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# taz.de -- Neue Regierung in Estland: Klares Statement statt Händedruck
> Die Präsidentin demonstriert im Parlament für Pressefreiheit. Die ist in
> Gefahr, seit eine rechtsextreme Partei mit in der Regierung sitzt.
Bild: Klares Bekenntnis zur Pressefreiheit: Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid…
Stockholm taz | Der Auftritt der estnischen Staatspräsidentin Kersti
Kaljulaid Anfang der Woche im Tallinner Parlament war eine Premiere. Zur
Vereidigung der neuen Koalitionsregierung, der auch die rechtsextreme
Partei EKRE (Estnische Konservative Volkspartei) angehört, war sie in einem
Sweatshirt mit dem Aufdruck „Sona on vaba“ (Das Wort ist frei) erschienen.
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen führt den baltischen
Staat in ihrem Index für Pressefreiheit 2018 auf Rang 12 von 180 Staaten.
Die Zeremonie verließ die Staatschefin demonstrativ kurz vor Ende, um den
KabinettsmitgliederInnen nicht die Hand geben zu müssen. Die Vereidigung
eines besonders umstrittenen EKRE-Ministers quittierte die 49jährige
ebenfalls durch Abwesenheit.
Hintergrund ihres Protests ist die Regierungsbeteiligung der EKRE, einer
rassistischen Partei, die gegen Meinungs- und Pressefreiheit agiert und
kritische JournalistInnen attackiert. Der Parteivorsitzende Mart Helme
sagte, zu viele Journalisten seien „in Wirklichkeit Propagandisten“. Er
forderte die Leitung von Estlands Public-Service-Sender ERR auf, der EKRE
gegenüber kritisch eingestellte Journalisten „aus dem Verkehr zu ziehen“.
Die Kampagne zeigt offenbar bereits Wirkung. Ende vergangener Woche
kündigte Ahto Lobjakas, ein populärer liberaler ERR-Radiomoderator, mit der
Begründung, die Leitung des Senders habe ihn aufgefordert, sich künftig
„neutraler“ zu verhalten. „Man hat mir nur die Wahl zwischen Selbstzensur
und Kündigung gelassen.“ In den vier Jahren seiner bisherigen Arbeit sei
das kein einziges Mal passiert, wie scharf seine Kritik an der Regierung
auch gewesen sei.
## Kritik zurück gewiesen
Man habe ihm nahegelegt, sich auf das Programm der neuen Regierung zu
konzentrieren und weniger darauf, welche Ansichten einzelne Politiker
verträten. Und er solle nicht immer vorwiegend an einer Partei Kritik üben.
Diese Logik könne wohl nur heißen, dass man Rassisten, Antisemiten und
Neonazis nicht nur bei EKRE, sondern auch in anderen Parteien suchen solle
und falls man sie dort nicht finde, dieses Thema überhaupt nicht mehr
aufgreife, meint Lobjakas.
Der ERR-Verwaltungsratsvorsitzende Erik Roose wies in einer Presseerklärung
Lobjakas Kritik zurück. Meinungsfreiheit und journalistische Unabhängigkeit
stünden für den Sender nicht zur Disposition. Der Schritt des Moderators
sei dessen eigene Entscheidung gewesen.
Je vehementer ERR versichere, dass kein Druck ausgeübt worden sei, desto
mehr Fragen stellten sich, kommentierte die liberalkonservative
Tageszeitung Ohtulehth und fragt: „Sind wir bald wieder soweit, dass wir
Voice of America und Radio Free Europe hören müssen?“ Und Lauri Hussar, bis
Januar Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Postimees beschreibt
die Situation als „die schlimmste für estnische Journalisten“ seit der
Unabhängigkeit vor 28 Jahren.
Auch die Postimees-Journalistin Vilja Kiisler habe sich zur Kündigung
gezwungen gesehen, nachdem der neue Chefredakteur ihr einen EKRE-kritischen
Kommentar vorgehalten und ihr nahegelegt habe, sich künftig
„diplomatischer“ auszudrücken.
Man wisse nicht, was in anderen Redaktionen geschehe, meint Hussar. Man
höre jedoch, dass viele Journalisten sich plötzlich für ihre Meinungen
rechtfertigen müssten. Der verantwortungsvolle Gebrauch der Pressefreiheit,
von dem überall die Rede sei, entstamme direkt dem Vokabular des russischen
Präsidenten Wladimir Putin. Und Jürgen Ligi, ehemaliger Finanz-,
Wirtschafts- und Aussenminister warnt auf Facebook: „Zum ersten Mal ist die
Pressefreiheit in Estland systematischen Angriffen ausgesetzt.
1 May 2019
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Kersti Kaljulaid
Schwerpunkt Pressefreiheit
Estland
Rechtstextreme
Pressefreiheit in Europa
Estland
Ukraine
Rechtspopulismus
Estland
Juri Ratas
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