# taz.de -- Pfingsten und weltliche Utopie: In fremden Zungen | |
> An Pfingsten reden die Jünger in fremden Sprachen – und jeder kann sie | |
> verstehen. Was die Utopie schrankenloser Kommunikation mit uns zu tun | |
> hat. | |
Bild: Bildnis von 1180: Der Heilige Geist kommt über die Jünger | |
HAMBURG taz | Lassen sich aus einem christlichen Fest wie Pfingsten | |
säkulare Anregungen ziehen? Der Heilige Geist soll an jenem Tag in | |
Jerusalem die Menschen erfüllt haben, so heißt es in der Bibel. Sie waren | |
etwas durcheinander, bis Petrus zu predigen anfing. Siehe da: Immer mehr | |
wurden zu Christen. | |
Heute hat Pfingsten für viele mehr mit Grillen denn mit Geist zu tun. | |
Gleichwohl kann man sagen, dass es ein Fest der Kommunikation ist. Damals, | |
in Jerusalem, sollen die Menschen plötzlich in den jeweils anderen Sprachen | |
geredet beziehungsweise jeder den anderen so verstanden haben, als spreche | |
er in seiner eigenen. Ein Wunder, so sagt es die Kirche, ein Euphemismus | |
für Missionierung, sagen KritikerInnen. | |
Der Heilige Geist, so könnte man auch sagen, scheint mit dem Babelfisch | |
verwandt, jenem Übersetzungstier, das in Douglas Adams „Per Anhalter durch | |
die Galaxis“ seinen großen Auftritt hat. Allerdings: Dass wir uns alle | |
umstandslos verstehen, ist eine durchaus linke Utopie – nicht nur über | |
Grenzen hinweg, im Sinne dessen, was einst „Völkerverständigung“ hieß, a… | |
es noch selbstverständlich war zu glauben, von ethnisch abgrenzbar | |
verschiedenen „Völkern“ sprechen zu können. Sondern auch innerhalb der | |
Grenzen der eigenen Gesellschaft. | |
Von der Selbstverständlichkeit, wie sie in Berliner Szene-Vierteln zu | |
beobachten ist, wo Englisch zur Alltagssprache – und sogar an mancher | |
Einkaufskasse bereits zur Geschäftssprache – geworden ist, sind die meisten | |
Gegenden in Deutschland weit entfernt. | |
## Missverhältnisse und Missverständnisse | |
„Man spricht Deutsh“ heißt es nicht nur im Film von Gerhard Polt, der | |
deutsche Touristen im Ausland karikiert, sondern auch bei vielen | |
Vorstellungsgesprächen. Für die gelingende Integration von MigrantInnen | |
gilt der Erwerb der deutschen Sprache als Grundvoraussetzung. | |
Birgit Behrensen, Professorin für Soziologie für die Soziale Arbeit an der | |
Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, sieht hier allerdings sowohl | |
Missverhältnisse wie Missverständnisse. Sie beschäftigt sich mit dem | |
Zusammenhang von Sprache und Integration und hält die Formulierung der | |
„Sprache als Schlüssel zur Integration“ für tautologisch. | |
„Sie erklärt nicht, sondern sie ist ein Zirkelschluss“, sagt Behrensen. | |
„Wer gut und schnell in der Lage ist, die deutsche Sprache zu lernen, hat | |
ohnehin bessere Integrationschancen. Und wer bessere Integrationschancen | |
hat, hat mehr Möglichkeiten, gut und schnell Deutsch zu lernen.“ | |
Die Soziologin kritisiert, dass denjenigen, die langsamer lernten, hingegen | |
oft weniger Integrationsbereitschaft und -fähigkeit unterstellt würde. | |
Dabei seien die Hürden hoch: „Es braucht eine gehörige Portion an | |
psychischer Stabilität, um sich zum Beispiel im Chaos einer unsicheren | |
Bleibeperspektive überhaupt auf das Lernen konzentrieren zu können.“ | |
## Sprache als Herrschaftsinstrument | |
Wie viel Sprache mit Macht zu tun habe, lasse sich laut Behrensen unter | |
anderem an der Abwertung und Diskriminierung Gehörloser erkennen. „In einer | |
oralen Kultur, die eine des hörenden Establishments ist, ist der Weg zum | |
Dominiertwerden und zur Abwertung als Dumm sehr kurz.“ | |
Auch die verschiedenen Etappen des Ankommens von MigrantInnen in | |
Deutschland sind Beispiele für Sprache als Herrschaftsinstrument: in | |
Situationen etwa, in denen sie von einer korrekten Übersetzung und | |
zugewandten Sprachvermittlung abhängig sind. Kulminationspunkt für viele | |
Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Deutschland ist die mündliche Anhörung vor | |
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, bei der sie ihre Fluchtgründe | |
vortragen sollen und deren Ausgang über den weiteren Lebensweg entscheidet. | |
Probleme mit DolmetscherInnen sind hierbei Alltag. Erst seit 2017 müssen | |
diese einen Sprachnachweis vorlegen, während der „Flüchtlingskrise“ 2015 | |
war lediglich eine „Selbsteinschätzung“ zu den eigenen Fähigkeiten nötig. | |
Dass Flüchtlinge bei den Anhörungen teilweise auch auf Angehörige von | |
Gruppen treffen, vor deren Verfolgung sie geflohen sind, ist ein weiteres | |
Problem. | |
Barrieren gibt es auch später bei der Sprachförderung. Während die | |
Bundesrepublik mit den Goethe-Instituten im Ausland in die Vermehrung von | |
Kenntnissen der deutschen Sprache investiert, gilt das für Flüchtlinge und | |
MigrantInnen in Deutschland nur ausgewählt. | |
Menschen mit sogenannter „geringer Bleibeperspektive“, etwa aus | |
Afghanistan, Pakistan und Südosteuropa, wird der Genuss der offiziellen | |
Integrationskursen verwehrt. Wer in Deutschland unerwünscht ist, lernt | |
damit auf eigene Weise – oder vielmehr: auf die harte Tour –, was deutsch | |
ist. | |
## Anerkennung durch Sprache | |
Auch die korrekte Grammatik indes schaltet gesellschaftliche | |
Herrschaftsverhältnisse noch nicht aus. Dass Sprecher ohne Sprachkompetenz | |
zum Schweigen verurteilt seien, auf diese Erkenntnis des französischen | |
Soziologen Pierre Bourdieu verweist der Bildungswissenschaftler Paul | |
Mecheril, der bis vor Kurzem an der Uni Oldenburg war und seit Juni mit dem | |
Schwerpunkt Migration an der Uni Bielefeld lehrt. | |
Er betont die Machtdimension von Sprache als Mittel gesellschaftlicher | |
Anerkennung. Es sei wichtig zu fragen, wer befugt ist, wann, wie, zu wem | |
und über wen oder was zu sprechen. | |
Ohne den Heiligen Geist lässt sich das beseelte universale und | |
wechselseitige Sprachverständniswunder jedoch nicht so leicht bewältigen. | |
Es bleibt die profane Sprachförderung – vornehmlich in der Schule. Mecheril | |
hat dazu einen durchaus radikalen Rat an die PädagogInnen: Unter | |
Bedingungen migrationsgesellschaftlicher Mehrsprachigkeit sei es sinnvoll, | |
„den klassischen Begriff der Muttersprache zu hinterfragen“, schreibt er in | |
einem Handbuch zur Migrationspädagogik. | |
Auf unbestimmte Dauer würden in Deutschland in erheblichem Maße auch andere | |
Sprachen als Deutsch gesprochen, so Mecheril. „Will man ihnen pädagogisch | |
nicht mit Gewalt eines Redeverbots begegnen, bleibt keine Alternative als | |
die faktische Pluralität der Sprache, die in Deutschland gesprochen werden, | |
erstens zur Kenntnis zu nehmen und diese zweitens in einem grundlegenden | |
Sinne zu achten.“ | |
Bei der Frage, wer welche Sprache können sollte, verweist auch die | |
Soziologin Behrensen auf Ideen jenseits des europäischen Horizonts und | |
nennt den kenianischen Schriftsteller Ngugi wa Thiong’o. Der meint, für die | |
weltweite schnelle und einfache Kommunikation brauche es eine | |
Verkehrssprache, die sich nicht mit Gewalt durchgesetzt hat, also keine der | |
heutigen dominierenden Sprachen sei, die auf kolonialer und | |
imperialistischer Gewalt fußen. | |
Sein Vorschlag: KiSwahili. | |
Mehr über die Utopie einer schrankenlosen Kommunikation lesen Sie im | |
aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz nord oder am [1][E-Kiosk.] | |
7 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /!p4350/ | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
## TAGS | |
Deutsche Sprache | |
Sprache | |
Kommunikation | |
Pfingsten | |
Wochenvorschau | |
Schwerpunkt Rassismus | |
taz.leicht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Im pfingstlichen Jewühl | |
Devise diese Woche ist die gute Nachbarschaft. Mit Musik, Tanz und weiteren | |
Schauwerten kann man sie vor allem beim Karneval der Kulturen am | |
Pfingstwochenende feiern. | |
Kolumne Nachbarn: Erklärt mir bitte, was Integration ist! | |
Natürlich wusste ich schon vor meiner Ankunft in Deutschland, dass ich | |
Deutsch lernen muss. Aber dann kam mir die Integration dazwischen. | |
Erschienen zum Projekt „taz leicht“: Es kann so einfach sein | |
Für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt es einen besseren Zugang zu | |
Lesestoff – und damit auch zu Teilhabe. |