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# taz.de -- Talk zur Frauen-WM: Mehr als Screentime
> Die Erwartungen an die WM sind hoch, mindestens der Weltfrieden sollte
> schon dabei herauskommen. Oder wenigstens guter, authentischer Fußball.
Bild: Megan Rapinoe lässt sich feiern
In vielen Artikeln und Einlassungen wird die WM als der realere Shit
gefeiert, im Vergleich zu den Männerevents, und es stimmt ja auch, die WM
ist ein Turnier für Leute, die den Sport tatsächlich lieben. Nicht nur weil
die Identifikationsfiguren sympathischer, gereifter, interessanter
erscheinen als die Superstars bei den Männern oder vielleicht auch nur:
noch nicht so verkommen. Während Ronaldo und Neymar ihre Zeit damit
verbringen, Vergewaltigungsvorwürfe zu verschleppen, setzt sich Megan
Rapinoe für Menschenrechte ein.
Und natürlich wird in Frankreich der interessantere Fußball gezeigt; gar
nicht in dem Sinn, dass es der schnellere, spektakulärere, intensivere
Fußball ist, sondern weil es mehr zu entdecken gibt. Zuschauer, die die
Stärken und Schwächen jedes Drittliga-Rechtsverteidigers aufzählen können,
jede Grundordnung kennen, in die Greuther Fürth sich nach einer Führung
formiert, wissen trotzdem nichts davon, wie Nigeria spielt oder welche
obskure Rolle Gaëtane Thiney in Frankreichs Offensive einnimmt. Wer sich
für die Matrix des Spiels interessiert, hat die Gelegenheit, einige
Annahmen grundsätzlich zu überprüfen, weil der Blick unverstellt ist vom
Tamtam des Männerbusiness.
Aber es bleibt ein Unbehagen. Einerseits weil auch dieser Fußball
symbolisch überladen wird. Aber in ganz anderen Bereichen: Während bei
einer Männer-WM alles darangesetzt wird, das Kindlich-Unschuldige zu
betonen, die Freude am Spiel, den Moment (weil sich das so auch besser
verkaufen lässt), läuft bei dieser WM immer das Gesellschaftsressort mit:
Es geht nicht nur um die Effektivität von Flanken aus dem Halbfeld, sondern
auch um den Stand der Gleichberechtigung, um Sexismus, um LGBTQ*, um
Rassismus.
Vielleicht ist das nur ein klassischer Fall von Übertragung; aber mir
scheint, als wären viele Spiele seltsam melancholisch, bisweilen ängstlich;
als wäre das ganze Turnier damit überfrachtet, dass es jetzt aber endlich
losgehen müsse mit Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Weltfrieden.
## Es braucht einen Geist
Denn es wird vor jedem Event die Hoffnung laut, dass es jetzt doch endlich
den Durchbruch der Akzeptanz für Frauen im Sport geben müsste, dass es nun
so weit sei. Dabei ist völlig klar, dass es andere Dinge braucht als
Millionengagen für Spitzenspielerinnen und ein bisschen Screentime. Es
braucht eine verbesserte Infrastruktur, es braucht einen Geist, der es
jedem Kind erlaubt, gegen Bälle zu treten, sofern es das mag. Und es
braucht Vereine, die das umsetzen, die die Voraussetzungen dafür schaffen.
Hertha BSC zum Beispiel hat keine Frauenabteilung. Stattdessen kooperierte
man ab 2009 mit dem 1. FC Lübars. Als der im Jahr 2015 Meister der zweiten
Liga wurde, verzichtete der Verein auf den Aufstieg, die erste Liga war zu
teuer. Ein Jahr später gab Hertha BSC den Ausstieg aus der Kooperation
bekannt, beide Frauenteams wurden vom Spielbetrieb abgemeldet.
Was hilft es, neue Role Models wie Megan Rapinoe zu haben, wenn der
Unterbau fehlt? Wie nachhaltig sind die Aufmerksamkeitseffekte, wenn sie
nicht in Strukturen gegossen werden? Und warum darf der Männerfußball so
verspielt, so „It’s in the game“-mäßig daherkommen, während man bei ei…
Frauen-WM die ganzen Ungleichheiten immer mitverhandelt?
## Mehr Lübars, weniger Leipzig
Und liegt diese Ernüchterung nicht am Fan, der nicht behelligt werden will
mit all diesen Fragen? Der bloß Kind sein möchte, staunen und sich freuen
und enttäuscht sein, und der das dann für echte Gefühle hält? Als würde es
mir zustehen, einfach bloß unterhalten zu werden, ohne Verantwortung für
das Spiel. Und das, obwohl gerade die Frauen-WM als der echtere,
authentischere, besser geerdete Fußball verkauft wird.
Gerade deswegen aber ist die WM in Frankreich auch das interessantere
Turnier als Russland 2018: Es ist mehr Kultur, weniger hermetisch, es
verlangt dem Betrachter mehr ab. Aber gleichzeitig wünschen viele dem
Frauenfußball eine ähnliche Entwicklung wie dem der Männer: Warum nicht
andersrum? Weniger Effekte, mehr Komplexität! RB Leipzig würde in der
siebten Liga spielen, und Lübars in der ersten. Nicht die schlechteste
Idee.
14 Jun 2019
## AUTOREN
Frédéric Valin
## TAGS
Megan Rapinoe
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