# taz.de -- Ein Abend mit Börsenmakler Dirk Müller: Aufwärts immer, abwärts… | |
> Aktien kaufen ist gar nicht so schwer: Mit dieser Botschaft geht | |
> Bestseller-Autor Müller auf Tour. Ein Auftritt, bei dem der Autor aufs | |
> Ganze geht. | |
Bild: So muss ein Börsenkurs aussehen! Und der eigene Kontostand auch! | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Die Geschichte geht weiter, es passiert, was | |
passiert. In einer Zeit, in der die europäische Integration so weit | |
fortgeschritten ist wie nie, [1][marschieren Nazis allerorten]. Nie wussten | |
die Menschen so gut wie heute [2][über den Klimawandel Bescheid] und | |
verstärken ihn zugleich immer weiter. Und während sich die Laberer vor | |
ihren unermüdlichen Podcasts asynchron ins Funkloch reden, blühen | |
dazwischen Oasen der Ruhe. | |
Kategorien, Zyklen gehen niemals ganz auf. Was läge also näher, als mitten | |
in der ersten Enteignungsdebatte seit Maos Tod zum ersten Live-Programm des | |
Börsenhändlers Dirk Müller zu gehen, „bekannt als ‚Mr. Dax‘“? Mithin… | |
verflüssigten Chaos der Gegenwart den Glauben an die Ordnung nicht an den | |
in seinem abstrakten Wert tauschbaren Nagel zu hängen? | |
Denn Ordnung braucht es, speziell im Umgang mit Journalisten. Wer eine | |
Pressekarte haben möchte, muss vorher um Akkreditierung bitten. „Planen Sie | |
einen redaktionelle Bericht im Vorfeld oder etwas im Nachgang?“, fragt | |
daraufhin per Mail die zuständige Mitarbeiterin der Eventagentur, welche | |
nicht nur Dirk Müller betreut, sondern auch ein Potpourri aus Udo Jürgens, | |
Helene Fischer, Cher, der Kelly Family usf. | |
Ebenso höflich, wie man mir schrieb, antworte ich: Subjekt, Prädikat, | |
Objekt, Einleitung, Hauptteil, Schluss, wie sich das hierzulande gehört. | |
Meinem Ziel, so hoffe ich, nun endlich nahe – den Mann zu sehen, der auch | |
mich „vom Sparer zum Aktionär“ machen wird. Dann das Erstaunen: „Hallo H… | |
Schulz, welche Tonalität soll der Beitrag haben? Herzliche Grüße“. | |
## Unabgängige Berichterstattung am Start | |
Eine vage Urangst regt sich. Soll hier etwa, so fragt eine Stimme in mir, | |
was ich selber kaum auch nur als zu glauben Mögliches für denkbar erachte; | |
– soll hier etwa unabhängige Berichterstattung erschwert werden, wenn sie | |
bestimmten Vorstellungen nicht entspricht? Nimmt ein bedeutender Player des | |
Kulturbetriebs im Ton der schnöden Selbstverständlichkeit Einfluss auf die | |
Presse? Das wäre ja kaum zu fassen. | |
Und wie behalte ich unter diesen gedankenraubenden Umständen überhaupt noch | |
die Märkte im Blick? Verschiedenste Antworten auf die Mail im Posteingang | |
zieht mein arbeitendes Hirn in Betracht: „fis-Moll“ etwa, oder „Was geht | |
Sie das an?“ Aber warum so zynisch? So gehässig? Höflich schrieb man mir | |
abermals, höflich werde ich selber schreiben. | |
Liebe Frau XYZ, ich bin persönlich ein Fan von Herrn Müller und seiner Art, | |
Börse und Wirtschaft ohne viel Schnörkel und Blabla packend zu schildern – | |
und so eben auch für jedermann verständlich zu machen. Leider bin ich noch | |
nicht dazu gekommen, das einmal aufzuschreiben, was ich anlässlich seines | |
Auftritts gerne nachholen würde. | |
Ich darf sogar eine Begleitung mitnehmen. | |
Der große Tag ist da und die Kleinsparer auch. Es sind Gesichter, die einem | |
im Alltag nicht auffallen, sondern erst an der Ostsee oder im Baumarkt, | |
weil es dort auf einmal nur noch sie gibt. Alle Altersgruppen sind | |
vertreten: Rentner, die aussehen, als würden sie gleich anhand ein paar | |
alter Zeitungsausschnitte in ihrer Tasche die Weltformel vorstellen; junge | |
Männer in der Bankausbildung, die die Heimatstadt nach dem Abitur halt | |
einfach nicht verlassen haben; mittelalte Männer, denen das Leben die Jahre | |
verzehrt. | |
## Geld ausgeben, um Geld zu verdienen | |
Ungewöhnlich viele aus der letzten Gruppe sehen Dirk Müller ungewöhnlich | |
ähnlich, vor allem mit seinem grauen Bart, der den Mund wie ein Ring | |
Fleischwurst die Leere umspannt. Maßvoll genossenes Bier (eins vor der | |
Show, eins in der Pause) eint alle drei Gruppen in ihrem Stehen an den | |
Garderoben. Einzelne Frauen umgeben manche von ihnen. Gut 50 Euro haben sie | |
für ein Ticket bezahlt, aber wie sagt man so schön: Man muss Geld ausgeben, | |
um Geld zu verdienen. | |
Auf den Sitzen in der etwa halbvollen, 2.000 Plätze umfassenden | |
„Jahrhunderthalle“ liegt die Kompensation schon parat. „50 Euro für Ihren | |
Einstieg an die Börse“ bewerben dort ausliegende Zettel grammatikalisch | |
abenteuerlich und garantieren „100 % Rabatt auf Ihre Fondskäufe“ – | |
natürlich nur, wenn man auf fd.de/dirk-mueller geht. So viele Zahlen, mein | |
Kopf ist ganz heiß. | |
Wie Dirk Müller, der am Anfang gar nicht so fischmarkthändlerhaft | |
selbstbewusst aufspielt, wie man das von einem medienversierten | |
Börsenhändler erwarten würde. „Echte Gänsehaut“ verspüre er beim Auftr… | |
in Frankfurt, das für ihn beruflich so wichtig gewesen sei. „Helft mir ein | |
bisschen, dass es eine schöne Erinnerung sein wird“, appelliert er beinahe | |
zart. | |
Dann wird er kämpferischer, ruft: „We’re not gonna take it“, nachdem | |
Ausschnitte aus dem Film „Wall Street“ und der gleichnamige Song der | |
„Twisted Sisters“ eingespielt wurden. „Wir lassen uns nicht mehr von | |
Verkäufern und Marketingabteilungen was aufschwatzen! Wir lassen uns das | |
nicht gefallen!“ Ende der Achtziger sei der Film gelaufen, hach, damals, | |
„schnelle Frauen, hübsche Autos“, die erste von insgesamt vier Pointen in | |
dreieinhalb, mit zunehmender Ermüdung immer gehirnwäscheartigeren | |
Stunden. | |
## Seltsame Obsession mit Prostituierten | |
Die Pointen hat Dirk Müller auch gar nicht nötig, das meiste macht er über | |
den Wechsel zwischen Dieter-Nuhr-haft raunender Erzählung und pfälzelnden | |
Dialektimitationen, die ostentative Wiederholung der Worte „Geheimnis“, | |
„gesunder Menschenverstand“, „Börrrrse“ und „Ehefrau“ sowie die sc… | |
Macht des Faktischen. | |
Überhaupt, Frauen existieren in seinem Text nur als Referiertes. Müller | |
redet zu Männern. Eine seltsame Obsession mit Prostituierten durchzieht | |
dann auch die anderen Pointen: „Mama, ich geh strippen“, würde er heute | |
sagen, wäre er noch bei der Deutschen Bank. Beim Rentenhandel gehe es nicht | |
um „gebrauchte 70-Jährige“. Und „die Politiker“ könnten nach der droh… | |
Abschaffung des Bargeldes nicht mehr so leicht verbergen, dass sie „in den | |
Puff“ gingen. | |
Dem entgegen stehen die „Träume“, die vor allem die „Jüngeren“ | |
verwirklichen sollten. „Wenn du für etwas brennst, an deine Ziele glaubst, | |
dann passieren die verrücktesten Dinge.“ Zehn Minuten später bittet er | |
seinen Kindheitsfreund auf die Bühne, der im Publikum sitzt und auch | |
Börsenhändler geworden ist, mit Müller sogar zusammenarbeitet. | |
Und überreicht ihm, authentisch gerührt, die Flasche Rotwein, die er mit | |
seinem ersten großen Geld gekauft habe. Damals. „Eine andere Zeit“. Und der | |
„Spaß, den wir hatten“! Niemand habe auf „das Kleingedruckte“ geachtet… | |
habe gebrüllt und Verkäufe über Zuruf und „Ethik“ geregelt. „Von Mensc… | |
für Menschen“. Heute hingegen handelten nur noch Computer miteinander, die | |
sich gegenseitig „betrügen“. | |
## Börse ist kein Hexenwerk | |
Die „Börrrrrse“ sei also ein gefährlicher Ort und wer anlege, könne alles | |
verlieren, warnt Müller immer wieder. „Ich werd einen Teufel tun, euch in | |
Aktien reinzuquatschen.“ Aber trotzdem könne man „ruhig mal ein Spielchen | |
wagen“. | |
Damit werde man quasi der Chef der Unternehmer, welche für einen „die | |
Drecksarbeit“ leisteten; und jeder Börsencrash sei ja auch eine Chance. Man | |
könne nichts voraussehen und kämpfe gegen übermächtige Gegner, | |
„Konteradmiräle“ (die Kriegsmetaphern mag er: „Kameraden“, „Operatio… | |
Aber mit ein paar einfachen Regeln („kein Hexenwerk“) stehe man auf der | |
sicheren Seite, der Rest sei Selbstdisziplin und Psychologie. Man solle | |
vorsichtig umgehen mit Angeboten, die einem unter die Nase gerieben würden, | |
niemandem trauen, sich seine eigene Meinung bilden. Aber so und so sehe | |
jetzt zum Beispiel Dirk Müller die „Börrrrrse“. | |
An der gebe es zwei prinzipielle Verfahren, das der langfristigen | |
Investoren und das der „Zocker“: der Überlegten und der „Glücksritter�… | |
„Fußballtrainer“ und der „Pokerspieler“; der geradlinigen „Wanderer�… | |
der um ihn herum streunenden „Hunde“. „Schaffendes“ und „raffendes Ka… | |
hätte man ganz früher wohl gesagt. | |
## Ein unvergesslicher Abend | |
Zum Schluss wird es apokalyptisch. Totalitäre Bedrohungsszenarien | |
erscheinen, die Müller so ähnlich schon in seinen Büchern und auch [3][im | |
Neonazi-Magazin Compact]dargelegt hat, weswegen der Klärungsbedarf in | |
Sachen Tonalität gar nicht mehr so stark überrascht. | |
Datensammlung, globale Monopole, das Ende des Bargelds, die ganz großen | |
Dinger. Der „eisige Wind“ der amerikanischen Regierung mache es Unternehmen | |
aller anderen Länder schwer. Aber gerade deshalb und weil der Untergang | |
gewissermaßen unausweichlich sei, müsse man in damit Geld verdienende | |
Unternehmen wie Apple oder MasterCard investieren. Das ist dann doch eine | |
Spur zu negativ-dialektisch. | |
Die Auflösung gewitzt: Zusammen mit der Automatisierung könne ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen einem bedeutenden Teil der Menschheit die | |
Arbeit ersparen und ihn zu einem wirklich sinnvollen Leben in Freiheit | |
ermutigen. Und eben: genug Altersvorsorge betrieben zu haben. Dafür genüge | |
es schon, sich einen Kaffee am Tag zu sparen. | |
Vor allem sei die „Börrrrrse“ nicht alles, es gebe auch das Leben, das | |
„Sparbuch der Erinnerung“. Schon Walter Benjamin hat erkannt, dass der | |
„Ausnahmezustand“ in der Geschichte vielmehr die Regel als die Ausnahme | |
bildet. Ich werde diesen Abend nie vergessen. | |
15 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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