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# taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Die ganze Gier der Gaffer
> Angela Merkel zittert bei öffentlichen Auftritten. Darüber zu berichten
> ist richtig, sich daran zu weiden hingegen verächtlich.
Bild: Nonstop unterwegs: Angela Merkel – hier beim G20-Treffen in Osaka
Wer in der Politik Verantwortung trägt, muss sich befragen lassen. Prüfen
lassen. Kritisieren lassen. Attackieren lassen. Karikieren lassen.
Fotografieren lassen. Filmen lassen. Muss sich im Urlaub stören und sich
den Schlaf rauben lassen. Das ist normal, darüber gibt es nichts zu
jammern. Eine Kanzlerin bestimmt über andere. Deshalb gibt sie einen Teil
ihrer eigenen Selbstbestimmtheit ab. Ob sie bei Kräften ist, geht andere
etwas an. Doch es gibt Grenzen, und die sind diese Woche überschritten
worden.
Am Donnerstag hat Angela Merkel gezittert. Im Schloss Bellevue
verabschiedete der Bundespräsident die scheidende Justizministerin, und
ernannte die neue. Während er sprach, stand die Kanzlerin neben ihm, die
Arme vor dem Körper verschränkt, ihre Beine schüttelte es. Schon vergangene
Woche war Ähnliches passiert, sie wartete mit dem ukrainischen Präsidenten
darauf, eine Ehrenformation der Bundeswehr abzuschreiten, vorher spielte
noch eine Kapelle. [1][Merkel zitterte].
Noch mal: Darüber zu berichten ist legitim. Aber es wird eben nicht nur
berichtet. Es wird gedichtet, gehöhnt und gegafft. Die Nachrichtenagentur
dpa und das ZDF bringen Videos von der Szene beim Bundespräsidenten. Die
Kamera zoomt auf Merkels Oberkörper, senkt sich dann abwärts, scannt
sorgfältig ihre zitternden Beine. „Ganzer Körper betroffen“, stellt der
Münchner Merkur fest. „Sorge: Hat die Kanzlerin Parkinson?“, fragt die
Berliner Morgenpost. Die Bild bietet gleich mehrere Diagnosen
unterschiedlicher Ärzte auf: orthostatischer Tremor. Schüttelfrost.
Diabetes. Multiple Sklerose. Auf Twitter empfiehlt jemand Merkel eine
berufliche Zukunft als Barmixerin – nur ein Beispiel für viele
Widerlichkeiten.
Merkel wird all das aushalten. Sie hat ihr Zittern nicht im Griff. Andere
Leute haben eher Hirnprobleme; beziehungsweise hapert es in der Region, wo
der Anstand angesiedelt sein sollte. Das größere Übel liegt woanders: in
der Botschaft, dass in der Politik nur roboterartige Figuren unterwegs
sind, die nie schwach sein dürfen. Wenn doch, kann man mit ihnen alles
veranstalten, inklusive Ferndiagnosen und Kamerafahrten unter die
Gürtellinie. Die Demokratie leidet, wenn es so wird, dass in die Politik
nur geht, wer sich dem aussetzen will: der ganzen Gier der Gaffer.
Im Übrigen scheint es für jene, die bei den Terminen anwesend waren,
verblüffend klar gewesen zu sein, das Selbstverständliche nicht zu tun: die
Zeremonie wenigstens kurz zu unterbrechen, weil es jemandem schlecht geht.
28 Jun 2019
## LINKS
[1] /Merkels-Schwaecheanfall-in-den-Medien/!5601710
## AUTOREN
Georg Löwisch
## TAGS
Schwerpunkt Angela Merkel
Journalismus
Voyeurismus
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Europäische Union
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