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# taz.de -- Kommentar Türkische Kommunalwahlen: Sieg der Demokraten
> Ob İmamoğlus Wahlsieg vorgezogene Neuwahlen zur Folge haben wird, ist
> unklar. Doch die Alleinherrschaft Erdoğans neigt sich ihrem Ende zu.
Bild: Ekrem İmamoğlus Anhänger*innen bescherten ihm einen Erdrutschsieg
Was viele nicht mehr für möglich gehalten hätten, am Sonntag ist es
passiert. Die Demokratie in der Türkei ist zurück. Der Erdrutschsieg des
Oppositionskandidaten Ekrem İmamoğlu war ein eindrucksvolles Zeichen der
Istanbuler Bevölkerung, ja eines großen Teils der gesamten Türkei, dass sie
der autokratischen Bevormundung durch Präsident Recep Tayyip Erdoğan
überdrüssig sind.
Jetzt erst recht, haben sich viele Menschen gesagt, nachdem auf Druck der
Regierung der knappe Sieg İmamoğlus am 31. März für ungültig erklärt word…
war und die zentrale Wahlkommission eine Wiederholungswahl angesetzt hatte.
Jetzt erst recht wählen gehen und dem Präsidenten zeigen, dass man so nicht
mit sich umspringen lässt. Es war ein starker Impuls der Wähler*innen, für
ihre demokratischen Rechte einzutreten, der die Menschen am Sonntag an die
Urnen getrieben hat. Viele von ihnen hatten sogar Tausende Kilometer
Anfahrtswege von ihren Urlaubsorten und Sommerhäusern in Kauf genommen, um
bei dieser Wahl unbedingt dabei zu sein.
Erdoğan war jedenfalls schlecht beraten, als er [1][die Wiederholung der
Wahl in Istanbul] erzwang. Jetzt hat er nicht nur die wichtigste Stadt der
Türkei verloren, sondern auch sein Image des Unbesiegbaren. Zähneknirschend
musste er angesichts von 800.000 Stimmen Vorsprung von İmamoğlu – am 31.
März waren es nur 25.000 gewesen – dessen Sieg noch am Sonntagabend
anerkennen, nachdem sein Statthalter Binali Yıldırım bereits zwei Stunden
nach Schließung der Wahllokale seine Niederlage eingestanden hatte. Sollte
Erdoğan wie angedroht nun tatsächlich noch versuchen, İmamoğlu per Justiz
durch eine wie auch immer geartete Anklage aus dem Weg zu räumen, würde er
den Heldenstatus des neuen Istanbuler Oberbürgermeisters nur noch
vergrößern.
Ekrem İmamoğlu ist durch seinen grandiosen Wahlsieg, dem ein ebenso
grandioser Wahlkampf vorwegging, nun endgültig zum Gegenspieler des
Präsidenten geworden, auch auf nationaler Ebene. Doch der Ball liegt nun
erst einmal im Feld der AKP. Auch innerhalb der Regierungspartei gibt es
viele Kritiker Erdoğans, die sich bislang nicht trauten, aus der Deckung zu
kommen.
## Es kommt Bewegung in die türkische Politik
Das wird sich nun wahrscheinlich ändern. Offiziell sind die nächsten
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erst 2023. Doch wenn sich die AKP
spaltet, wenn es einer neuen konservativen Partei, die ehemalige führende
AKP-Leute gründen wollen, gelingt, einen Teil der jetzigen AKP-Fraktion zu
sich herüberzuziehen, könnte Erdoğan schon wesentlich früher seine Mehrheit
im Parlament verlieren. Ob das vorgezogene Neuwahlen zur Folge haben wird,
wie jetzt bereits spekuliert wird, muss man sehen – auf jeden Fall kommt
wieder Bewegung in die türkische Politik, die Alleinherrschaft Erdoğans
neigt sich ihrem Ende zu.
Nach den bedrückenden Jahren des Ausnahmezustands und der massiven
Repression haben viele Menschen jetzt erst einmal das Gefühl, wieder freier
atmen zu können. Der Blick richtet sich nun auf die Menschen, die vom
Regime aus politischen Gründen angeklagt und teilweise bereits verurteilt
sind. Schon bei dem heute beginnenden Prozess gegen 16 bekannte
Aktivist*innen der Istanbuler Zivilgesellschaft wird sich zeigen, ob der
neue Geist der Demokratie sich auch bei den Richtern niederschlägt.
24 Jun 2019
## LINKS
[1] /Buergermeisterwahl-in-Istanbul/!5604888
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Politik
Türkei
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