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# taz.de -- Prozess zu Krankenhausmorden: Höchststrafe für Högel gefordert
> Im Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel wurden die
> ersten Plädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich.
Bild: Niels Högel im Gerichtssaal: angeklagt des Mordes in 97 Fällen
Oldenburg taz | Immer wieder musste Staatsanwältin Daniela
Schiereck-Bohlmann sich räuspern, einen Schluck trinken. Sie hielt einen
Stapel Papier in der Hand, blätterte Seite für Seite weiter. Mit Pausen
spracht sie mehrere Stunden, erläuterte jeden einzelnen Fall der Menschen,
um die es hier geht, die Opfer von Niels Högel.
Sie erläuterte, ob der Angeklagte die Tat gestanden hat, was die Gutachter
zur mutmaßlichen Todesursache gesagt haben und ob dem Angeklagten die Taten
dadurch „ohne vernünftige Zweifel“ nachgewiesen werden konnten. Am Ende
ihres Plädoyers am Donnerstag forderte sie, Högel in 97 Fällen des Mordes
schuldig zu sprechen und ihn zu einer lebenslangen Haftstrafe zu
verurteilen.
Schiereck-Bohlmann beantragte die Feststellung der besonderen Schwere der
Schuld. „Eine schlimmere Bewertung einer Tat sieht das deutsche Recht nicht
vor“, sagte sie. Sie sprach von niederen Beweggründen und Heimtücke. Bei
drei Taten konnte das Verfahren aus ihrer Sicht jedoch nicht zweifelsfrei
belegen, dass Högel sie begangen hat. Ihr sei bewusst, dass das bei manchen
Angehörigen für wenig Verständnis sorgen werde, sagt sie.
Seit Oktober vergangenen Jahres muss sich der ehemalige Krankenpfleger
Högel wegen einhundertfachen Mordes vor dem Oldenburger Landgericht
verantworten. Vermutlich hat kein Mensch in der deutschen
Nachkriegsgeschichte so viele Menschen ermordet wie er. Högel soll
Patient*innen nicht angeordnete Medikamente gespritzt haben, um bei ihnen
lebensbedrohliche Situationen hervorzurufen und sich dann bei den
Reanimationen zu profilieren. Und: weil ihm langweilig war. So lautet der
Vorwurf der Staatsanwältin.
## Fünf Taten stritt er ab
43 Taten gestand Högel vor Gericht, fünf stritt er ab, bei den anderen sei
er sich nicht sicher, wolle aber auch nichts ausschließen. Seit zehn Jahren
sitzt Högel wegen weiterer Taten schon im Gefängnis. Er wurde bereits zu
einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Während die Staatsanwältin an diesem Donnerstag ihr Plädoyer verlas, saß
Högel ruhig auf seinem Platz neben seinen Anwältinnen. Er trug einen weißen
Pullover, Dreitagebart, die Haare nach hinten gegelt. Immer wieder fast er
sich ins Gesicht, stützt es auf seinen Händen ab.
126 Nebenkläger*innen haben sich dem Verfahren angeschlossen. Es sind die
Angehörigen der Menschen, die Högel ermordet haben soll. Einige von ihnen
verfolgen den Prozess regelmäßig. Für sie sind die ersten Stuhlreihen in
dem zum Gerichtssaal umfunktionierten Saal der Weser-Ems-Halle reserviert.
Dorthin wurde der Prozess verlegt, um allen Angehörigen, ihren
Anwält*innen, Zuschauer*innen und der Presse Platz bieten zu können. Damit
auch jede*r die Aussagen der Zeug*innen verfolgen konnte, wurden zwei große
Leinwände aufgehängt.
Schiereck-Bohlmann stand an ihrem Platz, sprach ins Mikrofon. Bevor sie in
ihrem Plädoyer die Beweislage für jede*n einzelne*n Tote*n darlegte, hat
sie einige allgemeine Worte gefunden, war auf Indizien eingegangen. Zum
Beispiel wie die Bestellungen bestimmter Medikamente, beispielsweise
Gilurytmal, während Högels Zeit in Delmenhorst unbemerkt überproportional
angestiegen waren.
Sie sagte auch, dass sie die Einschätzung des psychologischen Gutachters,
dass Högels Geständnisse durchaus glaubwürdig seien, teilt. Auch wenn er
bereits der Lüge überführt wurde. „Am Ende kann wohl niemand, auch ich nach
fünf Jahren nicht, mit Sicherheit sagen, warum Herr Högel handelt wie er
handelt“, sagte Schiereck-Bohlmann.
## Der Schmerz der Angehörigen
Die Person Högel geriet am Donnerstagnachmittag in den Hintergrund, als die
erste Nebenklagevertreterin ihr Plädoyer hielt. Gaby Lübben zeigte auf den
Leinwänden die Fotos einiger Menschen, die Högel getötet haben soll. Sie
erzählte dabei aus dem Leben der Menschen.
Auch Lübben forderte die Höchststrafe für Högel. Sie betonte, dass der
Prozess für die Angehörigen sehr wichtig sei, auch wenn Högel bereits zu
einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Nur so könnten sie Klarheit
darüber gewinnen, was ihren Angehörigen geschehen ist und endlich Ruhe
finden. Als Lübben ihr Plädoyer beendete, bekam sie Applaus von den
Zuschauer*innen.
Am heutigen Freitag werden die weiteren Nebenklageanwält*innen ihre
Plädoyers halten. Anfang Juni wird die Verteidigung plädieren und Högel
bekommt das letzte Wort. Das Urteil wird am 6. Juni erwartet.
Auch im Anschluss wird der Fall Högel weiter die Gerichte beschäftigen. Das
machte sowohl Richter Sebastian Bührmann schon während des Verfahrens als
auch die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer immer wieder deutlich.
Es wird zu klären sein, ob Kolleg*innen schwiegen, obwohl sie etwas von
Högels Taten ahnten und ob sie vor Gericht logen. Es laufen bereits
Ermittlungen wegen Meineids und Falschaussagen, vier ehemalige Kolleg*innen
aus Delmenhorst werden sich demnächst wegen Totschlags durch Unterlassen
vor Gericht verantworten müssen.
16 May 2019
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Prozess
Massenmord
Niels Högel
Krankenhäuser
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