Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gesund dank Kot: Heilende Scheiße
> Über den Darm wurde viel geschrieben, aber kaum darüber, was drin ist.
> Dabei kann der Inhalt Krankheiten heilen.
Bild: Guten Appetit
Die Frau in dem YouTube-Video zeigt, wie sie im heimischen Badezimmer mit
ihrem eigenem Kot einen Einlauf für ihre Tochter herstellt. Sie trägt ein
blaues Top, einen knielangen Rock und Einmalhandschuhe. Ihre Tochter leide
an der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa, erklärt sie
auf Englisch. Dann holt sie ihren Kot aus einer Plastikschale und mixt ihn
in einem Smoothie-Maker mit Kochsalzlösung.
Hinterher schwenkt sie den Behälter mit der braunen Flüssigkeit wie ein
Glas Wein, um den Zuschauer*innen die Konsistenz zu verdeutlichen. Noch
durch ein Sieb geschüttet – fertig. Der Tochter sei es 24 Stunden nach dem
Einlauf wieder gut gegangen, seit neun Monaten bekäme sie nun zwei Einläufe
pro Woche, um den Effekt aufrechtzuerhalten.
Über 100.000 Mal wurde diese Anleitung zur
Do-it-yourself-Stuhltransplantation schon abgespielt. Auch Webseiten bieten
Hilfestellungen, und in Facebook-Gruppen mit 1.000 bis 2.500 Mitgliedern
tauscht die DIY-Community ihre Erfahrungen aus. Sie probieren zu Hause aus,
was in der Wissenschaft noch untersucht wird – die Heilkraft von Kot.
Weltweit laufen klinische Studien zum Nutzen von Stuhltransplantationen:
etwa bei Diabetes, Autismus, Depressionen, Multipler Sklerose, Parkinson
und Erdnussallergien.
Die große Frage ist: Hat ein gestörtes Darmmikrobiom Einfluss auf die
Entstehung dieser (und vieler weiterer) Leiden und könnten sie umgekehrt
durch ein ausbalanciertes geheilt werden? Das Darmmikrobiom, früher
bekannt als Darmflora, hat in den letzten Jahren in der Wissenschaft eine
steile Karriere hingelegt.
## Anderthalb Kilogramm Mikroorganismen
In unserem Darm leben Viren, Pilze und andere Mikroorganismen. Vor allem
aber: Bakterien. Eine erste Ladung davon kriegt der Mensch bei der Geburt
von der Mutter mit. In den nächsten Jahren formt sich langsam ein
vollständiges Mikrobiom. Hierbei gilt: je vielfältiger die Bakterien, desto
besser.
Die etwa anderthalb Kilogramm Mikroorganismen, die wir im Darm mit uns
rumtragen, sind für unsere Gesundheit extrem wichtig. Sie helfen bei der
Verdauung und unterstützen das Immunsystem. Inzwischen gilt es zudem als
sehr wahrscheinlich, dass die Mikroorganismen über die sogenannte
Darm-Hirn-Achse auch unsere Psyche beeinflussen.
Im Februar erst kam eine belgische Untersuchung von Stuhlproben depressiver
Menschen zu dem Ergebnis, dass bei den Teilnehmer*innen zwei Bakterienarten
deutlich seltener vorkamen als bei gesunden Personen. Ob es sich bei dieser
Korrelation um eine Ursache oder Folgeerscheinung der Krankheit handelt,
wissen die Forscher*innen nicht.
Unser Stuhl fördert praktischerweise Teile des Mikrobioms zutage. Neben
Wasser und Nahrungsmittelresten enthält er auch Stoffwechselprodukte, die
womöglich ebenfalls für eine erfolgreiche Stuhltransplantation nötig sind.
Die Idee hinter der Therapie ist simpel: In ein aus der Balance geratenes
Darmmikrobiom wird Spenderstuhl, der ein gesundes Mikrobiom enthält,
übertragen, um die gewünschte Bakterienvielfalt wieder herzustellen. Ein
Reset für den Darm.
## 80 Prozent werden gesund
Fäkale Mikrobiota-Transplantationen (FMT) werden bereits in etwa 35
Kliniken in Deutschland durchgeführt. Als Behandlungsmethode wird FMT fast
ausschließlich bei Clostridium-difficile-Infektionen eingesetzt. Nur bei
dieser Erkrankung liegt bereits eine Reihe überzeugender Daten zum Nutzen
von Stuhltransplantationen vor. Etwa 2.000 bis 3.000 schwere Fälle der
Durchfallerkrankung werden hierzulande jährlich gemeldet.
Sie tritt hauptsächlich nach Antibiotikabehandlungen in Krankenhäusern auf.
Infizieren sich Patient*innen mit dem Bakterium, etwa von der Hand in den
Mund, kann es sich im Darm gegen die angeschlagene Bakterien-Konkurrenz
durchsetzen. Betroffene leiden unter starken Durchfällen und
Bauchschmerzen, sie verlassen oft das Haus nicht mehr. Die Entzündung im
Darm kann im schlimmsten Fall zum Tod führen. Therapiert wird die Infektion
mit mehr Antibiotika. Etwa 25 Prozent der Erkrankten können so nicht
geheilt werden.
Maria Vehreschild ist die Leiterin der AG Klinische Mikrobiomforschung am
Uniklinikum Köln und führt dort seit 2014 Stuhltransplantationen durch.
Viele Betroffene und auch Ärzt*innen würden FMT noch nicht kennen und erst
bei der Internetrecherche darauf stoßen. „Die meisten Patienten haben
schon mindestens ein halbes Jahr erfolglos Antibiotika eingenommen, bevor
sie zu uns finden.“ Nachdem sie fremden Stuhl übertragen bekommen haben,
sind etwa 80 Prozent von ihnen in wenigen Tagen wieder gesund.
Nur zwei von über hundert behandelten Patient*innen fanden die Therapie
wirklich ekelig, erzählt die Ärztin. In Köln wird gespendeter Stuhl nicht
mit dem Smoothie-Maker hergestellt, sondern wird mit Kochsalzlösung
vermischt und zentrifugiert. Das trennt die Bakterien grob von anderen
Bestandteilen. Die Flüssigkeit, die aussieht wie wässriger Kakao, wird
entweder in Kapseln gefüllt, die die Patient*innen dann schlucken oder
direkt im Darm verteilt: über eine Nasensonde, während einer Darmspiegelung
oder per Einlauf. Einläufe seien allerdings weniger wirksam als die anderen
Methoden.
## Nicht jeder kann Kot spenden
Von Stuhltransplantation in den eigenen vier Wänden raten Ärzt*innen
aufgrund des Risikos der Krankheitsübertragung dringend ab. „Es muss sich
bei den Spendern um wirklich völlig gesunde Personen handeln. Auch, da wir
viele Wirkungen der Präparate noch gar nicht richtig absehen können“, sagt
Vehreschild. Sie arbeitet mit nur vier Spender*innen. Erst sei im
Bekanntenkreis gesucht worden; seit das Konzept bekannter sei, meldeten
sich auch Fremde bei ihnen. Nach Befragungen sowie Blut- und
Stuhluntersuchungen würden aber die meisten nicht mehr in Frage kommen.
„Grundsätzlich orientiert sich die Auswahl an den Sicherheitsvorkehrungen
bei der Blutspende, einige Kriterien wurden aber ergänzt.“ Die
Spender*innen müssen normalgewichtig sein, über 18, unter 50 Jahre alt,
dürfen nicht rauchen, keine Medikamente nehmen, keine Erkrankungen haben,
und es darf keine Erbkrankheiten in der Familie geben. Vor allem aufgrund
dieser aufwendigen Untersuchungen kostet eine Stuhltransplantation zurzeit
etwa 1.500 Euro.
Maria Vehreschild sieht viele der neueren FMT-Studien, die sich nicht mit
entzündlichen Darmerkrankungen beschäftigen, skeptisch. HIV, Krebs,
Fettleibigkeit? „Ich fürchte, dass wir mit diesen Vollpräparaten nicht so
viele Erkrankungen heilen können. Eigentlich müssen wir erst mal wieder
einen Schritt zurückgehen und verstehen, wie genau sich das Mikrobiom in
welcher Situation auf unsere Gesundheit auswirkt.
Dann können wir die Präparate optimieren und dann könnte es möglicherweise
funktionieren.“ Man habe die Zusammensetzung des Mikrobioms langsam
besser überblickt, nicht aber Funktion und Interaktion mit anderen
Organsystemen, „da sind wir am Anfang“.
Stuhltransplantationen gelten in Deutschland als individuelle
Heilversuche. Sie dürfen nur angewandt werden, wenn der oder die Ärzt*in
dies gut begründen kann und alle zugelassenen Therapien ausgereizt wurden.
Im Uniklinikum Köln, genauso wie in einer Handvoll anderer deutscher
Krankenhäuser, wird zurzeit an einer Arzneimittelzulassung für
Darmflorakapseln – Kacke-Kapseln – gearbeitet.
## Stuhlbanken in den USA
Die Schwierigkeit dabei? Der Stuhl jedes Menschen ist sehr individuell, es
kann keine feste Zusammensetzung des Medikaments angegeben werden. „Damit
die Gesetzesauflagen für Medikamente trotzdem erfüllt werden können, müssen
gemeinsam mit den Behörden Messungen festgelegt werden, die die Qualität
definieren. Ein solcher Marker kann die Artenvielfalt in den Präparaten
sein, die dann einen Mindestwert erreichen sollte. Natürlich müssen auch
potenzielle Krankheitserreger ausgeschlossen werden“, sagt Vehreschild.
Im Uniklinikum Köln soll noch in der ersten Jahreshälfte eine
Herstellungseinrichtung entstehen, die den im Arzneimittelgesetz
festgeschriebenen Anforderungen entspricht. „Unser Ziel ist es, dieses Jahr
die Produktion eröffnen zu können.“ Erst mit der Zulassung dürfen die
Präparate verschickt werden. Im Moment muss jedes Krankenhaus, das die
Therapie anwendet, eigene Spender*innen suchen.
In den USA ist das anders: Es gibt richtige Stuhlbanken. Die größte von
ihnen ist die nahe Boston angesiedelte Non-Profit-Organisation OpenBiome.
Sie wurde 2012 von Studierenden des Massachusetts Institute of Technology
gegründet. Ärzt*innen können von der Stuhlbank sicheren Stuhl beziehen.
OpenBiome arbeitet zu jeder Zeit mit 30 bis 40 Spender*innen. Weniger als
drei Prozent der Bewerber*innen werden angenommen, erzählt Majdi Osman,
Mitglied des Führungsteams. Wer es schafft, kann schon morgens vor dem
ersten Kaffee Leben retten und sich per Stuhlgang 40 Dollar dazuverdienen.
Die Organisation wirbt mit Bildern, auf denen Menschen mit
Superhelden-Umhang neben einer Toilette posieren. „Mach deine Morgenroutine
heroisch“, steht darüber. „Die Leute integrieren das Spenden in ihren
Alltag. Sie kommen etwa immer auf dem Weg zur Arbeit oder in der
Mittagspause vorbei“, sagt Osman. Bei OpenBiome versuchen sie, die
Situation, die dann folgt, durch Humor weniger komisch zu machen. Die
Situation, wenn Spender*innen ihren in Plastik verpackten Kot über einen
Theke reichen.
## Globaler Kot-Markt
45.000 Stuhl-Präparate hat OpenBiome bereits hergestellt und verschickt.
„Als wir angefangen haben, gab es nur eine Handvoll Krankenhäuser in den
USA, die FMT durchführten. Heute liefern wir unsere Präparate an über 1.000
Krankenhäuser und Praxen.“ Es gibt ein Präparat für die „Lieferung von
oben“ und eines für „die Lieferung von unten“. Beide kosten 1.595 Dollar
(Kapseln: 1.950 Dollar.)
FMT steht in den USA unter der Aufsicht der FDA, der Food and Drug
Administration. Ärzt*innen müssen vor jedem Einsatz die Erlaubnis der
Behörde einholen. Nur die Anwendung bei Clostridium-difficile-Infektionen
ist von dieser Regelung ausgenommen. Diese seit mehreren Jahren bestehende
Übergangslösung soll demnächst durch eine endgültige Regelung ersetzt
werden.
Diskutiert wird, ob die im Stuhl enthaltenen Mikroorganismen als Medikament
angesehen werden sollen oder in eine Kategorie mit Transplantaten wie
Organen und Blut fallen. Junge Pharmakonzerne, die sich auf solche
Medikamente spezialisiert haben, betreiben jetzt Lobbyarbeit: Der globale
Markt für Medikamente, die Clostridium-difficile-Infektionen behandeln,
soll laut einem Datenanalyseunternehmen bis 2026 auf 1,7 Milliarden Dollar
anwachsen. Der Grund: steigende Infektionsraten.
Einer der Gründer von OpenBiome, Mark Smith, leitet seit drei Jahren ein
Pharmaunternehmen, Finch Therapeutics. Die Firma hat bereits 77 Millionen
Dollar bei Investoren gesammelt. Finch kooperiert mit OpenBiome und
verfolgt das Ziel, Medikamente herzustellen, die von der FDA anerkannt
werden könnten.
## Mikroben-Cocktail
Ähnlich wie die anderen jungen Konzerne versucht Finch durch Datenanalyse
bisheriger Stuhltransplantationen herauszufinden, welche Mikroorganismen
für den Erfolg der Therapie entscheidend sind. In Zukunft sollen diese dann
synthetisch hergestellt werden. Ein solches Mikroben-Cocktail-Medikament
zur Behandlung von Colitis ulcerosa hat das Unternehmen bereits in die
Testphase gebracht.
Die Erprobung ist derweil noch lange nicht abgeschlossen. OpenBiome
kooperiert zurzeit mit der Universität Kapstadt zwecks einer Studie zur
Behandlung von akuter Unterernährung bei Kindern. Unterernährung sei nicht
nur auf fehlende Nahrung zurück zu führen, so Majdi Osman. Ein Drittel der
betroffenen Kinder würde sich trotz Nahrungszufuhr nicht richtig
entwickeln.
„Das Mikrobiom der Kinder hat sich verändert. Wird wieder ein gesundes
hergestellt, könnten sie sich von der Krankheit erholen, so unsere
Theorie.“ Der Kot von US-Amerikaner*innen wird für die Studie nach
Südafrika geflogen. Dass der Einlauf mit Stuhl, der durch andere
Essgewohnheiten geprägt ist, für die Kinder gefährlich werden könnte,
verneint die Organisation. In den USA wird derweil zum Einsatz von FMT bei
Fettleibigkeit geforscht – in Kliniken und auf YouTube.
23 Apr 2019
## AUTOREN
Rebecca Stegmann
## TAGS
Wissenschaft
Darm
Transplantation
Lesestück Recherche und Reportage
Hundekot
Sterbehilfe
WHO
Leben mit Behinderung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hundekot in der Öffentlichkeit: Dem Spürhund auf der Spur
Der nordrhein-westfälische Ort Weilerswist plant eine DNA-Datenbank für
Hundekot. Unsere Autorin denkt die Idee weiter.
Anhörung am Bundesverfassungsgericht: Richter prüfen Sterbehilfeverbot
Karlsruhe befasst sich mit dem Verbot organisierter Sterbehilfe. Sechs
Beschwerden liegen gegen den Strafrechtsparagrafen 217 vor.
Kommentar Impfpflicht in Deutschland: Wer nicht hören will, braucht Zwang!
Mit fast religiösem Eifer wehren sich ImpfgegnerInnen gegen die
Masernimpfung. Die Bundesregierung sollte endlich die Impflicht einführen.
Kommentar Vorgeburtliche Bluttests: Downsyndrom ist keine Krankheit
Die Kostenübernahme von Bluttests wäre ein fragwürdiges Signal. Nicht die
Beeinträchtigung ist das Problem, sondern fehlende Inklusion.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.