# taz.de -- Ausbeutung am Arbeitsplatz: Die Tagelöhner von Bremerhaven | |
> EU-AusländerInnen werden in Bremerhaven als billige Putzkräfte | |
> ausgebeutet. Wenn sie beim Jobcenter aufstocken wollen, haben sie keine | |
> Chance. | |
Bild: Harte Arbeit ohne Sozialleistungen: das täglich Brot vieler Bulgaren in … | |
Bremen taz | Benko Aleksev* putzt, wo sonst keiner sauber machen will. Die | |
Öltanks von Containerschiffen zum Beispiel, oder solche mit Fäkalien drin; | |
auch für die Bundeswehr hat er schon gearbeitet. Neun Euro gibt es dafür in | |
der Stunde, so steht es in seinem Arbeitsvertrag, also noch nicht mal den | |
Mindestlohn. | |
Der Bulgare ist bei seiner Firma in Bremerhaven zwar unbefristet | |
angestellt, aber gleichwohl eine Art Tagelöhner: „Sie arbeiten nur, wenn | |
Arbeit da ist, und werden auch nur bezahlt, wenn sie gearbeitet haben“, | |
sagt sein Anwalt Gerd Bürsner, der neben Aleksev noch weitere Angestellte | |
dieser Firma vertritt. Die Firma – so steht es auf ihrer Website – gehört | |
bei Reinigungs- und Konservierungsarbeiten immerhin „zu den führenden | |
Unternehmen im Bereich Schiffbau“. | |
Bis zu 150 Stunden im Monat kann Alkesev dort laut Vertrag als | |
„Reiniger/Helfer“ arbeiten. Ende März standen allerdings nur 110 Stunden | |
auf seinem Zettel, macht 990 Euro für ihn, seine Frau und die drei Kinder. | |
Also ist er zum Jobcenter gegangen und hat ergänzende Sozialleistungen | |
beantragt. Der Antrag wurde abgelehnt – die Behörde spricht von fingierten | |
Arbeitsverhältnissen, erklärt der Anwalt. Das Jobcenter selbst wollte sich | |
nicht zu dem Fall äußern. | |
Nelson Janßen, Sprecher für Bremerhaven und Armutsbekämpfung in der | |
Linksfraktion des Landtages, spricht von „Dumpinglöhnen“ und | |
„Abrufverträgen“. Doch, doch, sagt er, die Arbeit finde schon statt – ab… | |
unter „erbärmlichen Bedingungen“. Die Firma und ihr Geschäftsführer Mehm… | |
Bulut* sind ihm wohl bekannt: Janßen war Vorsitzender in jenem | |
[1][parlamentarischen Untersuchungsausschuss], der den Fall Öztürk | |
aufgearbeitet hat, einen jahrelangen, organisierten Sozialleistungsbetrug | |
in Bremerhaven (siehe Infokasten). | |
## „Erhebliche Zweifel“ am Arbeitsverhältnis | |
Dort war von mehreren Unternehmen im (Schiffs-)Reinigungs- sowie | |
Tankschutzgewerbe die Rede, auch die Firma von Bulut war dabei. In einem | |
Vermerk schrieb das Jobcenter 2016, die Firma scheine „eng in den | |
organisierten Sozialmissbrauch durch EU-Bürger mittels fingierter | |
Arbeitsverträge involviert zu sein“. So ist es im Abschlussbericht des | |
parlamentarischen Untersuchungsausschusses nachzulesen. | |
Es bestünden „erhebliche Zweifel“ an der tatsächlichen Ausübung der | |
Arbeitsverhältnisse, heißt es weiter, und dass die Firma binnen kurzem die | |
Zahl ihrer MitarbeiterInnen von 13 geringfügig auf mindestens 79 | |
Beschäftigte aufgestockt habe. In seiner Vernehmung wies Bulut „sämtliche | |
Vorwürfe des Jobcenters zurück“, ist in dem über 200-seitigen | |
Abschlussbericht vermerkt. | |
Mehrere Insider aus Bremerhaven berichten derweil übereinstimmend, dass | |
Buluts Firma beim Jobcenter auf einer „schwarzen Liste“ stehe; offiziell | |
ist das aber nicht. „Das Thema ist sehr komplex“, sagt ein Sprecher des | |
Jobcenters auf Nachfrage. „Aber seit der Aufdeckung von gehäuften | |
Missbrauchsfällen haben wir eine erhöhte Sensibilität prüfen Anträge von | |
EU-Staatsangehörigen bei Auffälligkeiten intensiviert.“ | |
Benko Aleksev, der schon seit 2007 in Deutschland lebt, hat deswegen vom | |
Jobcenter eine lange Liste mit Papieren und Dokumenten bekommen, die noch | |
einzureichen seien, ehe sein Antrag überhaupt beschieden werden könne. Um | |
sie zu verstehen, braucht er seinen halbwüchsigen Sohn. Derweil zahlt er | |
für seine Drei-Zimmer-Wohnung im Bremerhavener Goethequartier nach eigenen | |
Angaben 630 Euro Miete, plus 110 Euro Nebenkosten. Für einen | |
Internet-Anschluss ist kein Geld da, und für ein Handy für den ältesten | |
Sohn auch nicht. | |
Das Goethequartier wurde trotz all seiner Gründerzeit-Häuser bundesweit | |
lange als „ärmster Stadtteil Deutschlands“ durch die Presse gereicht, | |
überall wurde von „Schrottimmobilien“ berichtet. [2][Mittlerweile bemüht | |
sich Bremerhaven] aber, und, ja: durchaus erfolgreich um Sanierungen, um | |
Aufbruch, um neue Hoffnung in diesem Problemviertel. | |
Doch immer wieder berichten Insider davon, dass die Firmen, die | |
EU-AusländerInnen Jobs geben, ihnen auch teure Wohnungen bereit stellen. | |
Und Selim Öztürk, der Hauptverdächtige in dem Betrugsfall, soll gar | |
versucht haben, Mehmet Bulut eine Immobilie zu verkaufen – doch der sagte | |
dem Untersuchungsausschuss, er kenne Öztürk gar nicht. Auch Aleksev sagt, | |
er hatte mit den Öztürks nichts zu tun. | |
Das Jobcenter habe seinen Antrag „abgelehnt, ohne genauer hinzugucken“, | |
sagt Aleksevs Anwalt Gerd Bürsner, und attestiert dem Jobcenter, seit dem | |
Fall Öztürk „übervorsichtig“ zu sein, ja: „überengagiert“. Das Jobc… | |
habe „keine Belege“ für die Behauptung, dass es sich bei dem Vertrag von | |
Aleksev um ein fingiertes Beschäftigungsverhältnis handele. Deswegen ist er | |
zuversichtlich, dass das Amt am Ende doch zahlen muss. Den Arbeitsvertrag | |
hält Bürsner gleichwohl für rechtlich unzulässig. | |
Klar, dagegen könnte man klagen. Nur: Aleksev fürchtet dafür zu sehr um | |
seinen Job. Und der 43-jährige hat keinerlei Ausbildung, seine Aussichten | |
auf dem Arbeitsmarkt sind also denkbar schlecht. Zwar könnte seine Frau | |
arbeiten gehen, um Geld hinzu zu verdienen. Aber sie hat keinen Kita-Platz | |
für das jüngste Kind, sagt sie. Also bleibt sie zu Hause. Nach Bulgarien | |
zurück will die Familie aber auch nicht, weil es ihnen hier besser gehe als | |
dort, und den drei Kindern erst recht. „Deutschland: gute Leute hier“, sagt | |
Benko Aleksev. | |
## Deutsche bekämen „natürlich mehr Geld“ | |
Beim Magistrat der Stadt Bremerhaven ist Butlus Firma bekannt. Er habe aber | |
keine Handhabe, gegen die Firma vorzugehen, sagt ein Pressesprecher. Die | |
Stadträtin Claudia Schilling (SPD) werde das Thema aber bei der nächsten | |
Sitzung des Arbeitsgremiums Sozialleistungsmissbrauch auf die Tagesordnung | |
setzen. | |
Bei der Gewerkschaft Ver.di kennt man die Firma von Bulut gar nicht erst. | |
Statt dessen verweist man auf die IG Bau. Dort bleibt die Presseanfrage | |
unbeantwortet. Aber Menschen wie Aleksev sind eben auch nicht | |
gewerkschaftlich organisiert. | |
In der Firma arbeiteten viele EU-AusländerInnen, erzählt er, und meist | |
kämen sie aus Südosteuropa. Ein paar Deutsche seien auch darunter, sagt | |
Aleksev, aber die bekämen „natürlich mehr Geld“ als er, für diese | |
„gefährliche Arbeit, bei der es auch oft Unfälle gebe. Die geltenden | |
Arbeitsschutzvorschriften würden „stets eingehalten und überwacht“, | |
versicherte Bulut einst dem Untersuchungsausschuss. | |
## Die Staatsanwaltschaft ermittelt | |
Seine Firma verklagen will Aleksev nicht: „Ich habe Angst“, sagt er. Manche | |
in Bremerhaven sprechen sogar von einem „Angstsystem“, das um die | |
Betroffenen herum aufgebaut werde. Der Linken-Abeordnete Janßen nennt das | |
Arbeitsverhältnis ein „Abhängigkeitsverhältnis ohne Ausbruchschancen“. | |
Und Mehmet Bulut, der auf Fragen der taz nicht antwortet? Steht in | |
Bremerhaven als Wohltäter da. Er hilft den Leuten ja. Und wer sonst stellt | |
hier Leute wie Aleksev ein? Sogar in einer eher linken migrantischen | |
Community in Bremerhaven engagiert er sich. | |
Unterdessen interessiert sich auch die Bremer Staatsanwaltschaft für die | |
Firma von Herrn Bulut. Der Mann sei „nicht unbekannt“, sagt der | |
Behördensprecher, und dass ihn die Staatsanwaltschaft schon kannte, ehe der | |
Untersuchungsausschuss ihn vernahm. Derzeit laufen mehrere Verfahren, es | |
geht um Untreue und um nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge. Er könne | |
sich gut vorstellen, dass an den Vorwürfen des Jobcenters was dran sein, so | |
der Staatsanwalt. Die Ermittlungen stünden kurz vor dem Abschluss. | |
Demnächst wird entschieden, ob es zur Anklage kommt. | |
* Name geändert | |
6 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?id=648 | |
[2] /!5570608/ | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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