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# taz.de -- Nigel Farage bei der EU-Wahl: Der schon wieder?
> Die neue Brexit Party führt in Meinungsumfragen vor der Europawahl. Von
> den etablierten Parteien könnte nur ein Trümmerfeld bleiben.
Bild: Erst totgesagt, jetzt Star des britischen Europawahlkampfs: Nigel Farage
Nigel Farage ist ein Phänomen. Schon oft wurde der britische
Rechtspopulistenführer totgesagt, nicht zuletzt von ihm selbst – und jetzt
ist er der unbestrittene Star des britischen Europawahlkampfs.
Umfrage nach Umfrage katapultiert Farages neueste Kreation, die Brexit
Party, in diesen Tagen auf Platz 1 der Wählerpräferenz – 27, 28, gar 34
Prozent – und zum ersten Mal ist sie jetzt auch bei einer Umfrage zu
eventuellen Parlamentswahlen stärker sogar als die regierende Konservative
Partei.
19 Prozent für die Tories, 20 für die Brexit Party und 27 für Labour: das
ermittelte das Meinungsforschungsinstitut ComRes in einer am Sonntag
veröffentlichten Umfrage. Protestparteien haben in Großbritannien zwar
immer wieder und vor allem bei Europawahlen gepunktet, aber dass genug
Leute sie sogar ins Parlament wählen würden, um die Parteienlandschaft
durcheinanderzuwirbeln, ist neu.
[1][Weil die großen Parteien deutlich schwächeln], würde ein solches
Ergebnis der Brexit Party 49 Direktwahlkreise geben, berechnen die
Wahlforscher – damit wäre sie aus dem politischen Kalkül nicht mehr
wegzudenken.
Erstaunlich? Nicht wirklich. Wen sonst sollen die 52 Prozent der Briten,
die beim Referendum 2016 den Brexit wollten, denn wählen? Die Konservativen
haben den EU-Austritt vergeigt und sind politisch gelähmt; sie erwägen,
ganz auf Wahlkampf zu verzichten – zehn Tage vor der Abstimmung. Labour ist
irgendwie für die EU und irgendwie auch nicht. Mehrere klare
Anti-Brexit-Parteien graben sich gegenseitig das Wasser ab – Liberale,
Grüne, Change UK, schottische und walisische Nationalisten.
Aber klar pro Brexit? Das ist nur noch die rechtsextreme Ukip, von der
niemand mehr wissen will, vor allem nicht ihr einstiger Chef Farage, der
mit Ukip 2014 schon die letzte Europawahl gewonnen hatte.
## Kein Programm außer Brexit
Breiter Raum also für eine lagerübergeifende neue Kraft. Diese Lücke hat
der Marketingprofi Farage erkannt und gefüllt. Seine Kandidatenriege, sagt
er nicht zu Unrecht, ist die vielfältigste aller Parteien, von ganz rechts
bis zu ganz links quer durch alle Ethnien und Religionen. Die Brexit Party
braucht kein Programm außer Brexit. Nur damit, aber eben genau damit ist
sie potenziell sogar mehrheitsfähig.
[2][Denn was auch immer Theresa May sagt]: Brexit heißt mehr als Brexit.
Brexit heißt Systemwechsel. Das Brexit-Votum von 2016 war ein Votum gegen
die EU, aber eben auch ein Votum gegen das politische und wirtschaftliche
Establishment, das die EU-Zugehörigkeit Großbritanniens unbedingt erhalten
wollte und will. In den Jahren seit 2016 hat das Establishment die
Umsetzung des Brexit-Votums verschleppt, verkompliziert, hintertrieben. Es
setzt das Votum der Bürger nicht um, und deswegen hat es jetzt Angst wie
seit drei Jahren nicht mehr.
Dass radikaler Antisystemdiskurs in Großbritannien fruchtbar sein und
Wählerstimmen bringen kann, hat Jeremy Corbyn bereits von links bewiesen –
jetzt gesellt sich von rechts Nigel Farage dazu, und er gibt den eloquenten
Volkstribun, der Corbyn vom Naturell her einfach nicht ist.
Es ist dabei völlig egal, ob Farages Motive ehrenhaft sind oder nicht. Es
genügt, dass er einer wichtigen Strömung in der Gesellschaft den Raum in
der Politik bietet, den die etablierte Politik ihr verweigert, und dass er
„denen da oben“ jetzt erst recht die Meinung sagt und notfalls das
vertraute Parteiensystem zum Einsturz bringt, damit etwas Neues entsteht,
egal was.
Der Volksaufstand an der Wahlurne um des Volksaufstands willen; der
politische Karneval, der die Verhältnisse zum Tanzen bringt: das ist die
Erzählung der Brexit Party. Die Überraschung wäre, wenn sie damit am 23.
Mai unter 30 Prozent bliebe.
13 May 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Dominic Johnson
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