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# taz.de -- Putzgipfel in Berlin: Raus aus der Schmuddelecke
> Hauptgrund für zu viel Dreck an Schulen sind die miesen
> Arbeitsbedingungen der Reinigungskräfte. Zeit für ein Revival der
> Tagesreinigung.
Bild: Bleiben oft unsichtbar: Reinigungskräfte in Schulen und Behörden
Schulklos, so schmutzig, dass Eltern die Schulaufsicht alarmieren, Lehrer,
die selbst ihre Klassenzimmer putzen – die Horrorgeschichten über die
Sauberkeit in Berliner Schulen werden seit vielen Jahren erzählt. Ein Grund
für die Misere: die Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche. Eine
Initiative unter Schirmherrschaft von Mittes Bezirksbürgermeister Stephan
von Dassel (Grüne) soll nun Abhilfe schaffen. Das Ziel: die
Wiedereinführung der Reinigung am Tag.
Die eigene Schulzeit muss schon länger her sein, wenn man sich noch daran
erinnert, wie Reinigungskräfte ihren Wischmob zwischen besetzten
Klassenzimmern schwangen. Seit Jahrzehnten hat sich in der
Reinigungsbranche durchgesetzt, außerhalb von Öffnungs- beziehungsweise
Nutzungszeiten zu putzen. Das wird auch nicht mehr von beim Bezirk
angestellten Kräften erledigt, sondern von outgesourcten, wie das so schön
heißt: In einem komplizierten Vergabesystem bewerben sich private Firmen um
ausgeschriebene Aufträge. Den Zuschlag erhält in der Regel die Firma, die
den niedrigsten Preis anbietet. Parallel zu dieser Umgestaltung der
Arbeitswelt haben sich die hygienischen Zustände an Schulen, in Behörden
und anderen öffentlichen Gebäuden massiv verschlechtert und die Liste der
Horrorgeschichten wächst und wächst.
So war denn auch der kleine Sitzungsraum im Rathaus am Tiergarten voll, in
den von Dassel vergangene Woche VertreterInnen aller Bezirke einlud, um
über eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche zu
reden. „Das Thema treibt uns alle um“, so Dassel. Begleitet wird der
Prozess von Joboption Berlin – einem von der Senatsverwaltung für
Integration, Arbeit und Soziales geförderten Modellprojekt in Kooperation
mit dem DGB.
## 2 Minuten pro Klassenzimmer
2017 veröffentlichte Joboption einen Branchenreport Gebäudereinigung. Die
Quintessenz: Reinigungskräfte haben häufig fragmentierte und
familienfeindliche Arbeitszeiten extrem früh morgens, am Abend oder sogar
in der Nacht. Viele Beschäftigungsverhältnisse sind Minijobs oder
befristete Teilzeitjobs, von denen die Beschäftigten oft nicht leben können
und zusätzlich zum Lohn Leistungen wie Wohngeld beziehen müssen. Die
Einführung eines tariflichen Mindestlohns vor drei Jahren hat zwar dem
Lohndumping einen Riegel vorgeschoben. Dafür verdichten Unternehmen die
Zeit immer weiter, in der eine bestimmte Fläche geputzt werden muss.
Stichwort: 2 Minuten pro Klassenzimmer.
All das sind Bedingungen, die dazu führen, dass häufig schlecht geputzt
wird, von oft wechselnden Kräften. Weil das Vergabesystem vielen Firmen zu
kompliziert sei, sei es schwer, gute Anbieter zu gewinnen. „Die Bezirke
sind oft froh, wenn sie überhaupt einen Dienstleister verpflichten können,
selbst wenn es ein schlechter ist“, sagt Viveka Ansorge von Joboption. Das
Vergaberecht mache es zudem schwer, schlechte Leistungen zu sanktionieren
oder Verträge aufzulösen.
Die Branchenvertreter ringen um gute Arbeitskräfte. Deshalb wirbt man bei
der Berliner Gebäudereinigerinnung schon seit Jahren für die
Wiedereinführung der Tagesreinigung: Zusammenhängende und
familienfreundliche Arbeitszeiten sorgten für mehr potenzielle
Arbeitskräfte, eine höhere Bindung zum Arbeitgeber und zum Objekt,
geringere Reklamationsraten, sagt Peter Hollmann vom Vorstand der Innung
und Leiter einer Gebäudereinigungsfirma. Auf dem aktuellen Arbeitsmarkt sei
das Thema dringlicher denn je: „Wir brauchen das Daytime-Cleaning, um
überhaupt Akzeptanz für unseren Beruf zu gewinnen.“ Zwar gebe es auch
Nachteile: Geräuscharme Technik müsse gegebenenfalls nachgerüstet werden,
die Reinigungskräfte im Umgang mit dem Kunden geschult, der
Abstimmungsbedarf steige. Aber die Tagesreinigung breche auch die
Anonymität auf, sorge für mehr Wertschätzung. „Da steht dann auch mal ein
Osterhase auf dem Servicewagen“, sagt Hollmann und berichtet, wie viel
zufriedener seine MitarbeiterInnen seien, die am Tage arbeiten können.
## Positive Erfahrungen
Überwiegend positiv sind auch die Erfahrungen der Bezirke, die sich bereits
an die Tagesreinigung gewagt haben, allen voran Treptow-Köpenick. 2018 war
man dort mit einem Modellprojekt an sechs Schulen gestartet, an denen neben
der Grundreinigung in den Morgen- und späten Nachmittagsstunden auch
während der Schulzeit eine Reinigungskraft da ist und Verschmutzungen
direkt entfernt. Inzwischen wurde das Projekt auf Verwaltungsstandorte
ausgeweitet. „Das ist eine sehr gute Sache, die natürlich etwas extra
kostet“, sagt Schulstadträtin Cornelia Flader (CDU). Im Nachbarbezirk
Marzahn-Hellersdorf ist Anfang Mai ein Modellversuch mit fünf Schulen
gestartet. Die Kosten der Modellprojekte – in Marzahn-Hellersdorf etwa
20.000 Euro bis Schuljahresende – werden aktuell noch vom Senat finanziert.
Für Viveka Ansorge von Joboption ist aber auch das nur ein
Zwischenschritt: „Tagesreinigung macht gute Arbeitsbedingungen möglich“,
sagt sie. Aber: „Rekommunalisierung kann gute Arbeit garantieren.“
Unter diesem Motto hat die Neuköllner Initiative „Schule in Not“ vor zwei
Wochen ein Bürgerbegehren mit dem Ziel initialisiert, dass
Schulreinigungskräfte beim Bezirk angestellt werden. Das wird zwar deutlich
mehr kosten als die jetzige Lösung. Aber die, da sind sich alle Beteiligten
offenbar längst einig, ist ohnehin nicht mehr tragbar.
20 May 2019
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Prekäre Arbeit
Rekommunalisierung
Alice-Salomon-Hochschule
Streik
Berlin-Kreuzberg
Lohndumping
Deutsches Institut für Menschenrechte
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