# taz.de -- Doping Mafia: Ein Milliarden-Geschäft | |
> Die Sportler sind das letzte Glied in der Kette: Jährlich verkauft die | |
> Doping-Industrie tonnenweise Anabolika und Testosteron. Das schmutzige | |
> Geschäft mit den Pillen. | |
Bild: Dahinter steht die Industrie. Und vor dem Sportler sind die Spritzenkontr… | |
Mit Entsetzen reagierten Medien und Radsportverantwortliche auf den | |
positiven Dopingtest des T-Mobile-Radlers Patrick Sinkewitz. Die | |
Zeigefinger der Sportmoralapostel sind auf den Profi gerichtet. Sinkewitz | |
gilt als Sinnbild für den unverbesserlichen Athleten, der es einfach nicht | |
lassen kann. Sein Teamchef, Bob Stapleton, mimt den Schockierten, der nicht | |
glauben will, dass einer lügt und betrügt. Patrick Sinkewitz hat mit | |
Testosteron gedopt. Er ist im Sinne des Welt-Anti-Doping-Kodex ein | |
Betrüger. Der einzige ist er beileibe nicht. Er ist als Sportler das letzte | |
Glied einer weltumspannenden Verwertungskette. Er ist Kunde der | |
Dopingindustrie mit ihren mafiös organisierten Vertriebskanälen und | |
Pharmaherstellern, die wissen, dass man gut verdienen kann an der gedopten | |
Leistungsgesellschaft. | |
Der Kampf gegen die Machenschaften der Doping-Mafia richtet sich dennoch | |
weiterhin hauptsächlich gegen einzelne Spitzenathleten. Beinahe ungehört | |
verhallte ein Hilferuf, den die US-Drogenbehörde (US Drug Enforcement | |
Administration, DEA) bereits 1993 an die Regierungen der Welt richtete. Sie | |
forderte die Regierungen auf, endlich die Rolle der Pharmaunternehmen im | |
Doping-Kartell zu untersuchen, sich zum Wohle der allgemeinen Gesundheit | |
mit der Dopingproblematik zu beschäftigen. Sie forderte | |
Polizeisondereinheiten und Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um dem Handel | |
mit Dopingsubstanzen endlich Herr zu werden. | |
In Deutschland tritt ein spezielles Anti-Doping-Gesetz 2008 in Kraft. | |
Reichlich spät, wie Alessandro Donati, der italienische Anti-Doping-Kämpfer | |
im Juni bei einer Anhörung im Sportausschuss des Deutschen Bundestages | |
angemerkt hat. Kurz zuvor hatte er eine Studie zum weltweiten Handel mit | |
Dopingsubstanzen vorgestellt, die er im Auftrag der | |
Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) angefertigt hat. Dabei stellte er | |
Deutschland ein miserables Zeugnis aus. | |
Problem unterschätzt | |
Nennenswerte Ermittlungserfolge zur Unterbindung des Dopinghandels habe es | |
bis dato noch gar nicht gegeben. Das Problem, so Donati, werde in | |
Deutschland nach wie vor unterschätzt. Nur einmal wurden die deutschen | |
Behörden aktiv. Am 29. August 2006 informierten polnische Polizeibeamte | |
ihre Kollegen im Nachbarland, dass zehn Bodybuilder aus Berlin und Hannover | |
große Mengen anaboler Steroide importiert hätten. Stolz präsentierte die | |
deutsche Polizei den Fund. Viel mehr hat sie bis heute nicht erreicht. Das | |
ist, so Donati, ein Armutszeugnis, weil Deutschland auch ein Exportland von | |
Dopingmitteln sei. Explizit kritisierte er die Rolle der Sportverbände in | |
Deutschland. Donati kann nicht verstehen, warum es immer noch Funktionäre | |
wie den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, | |
gibt, die Urinkontrollen für ein hinreichendes Mittel in der | |
Dopingbekämpfung halten. Auch nach dem positiven Test von Patrick Sinkewitz | |
wurde das Kontrollsystem von Tourpiloten wie Linus Gerdemann oder Bernhard | |
Eisel über den grünen Klee gelobt. Donati sieht das anders. Zu | |
professionell wird mittlerweile manipuliert. "Das Dopingkontrollsystem ist | |
tot", sagte der Italiener im Juni vor den verdutzt dreinschauenden | |
Bundestagsbgeordneten. | |
Auch wenn es in den USA der DEA mittlerweile regelmäßig gelingt, größere | |
Dopingnetzwerke auszuheben, so geht die Behörde doch davon aus, dass nur | |
0,7 Prozent der illegal gehandelten Substanzen sichergestellt werden. | |
Aufgrund dieser Annahme schätzt Donati, dass jährlich 700 Tonnen ananbole | |
Steroide, 70 Tonnen Testosteron und 34 Millionen Ampullen des bei | |
Ausdauersportlern so beliebten Blutdopingmittel Epo illegal gehandelt | |
würden. | |
Dabei handelt es sich nicht selten um Produkte, die legal hergestellt | |
werden. Es war ein Biotechnologiekonzern aus den USA, der vor allem den | |
Radfahrern in den vergangenen Jahren Beine gemacht hat. 1989 brachte die | |
Firma Amgen (Applied Molecular Genetics) das Mittel Epogen auf den Markt. | |
Erstmals war es einer Firma gelungen das menschliche Hormon Erythropoietin | |
synthetisch herzustellen. Entwickelt wurde das Medikament zur Behandlung | |
von Blutarmut bei Krebs- und Nierenpatienten. 6,6 Milliarden Dollar hat | |
Amgen im vergangenen Jahr mit Epo umgesetzt, das ist etwas weniger als die | |
Hälfte des gesamten Konzernumsatzes. Weltweit werden mit Epo 11,8 Millarden | |
Dollar umgesetzt. Verordnet werden aber nur Ampullen im Wert von 1,5 | |
Millionen Dollar. Mehr wird von Patienten nicht benötigt. Die Hersteller | |
wissen ganz genau, was mit ihren Mitteln geschieht. Und die Pharmakonzerne | |
wissen, dass sie nicht für Kranke produzieren. Und sie erwarten weitere | |
Umsatzsteigerungen beim Handel mit Epo. Analysten der Deutschen Bank | |
prophezeien Amgen ein Umsatzpotenzial von mehr als 10 Milliarden Dollar bei | |
Epo. | |
Natürlich bestreitet Amgen jede Mittäterschaft im Dopingsystem. In der Tat | |
arbeitet die Biotech-Firma mit Analysespezialisten der Dopinglabore | |
zusammen. Die Frage, warum jedoch wesentlich mehr Ampullen hergestellt | |
werden als für den medizinischen Bereich notwendig wird nicht beantwortet. | |
Der Deutschlandchef von Amgen, Frank Mathias, sagte kürzlich: "Was im | |
Radsport passiert ist, ist ein klarer Missbrauch mit ärztlicher | |
Unterstützung. Das können und wollen wir nicht dulden." Änlich werden auch | |
diejenigen Firmen argumentieren, die sich aufmachen im Geschäft mit Epo | |
mitzumischen. Ein wahrer Wettlauf hat begonnen. Etliche Firmen wollen | |
demnächst Generika auf den Markt bringen. Sandoz, Hexal, Medice | |
Arzneimittel Pütter und Stada, ein Sponsor des Bundes Deutscher Radfahrer | |
(BDR) übrigens, stehen mit ihren Produkten in den Startlöchern. Die Doper | |
werden sich freuen. Denn Epo wird billiger. Bis jetzt muss tief in die | |
Tasche greifen, wer den Sauerstofffluss im Blut mit Epo verbessern will. | |
Ein Päckchen Eprex der Firma Johnson & Johnson mit sechs Ampullen à 0,5 | |
Milliliter etwa kostet 389,99 Dollar. Bestellen kann man das | |
verschreibungspflichtige Medikament im Internet, zum Beispiel unter | |
www.medoutlet.net. Dort kann man problemlos auch Testosteron oder | |
Clenbuterol bekommen. | |
Giftküchen im Osten | |
Ähnlich professionell wie die Pharmafirmen den Markt organisieren, haben | |
Sportmediziner daran gearbeitet, Trainingspläne auszuarbeiten, in denen der | |
Einsatz von Epo von entscheidender Bedeutung ist. Francesco Conconi, ein | |
berüchtigter italienischer Sportmediziner, verwendete die Gelder, mit denen | |
er im Auftrag des Nationalen Olympischen Komitees Italiens (Coni) im | |
Anti-Doping-Kampf forschen sollte, um an Sportlern mit Epo zu | |
experimentieren. Von seinen Forschungsergebnissen profitieren bis heute | |
zahlreiche italienische Trainingswissenschaftler, denen Klienten aus der | |
Radsportszene immer noch die Tür einrennen. Aber auch mehr und mehr | |
Athleten, die nicht in den Verbänden organisiert sind, ambitionierte | |
Freizeitsportler, haben inzwischen zumindest eine Ahnung davon, wie man mit | |
Epo umgeht. Im Ausdauersport bahnt sich eine Entwicklung an, wie sie der | |
Kraftsport, und das Bodybuilding schon durchlaufen haben. Im Umfeld von | |
Fitnessstudios wird mit Produkten des schwarzen Marktes beinahe ungeniert | |
gedealt. Längst haben sich Giftküchen in China und Russland auf die | |
Herstellung von anabolen Steroiden oder Wachstumshormonen spezialisiert. | |
Alessandro Donati geht in seiner Studie davon aus, dass knapp zwei Prozent | |
der Bevölkerung Deutschlands regelmäßig Dopingmittel konsumieren - 1,6 | |
Millionen Menschen. Patrik Sinkewitz ist nur einer von ihnen. | |
19 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
A. Rüttenauer | |
## TAGS | |
Anabolika | |
Pharmaindustrie | |
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