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# taz.de -- Interview nach Doping-Razzia: „Es geht um Identitätsarbeit“
> Die Razzia von Europol hat das Ausmaß des Handels mit Dopingmitteln
> gezeigt. Mischa Kläber sieht einen Zusammenhang mit dem Boom von
> Fitness-Studios.
Bild: Doping ohne Ende: Viele Sportler wollen nicht hinter den einmal erreichte…
taz: Herr Kläber, bei der Anti-Doping-Razzia in 33 Ländern wurden allein 24
Tonnen Steroidpulver sichergestellt. Für wen waren diese Menge
Muskelmastmittel bestimmt?
Mischa Kläber: Ein Großteil war mit hoher Wahrscheinlichkeit für
Fitnessstudios und die Bodybuildingszene bestimmt. Auch für die
Kraftsportszene. Hier sind Powerlifter mit von der Partie oder
fitnessorientierte Körpermodellierer. Das sind sicherlich die
Hauptabnehmer.
Also Stoff für die Muckibuden.
Es gibt belastbare Studien, die immer wieder aufzeigen, dass 13 bis 16
Prozent der Besucher von Fitnessstudios über Erfahrungen im Konsum von
Dopingpräparaten verfügen. Bei über 10 Millionen registrierten Mitgliedern
von Fitnessstudios kriegt man eine Vorstellung davon, dass Hunderttausende
betroffen sein müssen.
Der Markt ist also riesengroß, wenn allein in Deutschland über 1 Million
Kunden das Zeug einwerfen.
Man kann es nicht nur reduzieren auf den Konsum von anabolen Steroiden. Da
spielen auch andere Mittel eine große Rolle, gerade im Frauenbereich. Da
geht es jetzt eher um die Formung von schlanken, athletischen Figuren. Da
sind andere Wirkstoffe viel interessanter, zum Beispiel Clenbuterol. Das
Asthmamittel kennt man noch vom Fall Katrin Krabbe, der Sprinterin.
Warum ist dieses Mittel beliebt?
Es erhöht die Körpertemperatur um 1 bis 1,5 Grad. So verbrennt man auch in
inaktiven Phasen mehr Kalorien, hat einen höheren Grundumsatz. Es ist ein
ideales Diätmittel. Bei den Männern, vor allem bei jungen Männern, ist das
Anabolikapräparat das Mittel der ersten Wahl.
Man nimmt also entweder Medikamente, um abzunehmen oder seine Muskeln
aufzublasen?
Oder beides. Es bringt nichts, sich Muskelberge anzuzüchten, wenn man einen
hohen Körperfettanteil hat und dadurch die einzelnen Muskelstränge nicht
richtig zur Geltung kommen. Man will ja im Freibad glänzen.
Ist das ein Wachstumsmarkt?
Also kleiner geworden ist der Markt auf keinen Fall. Die Zahl der Besucher
von Fitnessstudios steigt sukzessive an. Ein hoher Anteil ist gefährdet
oder konsumiert bereits Dopingmittel. Es hängt mit der Logik des
Fitnesssports zusammen. Wenn es darum geht, den eigenen Körper zu
modellieren, dann werden Medikamente zweckgebunden eingenommen.
Das geschieht nicht einmalig beim sonntäglichen Fußballspiel, nein, man
dopt sich jeden Tag wegen der Körperoptik. Es ist Teil des
Modellierungsprozesses. Ab einem bestimmten Leistungsniveau reichen
Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr. Da werden Dopingsubstanzen
eingeworfen.
Einfach so?
Es entsteht eine Missbrauchsspirale, aus der man kaum noch herauskommt. Der
Sportler setzt alles daran, ein imposantes Muskelkorsett aufzubauen. Er
investiert unheimlich viel ins Training, in die Ernährung, ins
Erholungsmanagement, und irgendwann ist all das ausgereizt. Die natürlichen
Grenzen, die die Genetik absteckt, sind erreicht. Dann macht man seine
erste Kur über acht bis zwölf Wochen mit anabolen Steroiden, vorzugsweise
mit dem thailändischen Mittel Dianabol. Damit stößt man in ganz andere
Leistungsdimensionen vor, schießt in der Körperentwicklung durch die Decke,
bekommt positive Resonanz von seiner Peergroup im Fitnessstudio.
Wie geht es dann weiter?
Man muss andere, stärkere Präparate nehmen, weil man den Leistungsabfall,
der mit dem Absetzen von anabolen Steroiden einhergeht, kompensieren will.
Und schon ist man in der nächsten Kur. Da wird dann Spiripent (Clenbuterol)
genommen. Es ist wie beim Kaffee. Erst trinkt man eine Tasse, dann zwei,
dann drei, irgendwann trinkt man drei Kannen am Tag.
Sie selbst haben vier Etappen des Medikamentenmissbrauchs benannt. Es geht
los mit der Etappe des Driftens; hier reichen noch
Nahrungsergänzungsmittel. Dann kommt die Etappe des Konsolidierens, in der
die Betroffenen Mittel aus der Humanmedizin einnehmen. Und dann?
In dem Moment, in dem man zu Arzneien greift, durchbricht man eine gläserne
Decke. Dann kann man nicht mehr zurück auf ein niedrigeres Leistungsniveau.
Das wäre für jeden passionierten Körpermodellierer indiskutabel.
Rückschritte in der Körperoptik sind nicht hinnehmbar. Mit den Jahren
schaukelt sich das hoch.
Gehen Sportler auch so weit, Tiermedikamente einzunehmen?
Zu den Tierarzneien kommt man, wenn die finanziellen Möglichkeiten eng
werden. Da nimmt man dann statt Clenbuterol Ventipulmin, ein Asthmatikum
für Pferde. Früher wurde Ganabol, ein Steroid für Rinder ,oder Laurabolin,
ein Anabolikum für Katzen, genommen.
Neben diesem Schwarzmarkt für Dopingmittel wird im Breitensport auch im
großen Stil unter ärztlicher Aufsicht gedopt. Wie funktioniert das?
In der User-Szene gibt es den Weg der Primärquelle. Das bedeutet, dass man
über Privatrezepte oder Scheinindikationen direkt und quasi legal an
Präparate herankommt – oder über korrupte Apotheker. Das ist weit
verbreitet bei Usern, die schon lange dabei sind und über hervorragende
Kontakte verfügen. Viele User, die jung sind und aufs Geld achten müssen,
konzentrieren sich auf die klassische Hinterhof-Dealerei. Da kommen
Produkte aus Untergrundlaboren auf den Schwarzmarkt, von dessen Größe wir
gerade einen Eindruck bekommen.
Warum sind die Besucher von Muckibuden bereit, für eine perfekte Hülle ihre
Gesundheit aufs Spiel zu setzen?
Die Risiken für die inneren Organe sieht man ja erst mal nicht. Letztlich
geht es um Identitätsarbeit. Die Körpermodellierung ist ein
Identitätsanker. Ein Bodybuilder versteht sich als Bodybuilder und nur
sekundär als Bankangestellter oder Manager. Seine primäre Identitätsarbeit
wickelt er nicht über berufliche Erfolge oder in der Familie mit Kindern
ab, sondern nur mit Körperarbeit an der Hantel. Und dazu braucht er auch
Medikamente.
9 Jul 2019
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Anabolika
Doping
Körperkult
Doping
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