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# taz.de -- Die Wahrheit: Wenn alte Männer reisen
> Mit 66 Jahren fängt das Leben an, jedenfalls das als Senior in Irland.
> Was aber, wenn man gebrechlich, aber erst 65 Jahre alt ist?
Nach einer Woche Vergnügungsstress in Berlin sieht man ziemlich alt aus.
Aber so alt, dass einem in der vollen U-Bahn auf dem Weg zum Flughafen
Schönefeld ein Sitzplatz angeboten wird? Ich lehnte dankend ab, aber der
junge Mann duldete keinen Widerspruch und schubste mich recht rabiat auf
die Sitzbank. Zwei Stationen später wurde der Platz neben mir frei, und
mein Gönner setzte sich neben mich.
Er sei Palästinenser, erzählte er recht laut, er komme aus gutem Haus.
„Mein Vater ist reich“, meinte er, „und ich warte drauf, dass er abkratzt
und ich erbe. Das Geld verprasse ich dann für Koks.“ Er finde es wohl kalt
in Deutschland, antwortete ich, aber mein Kalauer machte keinen Eindruck
auf ihn.
Im Flugzeug bot ein junger Mann an, meinen Koffer ins Gepäckfach zu
schieben. „Die fünfzehn Kilo schaffe ich alleine“, bellte ich, was die
Stewardess hörte. Es seien nur zehn Kilo erlaubt, monierte sie. „Ich meinte
ja Pfund, er wiegt nur fünfzehn Pfund“, log ich und wuchtete das Ding
schwungvoll ins Gepäckfach, sodass ich wegen der Schulterschmerzen
anschließend kaum die Zeitung halten konnte.
Aber das Alter hat auch Vorteile. Ich habe Frau S. kennengelernt. Sie
arbeitet in der Beratungsstelle der Rentenversicherung in Berlin. Ich hatte
dort einen Ferienjob als Teenager, aber das ist schon eine Weile her.
Diesmal kam ich als Rentner in spe. Freunde hatten mir erklärt, es sei nie
zu früh, die Rentenangelegenheiten zu klären.
Ich hatte naiv angenommen, ich müsste lediglich meine Kontoverbindung
angeben, und das Geld würde automatisch fließen. Welch Irrtum. Frau S.
stellte mir Dutzende Fragen und trug die Antworten in ein Onlineformular
ein. Dann verschwand sie für einen Moment, um sich bei einem Kollegen wegen
meines Wohnsitzes in Irland zu erkundigen. Als sie zurückkehrte, trug sie
weitere Daten in das Formblatt ein. Nach läppischen zwei Stunden war alles
erledigt. Ich verließ die Beratungsstelle tief beeindruckt von der
freundlichen und kompetenten Beratung und blickte voller Vorfreude auf
meine Rente in Höhe von 266 Euro im Monat.
Kollege Harald Martenstein, dem in diesem Amt offenbar Ähnliches
widerfahren war, schrieb einmal unter der Überschrift „[1][Über das Alter]�…
im Magazin der Zeit: „Warum lösen sie Berlin als Kommune nicht auf und
übergeben es in die Verwaltung der Rentenversicherung?“ Er hat recht. Ich
gehe sogar noch einen Schritt weiter: Man möge Frau S. zur
Aufsichtsratsvorsitzenden des peinlichen Berliner Flughafens BER machen,
und die ersten Flugzeuge würden spätestens im September starten.
Nach der Landung in Dublin gab es dann wieder eine Demütigung. Der Fahrer
des Flughafenbusses winkte mich vorbei und sagte, ich besitze ja sicherlich
den Seniorenpass, der zur freien Fahrt in Bus und Bahn berechtigt. „Den
gibt es erst mit 66“, blaffte ich ihn an und verlangte einen normalen
Fahrschein. „Normal?“, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.
15 Jul 2019
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2019/09/harald-martenstein-rente-berlinale
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Rentenversicherung
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