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# taz.de -- Start-up für alkoholfreien Wein: Die weiße Null
> Bier ohne Alkohol kennt jeder. Aber Weißwein? Soll jetzt hip werden.
> Unterwegs mit dem Start-up Kolonne Null im rieslingseligen Rüdesheim.
Bild: Sie wollen „einfach geile Weine machen“: Philipp Rößle (r.) und sei…
Rüdesheim taz | Soft gleiten wir im gemieteten Seat-SUV durch die
Uferebenen des Rheingau. „Wir wollen einfach supergeile Weine machen“, sagt
Philipp Rößle, und ich glaube ihm sofort, dass er das will. „Aber auch
krass, wie ihr euch das alles so schnell draufgeschafft habt“, staune ich:
„Leute kennen, Sachen verkaufen, Weine kennen und so.“ „Einfach anpacken!
Das ist halt diese Start-up-Mentalität. Wir sind da so ein bisschen wie
Tesla vielleicht. Oder, Jungs?“
Rößle hat früher als Künstler gearbeitet, Bilder gemalt und aus seiner
Geburtsstadt München die Konsonanten beim Sprechen behalten. Seit gut einem
Jahr beschäftigt er sich mit Wein, hat in Berlin ein Start-up hochgezogen,
„Kolonne Null“. Einzige Produkte: alkoholfreier Weißwein und alkoholfreier
Sekt.
Mitgründer Moritz Zyrewitz, früher Geschäftsführer bei einem anderen
Start-up (kaputt.de) ist in Berlin geblieben. Dafür steigen mit Rößle zwei
andere Kollegen in Frankfurt aus dem ICE: ein burschikoser „Business to
Business“-Typ und ein PR-Fotograf mit Bob-Haarschnitt und dünnen Beinen,
die er ins Gaspedal drückt. Zum Wein geht’s, zum deutschen Wein, aus dem
gleich der Alkohol entfernt wird.
Alkoholfreie Getränke haben es lange Zeit kaum in die Gläser geschafft.
Genauer müsste man sagen: alkoholfreie Ableger von Getränken, in denen
eigentlich Alkohol enthalten ist. Nach der Freilegung des für den
Durchbruch von alkoholfreiem Bier erforderlichen Zauberworts „isotonisch“
drängen nun auch höherpreisige Nuller-Varianten von Gin und eben Wein auf
den Markt.
## Gesund sein, achtsam sein, sich was gönnen
Denn Wein ist nicht mehr nur edel oder billig, sondern auch jung und hip.
Also darf man mit ihm experimentieren, auch in feinkostigeren Preislagen.
Die „Generation Riesling“ mit ihrem frechen Produktdesign macht es vor. Und
gesund sein, achtsam sein, sich was gönnen liegt ja ohnehin im Trend. Sogar
der Genießer Alfred Biolek gestand unlängst, nur noch Wein ohne Alkohol zu
trinken.
Auf dieser Welle wollen Rößle und Zyrewitz mitgären. „Es gibt zwar schon
alkoholfreien Wein – aber meistens ist das süße Plörre“, sagt Rößle. �…
bevorzugen kräftigeren Wein mit mehr Säure. Je intensiver, desto mehr
Geschmack bleibt übrig.“ Er stellt klar: „Wir machen keinen Fruchtsaft.“
Aber warum eigentlich nicht? „Durch die Entalkoholisierung behalten wir
einen Teil der Aromenvielfalt, die der Wein bei der Gärung entwickelt hat.“
Genauer als alkoholfreier Wein müsste man nämlich sagen: alkoholbefreiter
Wein. Destillieren seine Hersteller doch genau jenes C2H6O, das von
Mikroben unter Mühen in den Traubenmost hineingezaubert wird, gleich danach
wieder heraus. Das lassen sich Philipp Rößle und seine „Jungs“ etwas
kosten: 9,50 Euro für eine große Flasche Weißwein, 12 Euro für Sekt.
Traubensaft kriegt man dafür schon ein kleines Taufbecken voll.
„Wir wollen schon ein Produkt für jedermann machen, aber auch nicht für die
breite Masse“, sagt Rößle. Früher nur Ersatzgetränk für Schwangere, solle
alkoholfreier Wein heute eine eigene Kategorie bilden. „Genussmenschen“
seien das Publikum, erklärt er. „Liebhaber.“ „Autofahrer.“ Es gibt
vielleicht Deals mit China.
## 25.000 Liter Riesling werden heute entalkoholisiert
Dann ist er wieder am Mobiltelefon. 5.000 Liter grünen Veltliner haben die
Gründer im Januar fertigen lassen, nun gehen die letzten Kisten raus.
13.000 Liter Silvaner gibt es seit einigen Wochen, 25.000 Liter Riesling
sollen heute abgeschmeckt werden. Mit Rosé experimentieren sie gerade,
Rotwein soll im Herbst folgen. Die Flaschen gehen an Weinläden und
Restaurants, in einige Edeka- und Real-Filialen, außerdem zur Metro.
Aber warum müssen erst Berliner Gründer kommen, um die Marktlücke so
richtig zu beackern, die Mosel-Rhein-Badener Winzer lassen? „Für die
meisten stehen ihre alkoholfreien Produkte nicht im Zentrum, sie verwenden
dafür keine guten Weine“, sagt Rößle. Kaum jemand fahre zum Beispiel zum
Entalkoholisierer, um die Produkte noch mal persönlich abzuschmecken. Der
Fotograf kurvt durch die engen Straßen Rüdesheims und kommt vor einer Villa
in der Nähe der Asbach-Uralt-Fabrik zum Stehen: dem Firmengebäude des
Entalkoholisierbetriebs Carl Jung.
Im Rheingau bleibt keine Traube ungegoren, keine sich auch nur entfernt
bietende Gelegenheit zu Weinfesten und Rauschgelagen ungenutzt. Genau hier
wurde aber auch das 1907 patentierte Verfahren zu Entalkoholisierung
mittels Vakuumverfahren entwickelt, von Carl Jung Junior. Das Prinzip ist
simpel: Erhitzt man Wein oder Schnaps, das kennt man vom Kochen, entweicht
irgendwann der Alkohol, und zwar ab etwa 78 Grad Celsius. Unter Druck
passiert das aber schon bei 28 Grad.
## Die Kolonne holt den Alkohol aus dem Wein
„Sieben Millionen Liter Wein verarbeiten wir pro Jahr“, sagt
Geschäftsführer Martin Henrichs bei der Werksbegehung. „Tausend Liter in
der Stunde schafft unsere Anlage.“ Und da sieht man dann: die
Start-up-namensgebenden „Kolonnen“, Bestandteil des Destillationsapparats.
Gerade läuft Rotwein hindurch, an der Seite plätschert der
herausgepfriemelte Alkohol. Zweiundsiebzigprozentig, erklärt Henrichs.
Was damit geschieht? „Den verkaufen wir. Damit wird Weinbrand hergestellt.“
Und warum macht ein Rüdesheimer Entalkoholisierer die Arbeit für Berliner
Gründer? „Das ist in der Lebensmittelindustrie nicht unüblich. Nur etwa ein
Drittel der Menge, die wir entalkoholisieren, ist für unsere eigenen
Produkte.“
Es folgt, wofür die nüchterne Truppe gekommen ist: die Geschmacksprobe. Ich
verkoste zuerst den ungesüßten Wein – ohne den Geschmacksträger Alkohol
schmeckt er nach Magensäure. Rößle und Kollegen diskutieren, wie viel
Zucker sie zugeben wollen, und entscheiden sich für 33 Gramm pro Liter.
„Damit liegen Sie absolut an der unteren Grenze“, gibt Henrichs zu
bedenken. Man müsse ans Publikum denken. „Andererseits ist das ja auch Ihr
spezielles Profil.“
Die Weine von Carl Jung enthalten zwischen 40 und 50 Gramm pro Liter,
andere Mitbewerber lägen bei meist über 50. Zum Vergleich: In Coca-Cola
stecken knapp über 100 Gramm Zucker pro Liter. „Manche nehmen auch
Traubensaft zum Süßen“, sagt Martin Henrichs. „Das ist aber nicht so
neutral wie Zucker.“ Ein Schuss Kohlensäure kommt außerdem oft dazu, für
mehr Spritzigkeit. Wichtig ist dabei außerdem, dass kein Restzucker im Wein
ist. Sonst besteht die Gefahr, dass der in der Anlage doch noch vergärt und
das ergäbe dann eine weitere Produktkategorie: alkoholische alkoholfreie
Weine.
## Aus einem Genuss- wird ein Lebensmittel
Aber mal ehrlich – ist Wein ohne Alkohol denn überhaupt noch Wein? Gehört
zu Wein nicht auch, dass er mit dem Sichleeren der Flasche immer besser
schmeckt? Und wie hielte man die zu ihm gebotenen Anlässe sonst denn auch
aus? „Rechtlich wird er nicht mehr als Genussmittel angesehen, sondern als
Lebensmittel“, sagt Philipp Rößle.
Alleine fahre ich zurück nach Frankfurt, im Gepäck zwei Flaschen, eine
groß, eine klein. Der Sekt knallt, immerhin, er schmeckt hefig, ein
bisschen fruchtig, verhalten. Nicht wirklich nach Sekt. Der Wein ganz
ähnlich: nicht wirklich nach Wein. Macht nichts, tut niemandem weh. Wie ein
Verkehrskreisel am Sonntagmorgen. Die stechende Alkoholnote, an der sich
der ganze gustatorische Apparat beim Saufen und Fressen heranlehnt, fehlt.
Doch was bringt noch so viel Raffinesse ohne Intensität? Selbst null mal
hundert ist immer noch null.
Man wird einfach nicht betrunken. Die Welt ist noch da.
11 Jun 2019
## AUTOREN
Adrian Schulz
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