbiologie, äußert sich
aber inzwischen öffentlichkeitswirksam auch zu biologisch festgeschriebenen
Geschlechterunterschieden, negativen Auswirkungen auf Kinder
gleichgeschlechtlicher Familien, zur „Klimawandel-Hysterie“ und zu
„Gender-Dogmatik“ – immer wissenschaftlich belegt.
Andere Evolutionsbiolog*innen kritisieren seine Aussagen, doch Kutschera
wird auf Podien der AfD eingeladen, gibt dem rechten katholischen Portal
„kath.net“ oder dem Magazin Compact Interviews, seine Vorträge sind auf
YouTube zu sehen. Was zählt, ist die Botschaft, nicht die Einordnung.
Richtigstellungen und Faktenchecks seitens Fachkolleg*innen,
Journalist*innen oder Verbänden folgen meist erst später und erzielen dann
oft nicht mehr die gewünschte Wirkung.
Das nutzt die AfD für ihre Agenda: Sie fordert etwa nach ungarischem
Vorbild die Abschaffung der Genderforschung, einige AfD-Politiker*innen
leugnen den menschengemachten Klimawandel in Fernsehinterviews.
Ein anderes Beispiel dafür, wie Akademiker rechten Strömungen den Ball
zuspielen, ist der Dresdner Politikwissenschaftler [2][Werner Patzelt].
„Das ist auch ein Symptom des Rechtsrucks, dass sich an den Unis plötzlich
Leute zu Wort melden und äußern, die das vorher nicht getan haben“, stellen
Alexander Busch und Lutz Thies vom Studierendenrat der TU Dresden fest.
Seit 2015 referierte Patzelt mehrfach auf AfD-Einladung, fertigte Gutachten
für sie an und nahm – aus „Forscherinteresse“ – an Pegida-Märschen te…
Für seine Nähe zu Pegida und zur neuen Rechten wurde er von Kolleg*innen
und Studierenden kritisiert. 2018 initiierte er eine Petition mit den
Macher*innen von „Sciencefiles“, einem Blog, der sich als „rationaler
Widerstand“ gegen die „Ideologisierung der Wissenschaft“ bezeichnet, selb…
aber mit verschwörungstheoretischen und wissenschaftsfeindlichen Inhalten
auffällt.
Die Petition war anfangs mit einer Grafik zur angeblichen „Lügenspirale“
zwischen Medien, Politik und Zivilgesellschaft illustriert, hinterlegt mit
einem Bild von Joseph Goebbels. Im Text wird der Eindruck erweckt, die
Bundesregierung habe im Falle der Ausschreitungen in Chemnitz
„tatsachenwidrig von Hetzjagden gesprochen“ und Informationen bewusst
zurückgehalten. Anfang des Jahres entschied sich die Philosophische
Fakultät gegen eine Seniorprofessur Patzelts mit der Begründung, er habe
„Politik und Wissenschaft derart vermischt“, dass es dem Ruf der Hochschule
geschadet habe.
Daneben gibt es immer wieder Fälle von Akademiker*innen, die – womöglich
ermutigt durch die Ausweitung der „Grenzen des Sagbaren“ – rechte
Positionen äußern. Asta-Vertreter*innen der TU Darmstadt ergriffen die
Initiative, als sie von rassistischen und sexistischen Aussagen eines
Dozenten für Biologie-Didaktik hörten. „Da klang eine geschlossen rechte
Ideologie durch: Er versuchte, biologistisch herzuleiten, dass es Rassen
gibt. Sexistische Aussagen kamen dazu, so sagte er Frauen in seinem
Seminar, sie sollten statt zu studieren lieber Kinder kriegen“, berichtet
eine Referentin, die anonym bleiben will. Viel Durchhaltevermögen und die
Unterstützung von Kommiliton*innen und Dozent*innen waren nötig, bis ihm
nach über einem Jahr schließlich die Lehrerlaubnis entzogen wurde.
## Unis entscheiden selbst
Solche Einzelfälle, in denen sich Professor*innen teilweise in extrem
rechter Weise äußern, werden oft zuerst von Studierenden thematisiert. Der
Bremer Asta etwa erstritt vor Gericht, sagen zu dürfen, der Berliner
Geschichtsprofessor [3][Jörg Baberowski] „verbreite erschreckend brutale
gewaltverherrlichende Thesen […], stehe für Rassismus und vertrete
rechtsradikale Positionen“. Studierende aus Leipzig machten während einer
Vorlesung mit Flugblättern auf rassistische Tweets des Leipziger
Jura-Professors [4][Thomas Rauscher] aufmerksam, die Presse berichtete. Die
Universität und das sächsische Wissenschaftsministerium distanzierten sich
von ihm, Rauscher verlor seine Stelle als Erasmus-Beauftragter.
Doch der Umgang mit rechten Professor*innen ist nicht festgeschrieben.
Die Universitäten entscheiden selbst. Grundsätzlich genießen die
Hochschullehrer*innen als Beamte besondere Rechte. Ihre fachlichen
Äußerungen sind geschützt, und ihre private Meinung dürfen sie vertreten –
auch wenn sie teils im Widerspruch zu den Werten der Hochschulen stehen.
Die Grundhaltung: Meinungsvielfalt muss gewährleistet, gleichzeitig dürfen
bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Dieses Spannungsfeld wird von
Rechten gezielt genutzt, um den „vorpolitischen Raum“ der Universitäten zu
besetzen.
Schützenhilfe für die rechten Hochschullehrer kommt oft von rechten Blogs
wie „Sciencefiles“, Hochschulgruppen wie der „Campus Alternative“,
Burschenschaftern oder rechten Studierenden. Die Campus Alternative in
Magdeburg lud beispielsweise einen Neurowissenschaftler und André
Poggenburg zur Podiumsdiskussion zum Thema Gender. Die Kritik an derlei
Vorstößen wird im Gegenzug als Angriff auf die akademische Freiheit
gewertet.
Abgeordnete der AfD konstatierten in einer Kleinen Anfrage, die sich unter
anderem mit den Fällen Baberowski und Kutschera befasste, an Universitäten
herrsche „ein Klima der Repression und Einschüchterung, das selbsternannte
Wächter sogenannter politischer Korrektheit schüren“ und dadurch
„wissenschaftliche Diskurse erschwert und verhindert und somit die Freiheit
der Wissenschaft bedroht“ seien. Dabei scheint es vor allem um die Aspekte
der Wissenschafts- und Diskursfreiheit zu gehen, die die eigene
Argumentation befördern.
17 Jul 2019
## LINKS
[1] /Gender-Studies-an-deutschen-Unis/!5591367
[2] /Pegida-Forscher-Werner-Patzelt/!5567476
[3] /Studierende-gegen-Berliner-Uni-Professor/!5485962
[4] /Rassismusvorwuerfe-an-der-Uni-Leipzig/!5469143
## AUTOREN
Nina Juliane Rink
## TAGS
Rechtspopulisten
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