# taz.de -- Ägyptens Ex-Präsident: Mursis seltsamer Tod vor dem Kadi | |
> Ägyptens Expräsident Mohammed Mursi ist im Gerichtssaal | |
> zusammengebrochen. Menschenrechtler prangern menschenunwürdige Haft an. | |
Bild: In Haft seit 2013: Ägyptens Expräsident Mohammed Mursi wurde vom Milit�… | |
Kairo taz | Die Behörden hatten es eilig: Nur wenige Stunden nachdem | |
Mohammed Mursi am Montag in einem [1][Gerichtssaal zusammengebrochen und | |
gestorben war], wurde der ehemalige ägyptische Präsident ohne großes | |
Aufsehen auf einem Friedhof in Kairo beerdigt. Unter hohen | |
Sicherheitsvorkehrungen und nur im Beisein enger Familienmitglieder wurde | |
der einzige in freien Wahlen bestimmte Präsident in der Geschichte des | |
Landes begraben. Ein öffentliches Begräbnis in seinem Heimatort im | |
Nildelta, um das seine Familie gebeten hatte, lehnten die Behörden ab. | |
Der Vorgang zeigt, wie nervös das Regime ist. Und das, obwohl der jetzige | |
Präsident und ehemalige Militärchef [2][Abdel Fattah al-Sisi], der den | |
Muslimbruder Mursi 2013 mithilfe des Militärs stürzte, scheinbar fest im | |
Sattel sitzt. Der Sicherheitsapparat lässt aus Sorge vor einer Wiederholung | |
eines Aufstands wie 2011 gegen Husni Mubarak keinerlei politischen | |
Spielraum zu. | |
Auch in den staatlichen Medien wird der Tod Mursis, der offiziell an einem | |
Herzinfarkt gestorben ist, als Randnotiz vermeldet. Ganz anders in den | |
sozialen Medien, in denen die Umstände seines Todes Topthema sind: Schnell | |
verbreitete sich der Vorwurf, die Behörden hätten den ehemaligen | |
Muslimbruder in den Tod getrieben. Angefeuert wurde das durch Berichte | |
internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder | |
Human Rights Watch. | |
„Sein Tod ist furchtbar, war aber absolut vorhersehbar, da die Regierung | |
ihm eine angemessene medizinische Behandlung verwehrt hat“, twitterte Sarah | |
Lee Whitson, die Geschäftsführerin von Human Rights Watch. „Sein Tod folgte | |
Jahren schlechter Behandlung, langer Isolationshaft, inadäquater | |
medizinischer Versorgung, Entzug von Familienbesuchen und keinem Zugang zu | |
Anwälten“, fügte die Organisation später in einer Erklärung hinzu. Der | |
ägyptische Staatsinformationsdienst warf Whitson vor, mit politischen | |
Absichten Lügen zu verbreiten. | |
## Haftbedingungenen an der „Grenze zu Folter“ | |
Mursi soll an hohem Blutdruck und einem schweren Diabetes gelitten haben, | |
der dazu führte, dass er auf einem Auge fast nichts mehr sah. Laut seiner | |
Familie saß er seit sechs Jahren in Isolationshaft, abgeschnitten von der | |
Außenwelt. Angehörige konnten ihn in dieser Zeit nur dreimal besuchen. Eine | |
Gruppe britischer Politiker beschrieb seine Haftbedingungen im vergangenen | |
Jahr als „an der Grenze zur Folter“. | |
Gegenüber einem Gericht hatte Mursi erklärt, dass er in Haft in ein | |
diabetisches Koma gefallen sei. Die Richter hatten in einer ganzen Reihe | |
von Prozessen gegen ihn – die Vorwürfe reichten von Spionage bis zum Aufruf | |
zur Gewalt – nie eine Untersuchung seiner Haftbedingungen angeordnet. Mursi | |
war bereits zu drei Jahrzehnten Gefängnis verurteilt worden. Ein früheres | |
Todesurteil war in der Berufung aufgehoben worden. | |
In einer Audioaufnahme von einem der Prozesse, die 2017 an die | |
Öffentlichkeit gelangte, beschwerte sich Mursi, komplett isoliert zu sein. | |
„Ich weiß nicht, wo ich bin“, sagte er und fügte hinzu: „Ich sehe Stahl | |
hinter Stahl und Glas hinter Glas, und mein eigenes Antlitz, das sich darin | |
widerspiegelt, macht mich schwindelig“. | |
## Feind versus Märtyrer | |
In der Bewertung Mursis sind die Ägypter gespalten. Seine Gegner hoben in | |
den sozialen Medien Mursis nur einjährige, aber kontroverse Amtszeit | |
hervor, in der der Muslimbruder versucht hatte, eine | |
islamistisch-konservative Agenda durchzusetzen und seine Anhänger im | |
Staatsapparat zu platzieren. Andere stilisierten ihn dagegen zum Märtyrer | |
hoch. Wieder andere verglichen die Behandlung Mursis im Gefängnis mit der | |
des 2011 gestürzten Mubarak, der seine Haftzeit komfortabel im Krankenhaus | |
verbringen konnte und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist. | |
Ein Tweet des einstigen ägyptischen säkularen Tahrir-Aktivisten Wael | |
Iskander, der inzwischen in Berlin lebt, fasst die Reaktionen treffend | |
zusammen. „Niemand kann abstreiten, dass Mursi eine große Ungerechtigkeit | |
angetan wurde. Seine Anhänger fühlen das und selbst seine Gegner wissen | |
das.“ | |
Mursi war auf den Tag genau acht Jahre vor seinem Tod mit 51,7 Prozent der | |
Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Gewählt hatten ihn seine Anhänger, | |
aber auch viele Ägypter, die den damals zweiten Kandidaten, Ahmed Schafik, | |
einen Mann des alten Regimes, verhindern wollten. Doch schon bald wuchs der | |
Unmut. | |
## Muslimbruderschaft als Terrororganisation gelistet | |
Mursi wurde vorgeworfen, autoritär aufzutreten und die Hoffnungen der | |
[3][Ägyptischen Revolution von 2011] zu verraten. Zudem wurde Mursi von den | |
staatlichen Institutionen, die immer noch mit den Vertretern des alten | |
Regimes durchsetzt waren, praktisch sabotiert. Regelmäßige Stromausfälle | |
und lange Schlangen vor den Tankstellen waren die Folge. | |
Im Sommer 2013 kam es zu Massenprotesten gegen Mursi und die Muslimbrüder. | |
Der Ruf nach Neuwahlen wurde immer lauter. Das Militär und der | |
Sicherheitsapparat, denen später vorgeworfen wurde, die Proteste mit | |
angeheizt zu haben, forderten Mursi auf zurückzutreten. Am 3. Juli | |
schließlich entfernte das Militär Mursi von der Macht. Seine Anhänger | |
protestierten dagegen in mehreren Protestlagern in Kairo, die dann im | |
August 2013 blutig aufgelöst wurden. | |
Heute sind öffentliche Reaktionen auf Mursis Tod kaum zu erwarten. Die | |
Anhänger der [4][Muslimbruderschaft befinden sich entweder im Exil, im | |
Gefängnis oder im Untergrund]. Die Muslimbruderschaft, unter Mubarak einst | |
die größte Oppositionsgruppe, ist in Ägypten inzwischen als | |
Terrororganisation gelistet. | |
18 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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