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# taz.de -- Kolumne Frauen-WM: Retardierende Momente
> Warum sorgen gerade spielstarke Teams bei der Frauenfußball-WM für die
> größten Enttäuschungen? Es ist ein Scheitern mit Stil.
Bild: Kompaktheit versus Verspieltheit: Marina Hegering (l.) springt höher als…
Man liest dieser Tage gar nicht so selten ein Schuldeingeständnis auf
Twitter, das ungefähr so klingt: Ich habe wirklich versucht, dem
Frauenfußball eine Chance zu geben, aber nach zwanzig Minuten habe ich
aufgegeben, sorry. Der Ärmste oder die Ärmste, die hier viel zu früh die
Segel gestrichen hat, wohnte wahrscheinlich der Partie der Japanerinnen
gegen Argentinien bei.
Oder sie war Fan der Spanierinnen und hatte irgendwann die Nase voll von
dieser krassen Ineffektivität der kleinen wuseligen Spielerinnen, die zwar
einen Diplomabschluss in Tikitaka haben, den Deutschen jederzeit einen
Knoten in die Beine spielen können und obendrein ein Dauerabo auf
Ballbesitz ihr Eigen nennen, aber den Kern des Spiels scheinen sie ebenso
wie die Japanerinnen nicht so recht verstanden zu haben: [1][Tore
schießen]. Kompromisslos draufballern. Sich durchsetzen im Strafraum.
Kaltschnäuzig sein. Knipserqualitäten haben. Die Torfrau samt Ball ins Netz
verfrachten. Die Pille unter die Latte löten. Kurzum: eiskalt vorm Kasten
sein.
## Maskuline Robustheit
Die Spanierinnen hätten noch einmal 90 Minuten spielen können, sie hätten
gegen das DFB-Team keinen Treffer erzielt. Den Japanerinnen hätte ein
Zeitbonus von ein bis zwei Tagen wohl auch nicht viel genutzt, und so ist
an diesen Beispielen klar erkennbar, welche Teams bei dieser WM reüssieren:
Es sind die Mannschaften, die effektiv, robust und physisch stark sind,
allen voran die US-Amerikanerinnen, aber mit Abstrichen auch die
Französinnen, Engländerinnen und die Deutschen. Da wird schon mal mit
maskuliner Robustheit zu Werke gegangen, und würden es alle Angreiferinnen
tun, dann wäre diese WM nicht so ein Festival der retardierenden Momente.
Angesichts der Spielstärke von Spanien oder Japan vermutete man, sie
betrieben diesen Aufwand nicht nur, um eine Passquote von über 80 Prozent
zu erzielen, sondern auch, um das eine oder andere Tor zu schießen. Aber
weit gefehlt. Sie begnügen sich demütig mit einer Überlegenheit, die nicht
zählbar auf der Anzeigetafel erscheint.
## Organisierte Überraschung
Sie spielen einen Fußball, der ihr Scheitern ungleich größer erscheinen
lässt, weil sie es ja „eigentlich“ können, nur eben im Strafraum nicht. S…
scheitern quasi mit Stil. Und ihr Scheitern verschiebt den dramatischen
Höhepunkt immer weiter hinaus, bis er nur mehr zu erahnen ist, was nicht
nur zu Frust bei spanischen oder japanischen Fans führt.
„Fußball ist eine organisierte Überraschung“, schreibt Dirk Schümer in
seinem Fußball-Klassiker „Gott ist rund“. Aber was ist, wenn die
Überraschung ausbleibt? Wenn sich, je länger das Spiel dauert, die
Überzeugung verfestigt: „Das Ganze ist ja hübsch anzusehen, aber ein Tor
schießen die heute nicht mehr“? Im Fußball, um noch einmal Schümer zu
zitieren, steht der gelungene Moment, der Kairos, im Verhältnis zu
unzähligen Momenten des Nichtgelingens.
Im Fußball läuft also verdammt viel schief – und das auch noch vor aller
Augen. Es staut sich im Publikum viel Energie auf, die entladen werden
will. Kommt es nicht zu diesem Moment der Erlösung, dann entsteht negative
Energie. Aber zum Glück haben wir ja noch Frauen wie Alexandra Popp, Sara
Däbritz, Alex Morgan und Asisat Oshoala, die wissen, wo der Ball hingehört.
14 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Markus Völker
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