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# taz.de -- CO2-Steuer, aber mit Kompensation: Klimastreber Schweden
> CDU/CSU warnen vor „Gelben Westen“ als Folge der Einführung einer
> Kohlendioxidsteuer. Muss nicht sein – das zeigt das Beispiel Schweden.
Bild: Auch gegen zu viel CO2: die Schwedin Greta Thunberg
Stockholm taz | Für Politiker von CDU und CSU gilt sie als Einstieg in den
Umsturz: „Auch die Gelbwesten-Proteste in Frankreich sollten uns eine
Mahnung sein“, sagt Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, wenn er seine
Ablehnung einer Bepreisung von CO2-Emmissionen begründen will. Die fordert
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), Kanzlerin Angela Merkel will
zumindest darüber nachdenken.
Während die Koalition streitet, sind CO2-Steuern anderswo längst
Normalität. Ein dickes Lob heimste Schweden Anfang April von der
Internationalen Energieagentur IEA ein – mal wieder: Das Land sei beim
Umbau zu einer CO2-armen Wirtschaft weltweit am weitesten vorangekommen. Es
habe gute Aussichten, sein Klimaziel zu erreichen, nämlich in 25 Jahren
frei von Treibhausgasemisssionen zu sein, [1][hieß es in einer Mitteilung].
Ein Geheimnis des Erfolgs ist laut IEA die von Stockholm schon 1991
eingeführte Kohlendioxidsteuer. Als das erste Land überhaupt belegte
Schweden damals fossile Treibstoffe, die Energie- und die industrielle
Produktion mit Abgaben auf unterschiedlichem Niveau, damals waren es im
Schnitt umgerechnet rund 30, heute sind es knapp 120 Euro pro Tonne CO2.
Die Regierung sah die Abgaben schon damals auch als ein Mittel, um im Land
mit den ewigen, kalten Wintern Energie zu sparen.
Die Einschätzung, dass das Land wirklich auf so einem guten Weg ist, wird
von schwedischen Umweltschützern allerdings nicht geteilt. Mit einer nahezu
fossilfreien Stromproduktion hätte es Schweden von vorneherein einfacher
gehabt, lautet der eine Vorwurf. Der andere: Neben dem industriellem Sektor
tue sich vor allem auf dem Transportsektor zu wenig.
Emissionen im Verkehrssektor nahezu unverändert
Im Verkehr gelinge es nicht, den CO2-Ausstoss so zu senken, wie man sich
das eigentlich vorgenommen hatte. Statt einer Verminderung von jährlich 5
bis 8 Prozent liegen die Emissionen seit Jahren auf nahezu unverändertem
Niveau. Was die grundsätzlich positive Beurteilung der CO2-Steuer angeht,
besteht allerdings breite Einigkeit, wie eine [2][kürzlich veröffentlichte
Studie] der Universität Göteborg und der TU Luleå bestätigt.
Während in Frankreich das Vorhaben von Präsident Emmanuel Macron, höhere
Energiesteuern einzuführen, bis heute mit den „Gelbwesten“-Protesten das
Land in Aufruhr versetzt, sind die Erfahrungen in Schweden anders. Die
wichtigste Lehre aus den schwedischen Erfahrungen sei, „negativen
Einstellungen zu Kohlendioxidsteuern von vornherein dadurch
entgegenzuwirken, indem man die Konsumenten entsprechend kompensiert“,
fasst Simon Matti, Staatswissenschaftler an der Technischen Universität
Luleå ein Resultat der Studie zusammen.
In Schweden senkte man beispielsweise gleichzeitig mit der Einführung der
ersten Etappe der CO2-Steuer die Lohnsteuer und strich andere „unpopuläre“
Abgaben, um erhöhte Benzin- und Energiekosten auszugleichen. Damit habe man
den Weg für politische Entscheidungen zur Einführung klimapolitischer
Steuerungsinstrumente geöffnet, ohne starke Gegenreaktionen auszulösen.
Und: Da es in Schweden weder Kohle- noch Gasvorkommen gibt, existierte auch
keine nennenswerte Anti-Klima- Lobby, die sich für den Erhalt der Industrie
einsetzt. Zudem gibt es für im internationalen Wettbewerb stehende Firmen
gewaltige Abschlage auf die CO2-Steuer, bis zu 60 Prozent.
Das Entscheidende sei das Nullsummenspiel für Staatskasse und Konsumenten,
erläutert Matti am Beispiel der Treibstoffsteuer: „Anders bekommt man ein
Verteilungsproblem, bei dem sich diejenigen, die keine Alternativen haben
und daher unter einer Steuer viel schwerer leiden, ungerecht im Vergleich
zu denen behandelt fühlen, die andere als fossilgetriebene Fahrzeuge
verwenden können. Zum Beispiel diejenigen, die in Gebieten mit gut
ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln leben oder wohlhabend genug sind,
um eine zusätzliche Steuer nicht wirklich zu spüren.“
Schweden relativ „steuerfreundlich“
Allerdings: Man müsse auch berücksichtigen, dass die Schweden an hohe
Steuern gewohnt und relativ „steuerfreundlich“ eingestellt seien, weil die
ausreichende Finanzierung eines gut ausgestatteten öffentlichen Sektors als
positiv empfunden werde, betont Matti. Auch die Einsicht, dass etwas gegen
die menschengemachte Erderwärmung getan werden müsse, sei in Schweden weit
verbreitet. Für andere Länder würden sich vermutlich eher CO2-Steuern nicht
auf individuellem, sondern auf Industrie- und Produzenten-Niveau anbieten,
analysiert der Wissenschaftler.
„Die billigste und schnellste Lösung, etwas gegen den Klimawandel zu tun,
ist eine CO2-Steuer“, sagt der Göteborger Umweltökonom Thomas Sterner. Es
reiche nicht, „bei Lampen, Autos oder Plastik auf klimafreundlichere
Alternativen umzusteigen“, denn dann würden auch Kohle und Öl billiger:
„Hätten alle Länder eine auch nur halb so hohe CO2-Steuer wie Schweden,
hätten wir bereits eine gewaltige Veränderung erreicht und vielleicht hätte
sich die ganze Klimaproblematik schon erledigt.“
Für Sterner fehlt in anderen Ländern die Bereitschaft, den Markt zu
regulieren. Heute akzeptiere man einen weithin unregulierten Kapitalismus,
obwohl man wisse, dass der die Umwelt zerstöre. Wenn sich die Politik in
vielen Ländern so schwer mit der CO2-Bepreisung tue, sei das Kostenargument
oft lediglich nur vorgeschoben: „Entscheidender dürfte die Macht sein, die
die Fossillobby ausübt.“
30 Apr 2019
## LINKS
[1] https://www.iea.org/newsroom/news/2019/april/sweden-is-a-leader-in-the-ener…
[2] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14693062.2018.1547181
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
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Protest
Christian Lindner
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