# taz.de -- Vor der Wahl in Griechenland: Für Tsipras sieht es schlecht aus | |
> Rentnerin Meni Rapti will Syriza ihre Stimme geben – obwohl sie von ihr | |
> enttäuscht ist. Dennoch droht der linken Regierungspartei eine Schlappe. | |
Bild: Enttäuscht: die Anhänger der Regierungspartei Syriza bei einer Wahlvera… | |
ATHEN taz | Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Griechenland ist es | |
verhältnismäßig ruhig auf den Straßen von Athen. Keine großen Kundgebungen | |
der Parteien. Nur ein paar Wahlstände sind auf Plätzen in der griechischen | |
Hauptstadt zu sehen, und das längst nicht auf allen. Vor den Ständen stehen | |
gelangweilte Wahlkämpfer und kaum mehr Besucher. Plakate der jeweiligen | |
Kontrahenten hängen glanzlos in den Straßen. Es scheint fast, als seien die | |
Wahlen bereits entschieden. | |
Die regierende Syriza wird an diesem Sonntag [1][allen Prognosen zufolge | |
ihre Macht] zugunsten der liberal-konservativen Partei Nea Dimokratia | |
verlieren. Es ist die Abstrafung einer enttäuschten Wählerschaft. Viele, | |
die den Chef der linken Syriza, Alexis Tsipras, 2015 mit ihrer Stimme ins | |
Amt des Ministerpräsidenten hievten, [2][wenden sich nun ab]. Die harten | |
Einschnitte der Austeritätspolitik konnte er nicht mildern. | |
Im Gegenteil. Die Auflagen der Gläubiger aus EU-Kommission, Europäischer | |
Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) waren für viele | |
Griechen verheerend. Dass Tsipras versuchte, seinen Landsleuten | |
[3][Steuererhöhungen, Rentenkürzungen und Niedriglöhne als Reformen] zu | |
verkaufen, haben ihm viele übel genommen. | |
In einem Imbiss im Zentrum Athens läuft Wahlwerbung im Fernsehen. Zwei | |
Männer, beide um die 70, lehnen an der Theke und zeigen in Richtung | |
Mattscheibe. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras spricht mit | |
fast väterlicher Stimme direkt in die Kamera. Er spricht von der Wahl als | |
Entscheidung zwischen Rückschritt oder Aufbruch und warnt vor neuerlicher | |
Abhängigkeit, Unsicherheit und Ungerechtigkeit. Die beiden Senioren zucken | |
mit den Achseln und machen eine abwinkende Handbewegung. Besonders unter | |
Rentnern hat sich der griechische Ministerpräsident durch zahlreiche | |
Rentenkürzungen unbeliebt gemacht. | |
## Statt 1.200 auf einmal 830 Euro | |
Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wohnt Meni Rapti. Die | |
74-Jährige sitzt auf der dunkelblauen Couch im Wohnzimmer ihrer kleinen | |
Dreizimmerwohnung. Auch sie hat harte Einschnitte hinnehmen müssen. Bevor | |
Tsipras die Renten kürzte, bekam die Frau 1.200 Euro pro Monat. Jetzt sind | |
es nur noch 830 Euro. „Davon muss ich jeden Monat 340 Euro Warmmiete, | |
Strom, Telefon und meine Bluthochdruckmedikamente, von denen ich 25 Prozent | |
selbst tragen muss, bezahlen“, seufzt sie. | |
Da bleibe nicht mehr viel übrig. Und nein, von ihrer Tochter könne sie | |
keine Unterstützung erwarten. Dazu schüttelt die Frau mit den kurzen | |
schwarzen Haaren energisch den Kopf. Diese habe ja selbst nicht genug Geld, | |
da sie keine feste Anstellung finden kann – Arbeitsplätze sind rar in | |
Griechenland. | |
Meni Rapti hätte guten Grund, der Regierung bei der Wahl am Sonntag einen | |
Denkzettel zu verpassen. Tut sie aber nicht „Ich wähle trotz alledem wieder | |
Syriza“, sagt sie. „Denn die Regierungspartei wurde von den Gläubigern mit | |
Sparauflagen dazu gezwungen, immer weiter zu kürzen.“ Sie könne sich gut | |
vorstellen, dass Tsipras ein gerechteres Allgemeinwohl vorantreiben könnte | |
– wenn man ihn nur lassen würde. | |
Seit August vergangenen Jahres befindet sich Griechenland nicht mehr unter | |
dem sogenannten Rettungsschirm. Darauf bezieht sich Ministerpräsident | |
Tsipras immer wieder in seinen Reden und Wahlspots. Er bittet seine | |
Wählerschaft um eine zweite Chance. Die Syriza könne – ohne die Gläubiger | |
im Nacken – jetzt endlich freier handeln, so Tsipras. | |
## Gläubiger überwachen weiter das Land | |
Was er gerne verschweigt: Auch nach Ablauf des Hilfsprogramms wird | |
Griechenland weiterhin von den Euro-Partnern überwacht. Bis 2022 muss das | |
Land jährlich einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent vorweisen, um | |
Schuldenerleichterungen zu erhalten. Und: Erst im Jahr 2032 soll mit der | |
Tilgung der Schulden begonnen werden. | |
„Der damals 38-jährige Alexis Tsipras mit seiner jungen Partei hat in | |
seinen Wahlversprechen im Jahr 2015 den Mund ganz schön voll genommen“, | |
sagt Rapti und wiegt lächelnd den Kopf. Tsipras habe damals immer wieder | |
getönt, er würde keine Rentenkürzungen vornehmen, sich von den Gläubigern | |
nichts vorschreiben lassen und vor allem für Arbeitsplätze im Land sorgen. | |
„Natürlich ist die Enttäuschung der Menschen hier groß“, sagt Rapti. Doch | |
Wut? | |
Nein, die Syriza herrsche schließlich nicht so schlimm wie damals die Nea | |
Dimokratia. Damals brannten in Athen ganze Straßen. Die linke Syriza habe | |
die Menschen viel besser vereinen können, nicht nur die Eliten. Und wenn es | |
zu Straßenschlachten kam, knüppelte die Polizei die Proteste nicht einfach | |
so nieder, wie es die Polizei auf Anordnung der Nea Dimokratia getan hatte. | |
„Die Linken sind doch sehr viel menschlicher“, schlussfolgert Rapti. Doch | |
Sympathie allein reiche halt auch nicht. Es sei viel versprochen worden. Zu | |
viel: keine Rentenkürzungen, bessere Löhne, niedrigere Steuern, die | |
Oligarchen zur Kasse bitten und die Klientelpolitik abschaffen – nichts | |
davon ist passiert. | |
## Nea Dimokratia in Umfragen vorn | |
Deshalb sieht es schlecht aus für Alexis Tsipras und seine Partei. Bei etwa | |
28 Prozent der Wählerstimmen sehen die Meinungsinstitute Syriza kurz vor | |
der Parlamentswahl am Sonntag. Alles deutet darauf hin, dass Tsipras sein | |
Amt an den liberal-konservativen Spitzenkandidaten Kyriakos Mitsotakis (ND) | |
verlieren wird. Der scheint sich unterdessen schon fast als Sieger zu | |
sehen. Immer forscher tritt der zu Anfang zurückhaltend wirkende | |
Konservative mittlerweile auf. | |
Die Botschaft der Nea Dimokratia in ihren Werbespots hält deutlich Kurs | |
gegen ihre linken Kontrahenten: „Die letzten Jahre waren eine Odyssee, aber | |
am 7. Juli schlägt die Stunde, wo wir vorangehen“, heißt es in einem der | |
Wahlkampfspots im Fernsehen. Darin ist ein Schiff auf stürmischer See zu | |
sehen. Man sei bereit und habe einen Plan, sagt Spitzenkandidat Mitsotakis | |
und verspricht: „Starkes Wachstum für alle Griechen. Damit wir das | |
schaffen, brauche ich Ihre Unterstützung.“ | |
Eine Botschaft, die bei vielen Griechen gut ankommt. „Ich wäre froh, wenn | |
sich Mitsotakis durchsetzten könnte“, sagt Ioannis Markopoulos. Der | |
67-Jährige arbeitet als Salesmanager einer internationalen Firma im | |
Hardware- und Softwarebereich mit 120 Mitarbeitern. Sein Büro liegt im | |
ersten Stock eines beigefarbenen Gebäudes im Zentrum Athens. Markopoulos | |
sitzt an seinem Schreibtisch und nimmt Telefonanrufe entgegen, verhandelt | |
mit unterschiedlichen Geschäftspartnern und führt Verkaufslisten. | |
„Ich werde nie das Chaos vergessen, das die Syriza mit ihren | |
Kapitalsverkehrskontrollen angerichtet hat“, erinnert sich der | |
hochgewachsene Mann mit den grau melierten Haaren. Damals konnten sowohl | |
von Privatpersonen als auch von Firmen nur sehr geringe Geldbeträge | |
abgehoben werden. Man sah sozusagen zu, wie das eigene Schiff unterging, | |
erzählt er. Es kam zu zahlreichen Entlassungen. | |
## Zahlreiche Entlassungen | |
„Die Nacht vorher konnte ich kaum schlafen“, erinnert sich Markopoulos. Am | |
Morgen habe er dann die jeweiligen Mitarbeiter in den Meetingroom gebeten, | |
um ihnen die Nachricht zu überbringen. „Ich wusste, was das für sie | |
bedeutet – viele von ihnen haben Familie“, sagt der Salesmanager. Ihm | |
selbst wurden die 1.680 Euro Monatslohn von 2012 bis heute auf 1.150 Euro | |
gekürzt. | |
Etliche mittelständische Unternehmen brachte diese Politik zu Fall, sagt | |
Markopoulos: „Durch die wirtschaftliche Instabilität, die die Syriza | |
anfachte, wurden ganze Existenzen zerstört.“ Auch hätten Investoren das | |
Land verlassen oder erst gar nicht hier investiert. Eigentlich war ein | |
weiteres Wahlversprechen der Syriza im Jahr 2015: Griechenland solle | |
wettbewerbsfähig und attraktiv für Investoren werden. | |
„Weit gefehlt“, sagt Markopoulos. Internationale Ranglisten präsentierten | |
tragische Ergebnisse: Beim letzten Doing-Business-Ranking der Weltbank ist | |
Griechenland zurückgefallen und liegt nun auf Rang 72. Im Vergleich dazu | |
ist Bulgarien mit Platz 59 besser dran. Das Doing-Business-Ranking gilt | |
weltweit als Indikator dafür, wie wettbewerbsfähig ein Land ist. | |
Markopoulos ist überzeugt: Griechenland muss Investoren ins Land holen – | |
nur so entstünden wieder neue Arbeitsplätze. | |
Zwar brüstet sich Tsipras, dass er die Arbeitslosenquote in seiner | |
Legislaturperiode gesenkt hat. Tatsächlich ist sie von über 25 Prozent auf | |
rund 18,5 Prozent gesunken. Dennoch ist das immer noch die höchste | |
Arbeitslosenquote innerhalb der Europäischen Union. „Es ist doch nicht | |
okay, jetzt damit zu prahlen, obwohl viele für einen Hungerlohn schuften | |
und sich dennoch kaum über Wasser halten können“, sagt Markopoulos und | |
schüttelt verärgert den Kopf. „Klar, in der Auflistung der Arbeitslosen | |
kommen sie dann nicht mehr vor, das macht halt sich gut auf dem Papier“. | |
Als Jugendlicher sei auch er sehr links eingestellt gewesen, sagt | |
Markopoulos und lächelt leise. Doch sobald er mit der Arbeitswelt | |
konfrontiert wurde, habe er diese Ideologie verloren. „Alles andere ist | |
doch realitätsfern. Die Politik wird – ob das gut ist oder nicht – durch | |
die Wirtschaft geführt.“ So jedenfalls sieht das Markopoulos, der | |
Salesmanager. | |
## „Leben nicht so vorgestellt“ | |
Meni Rapti ist kurz in der Küche verschwunden und kommt mit frisch | |
gebrühtem Kaffee zurück ins Wohnzimmer. Sanft streicht sie über den weichen | |
dunkelblauen Stoff ihres Sofas, wirkt für einen Moment abwesend. Dann sagt | |
sie leise: „Natürlich habe ich mir mein Leben im Alter nicht so | |
vorgestellt, doch das wäre mit einer konservativen Regierung, die die | |
Sparauflagen der Austeritätspolitik erfüllen muss, genauso passiert“. | |
Und dann erzählt Rapti, wie sich ihr Alltag verändert habe: Vor jedem Gang | |
in den Supermarkt schreibe sie sich heute genau auf, was sie brauche. Und | |
sie habe Angst davor, krank zu werden. Denn das Gesundheitssystem ist nicht | |
mehr intakt. Zahlreiche Ärzte haben Griechenland verlassen, die Lage in den | |
staatlichen Krankenhäusern ist dramatisch. „Wenn du hier ernsthaft krank | |
wirst, brauchst du Geld, um einen Arzt eines privaten Krankenhauses zu | |
bezahlen“, erklärt Rapti. Ansonsten kann es sein, dass man über ein Jahr | |
auf einen Operationstermin warten muss. Aber noch gehe es ihr gut. Sie | |
lacht. | |
Für viele andere frühere Unterstützer ist die Syriza keine Linke mehr. Auch | |
wenn sie gesellschaftspolitisch manches bewirkt hat. So war es für | |
gleichgeschlechtliche Paare im orthodoxen Griechenland stets sehr schwer. | |
Hier setzte die Regierungspartei immer wieder Zeichen für Offenheit und | |
brachte letztendlich die zivile Partnerschaft für Schwule und Lesben durchs | |
Parlament. Auch die sogenannte Flüchtlingskrise hat die Syriza bestimmt | |
besser gelöst, als es die Konservativen getan hätten. | |
Die Menschen wurden in Griechenland aufgenommen, bis die EU den Pakt mit | |
der Türkei schloss und die Menschen auf den Inseln festhielt. „Doch auch | |
hier hat es die Syriza geschafft, immer wieder einige der Menschen aufs | |
Festland zu holen“, sagt die Rentnerin. Sie macht sich nun sorgen, wie wohl | |
die Konservativen mit den Flüchtlingen umgehen werden, falls sie Tsipras | |
ablösen. | |
## Was ist die linke Alternative? | |
Ja, all die Versprechungen, das sei ihr schon bewusst, sagt Meni Rapti. | |
„Aber was soll denn bitte die Alternative sein? Es gibt keine Partei, die | |
linker eingestellt ist, außer vielleicht die Kommunistische Partei | |
Griechenlands (KKE). Doch die sind zu klein, um etwas zu bewirken“, so | |
Rapti. Sie habe niemals eine konservative oder rechte Partei gewählt. „Das | |
könnte ich nicht. Das geht immer auf die Kappe der Menschen. Ich wähle also | |
lieber das kleinste Übel“, sagt sie. | |
Die beiden Männer im Imbiss auf der anderen Straßenseite sind längst | |
verschwunden. Zwei Frauen um die 30 haben jetzt an einem der Tische Platz | |
genommen. Beide haben zu den Wahlen im Jahr 2015 Syriza gewählt. Beide von | |
ihnen sind schwer enttäuscht. Noch immer arbeiten sie für sehr wenig Geld, | |
noch immer haben sie keinerlei Absicherung. Die beiden Frauen diskutieren | |
lange, welche Partei sie am Sonntag wählen könnten. Zu einem Ergebnis | |
kommen sie nicht. | |
Es wird mit einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet. | |
NaN NaN | |
## LINKS | |
[1] /Griechenland-bei-der-Europawahl/!5597918 | |
[2] /Nach-Syriza-Absturz-bei-der-Europawahl/!5597978 | |
[3] /Oekonom-ueber-EU-Rettungsschirm/!5525632 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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