| # taz.de -- Kolumne Schlagloch: Mehr Haltung, bitte | |
| > Teile der Politik ermächtigen sich gerade des Nachrichtenwesens. Und | |
| > viele Journalisten schauen einfach nur lethargisch zu. | |
| Bild: Aufgabe der Medien wäre es, politische Vertreter mit Ideen aus der Zivil… | |
| Es ist Zeit, mal wieder ein paar Gedanken auf die Lage der vierten Gewalt | |
| im Land zu verwenden. Was wurde sie nicht malträtiert, seit Pegida durch | |
| die Straßen lief und Medienvertreter- und Institutionen sich aufs Übelste | |
| beschimpfen ließen. Die vierte Gewalt setzte sich nicht stolz zur Wehr, sie | |
| gab klein bei. Als Selbstkritik lässt sich diese Selbstbeugung nicht mehr | |
| beschönigen. Warum sich so viele durch den [1][Vorwurf „Lügenpresse“] vor | |
| sich hertreiben ließen, bleibt das Geheimnis der verantwortlichen | |
| Medienmacher. | |
| Die nächste Stufe, auf der sich die Medien jetzt hörnen lassen: Die Politik | |
| selbst ermächtigt sich des Nachrichtenwesens und möchte mit eigenen | |
| Newsrooms die Öffentlichkeit informieren. Das althergebrachte Pressebüro | |
| tut es natürlich nicht. Das Komische daran, wenn es nicht für die | |
| Demokratie so tragisch wäre: Auf die Idee kamen sie wahrscheinlich durch | |
| das Agieren der Medien selbst. Nachrichtensender arbeiten schon länger so, | |
| als wären sie Lautsprecher der Politiker. Geschliffene Phrasen und | |
| Statements der Politiker werden wie politische Berichterstattung | |
| gehandhabt. Polittalks inszenieren bevorzugt Duelle zwischen | |
| Parteipolitikern, statt die Konfrontation der Politik mit Experten oder | |
| Vertretern aus der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur zu ermöglichen. | |
| Klar denken Parteien jetzt, das mit den Nachrichten können wir auch selbst. | |
| Da kann man sich die Live-Schalte zu Unzeiten sparen, aber auch den Kauf | |
| von Medienanstalten, wie Berlusconi das noch musste. Man baut einfach die | |
| Gegenöffentlichkeit über soziale Medien und tauft den Pressereferenten zum | |
| Chef vom Dienst des Newsrooms. Vielleicht bietet Netflix ja bald den | |
| Parteien eigene Kanäle an. | |
| Journalisten berichten so lethargisch über diese neuen Partei-Newsrooms, | |
| als ginge es hier nicht um einen Angriff auf die vierte Gewalt. Man brauche | |
| schließlich eine Strategie in den sozialen Medien, diese Plattform dürfe | |
| man nicht den Rechten überlassen. Statt das Geschehen auf den Plattformen | |
| stärker gesetzlich zu regeln, werben sie Medienschaffende mit digitalen | |
| Kompetenzen ab. Der schwache Stand der Medien zeigt sich auch daran, dass | |
| unter den [2][aktuellen Arbeitsbedingungen] die Guten kaum zu halten sind. | |
| ## Zu wenig Analysen von Autoren ohne Machtinteresse | |
| Die zu Newsrooms aufgeblasenen Pressebüros sind eine Bloßstellung der | |
| Medien und ihrer selbst verschuldeten Schwäche. Die CDU spielte das Problem | |
| mit dem Konzept „Newsrooms“ probeweise durch: Beim Werkstattgespräch zum | |
| Thema Migration im Konrad-Adenauer-Haus waren Journalisten vor Ort | |
| ausgeladen. Sie durften über Live-Streams über die Ereignisse berichten. | |
| Und das beim Thema Migration, das laut mancher Panikmacher aufgrund der | |
| Ereignisse 2015 die große Konfliktschneise für dieses Land sein soll. | |
| Migration, das Thema, bei dem sich manche Medien selbst Vorwürfe machen, zu | |
| viel Verständnis für Humanität und Menschenrechte gezeigt zu haben. Als | |
| wäre es nicht Aufgabe der Medien, die Umsetzung von Grundrechten zu | |
| überwachen und auf Missstände hinzuweisen. Stattdessen diskutierte man, ob | |
| Menschen ertrinken zu lassen, wenn keine Rettungsstrukturen vorhanden sind, | |
| überhaupt ein Missstand ist. | |
| Journalisten, zumal schlecht bezahlte, müssen sich fragen, welche | |
| Auswirkungen die Nähe zu potenziellen Arbeitgebern auf die Kritikfähigkeit | |
| des Journalismus hat. Unter Obama sprach man oft von Hofberichterstattung | |
| über das Weiße Haus, weil er die Journalisten in Washington um den Finger | |
| zu wickeln wusste. Auch deutschen Politikern fehlen die Kritiker, und es | |
| fehlen Medienformate, die sie mit dem breiten Meinungsspektrum | |
| konfrontieren. Es fehlen die prominent platzierten Analysen jener, die | |
| selbst kein Machtinteresse haben. | |
| Gerade Migration ist ein Zukunftsthema. Die eine Million Menschen, die nach | |
| Deutschland kamen, waren eine Schockkonfrontation mit der Lage der Welt. | |
| Jetzt wird seitens der Politik oft so getan, als ginge es vor allem darum, | |
| die alte Verdrängung wiederherzustellen, den Europäer in seinem | |
| Privilegiertsein also nicht zu stören. Motto: Solange Migranten vor den | |
| Außengrenzen bleiben, ist das kein europäisches Problem. | |
| ## Guter Journalismus verhindert sich durch Haltungslosigkeit | |
| Unterlassung als Politik. Es wäre Aufgabe der Medien, die politischen | |
| Vertreter mit Ideen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kunst zu | |
| konfrontieren. Doch sie berichten vor allem über die politische | |
| Ideenlosigkeit der Verantwortlichen und fördern deren Selbstinszenierung. | |
| Guter Journalismus verhindert sich derzeit durch Haltungslosigkeit selbst. | |
| Faktenbasierter Journalismus bedeutet keineswegs, ein Journalist habe zu | |
| den Geschehnissen keine Haltung. Als CNN den Menschenhandel in Libyen | |
| aufdeckte, galt es nicht nur, vom Sklavenhandel im 21. Jahrhundert zu | |
| berichten. Es galt auch, den Zuschauern zu erklären, welche Gesetze | |
| gebrochen werden und wer zu wenig tat, um all das zu verhindern. Aufgabe | |
| des Journalismus ist es eben nicht, nur ein Negativbild vor Ort zu | |
| erstellen, das man der Öffentlichkeit zu Hause eins zu eins zeigen kann. | |
| Auf der Basis demokratischer Grundwerte muss jeder Journalist einordnen. | |
| Kritisch hinterfragen. Das heißt nicht, das Mikro hinzuhalten und vor allem | |
| die Öffentlichkeit der Verantwortlichen zu vergrößern. Es heißt, [3][die | |
| Komplexität der Realität zu vermitteln], damit eine demokratische | |
| Öffentlichkeit sich ihre Meinung bilden kann. | |
| Aus Angst vor sogenanntem Haltungsjournalismus lassen zahlreiche | |
| Medienschaffende derzeit zu, dass ihre Arbeit ausgehöhlt wird. Wer | |
| Newsrooms für Pressebüros hält, hat Journalismus nicht verstanden. Oder er | |
| blieb so lange verschont von kritischem Journalismus, dass er druckreife, | |
| parteiintern abgestimmte Statements für Nachrichten hält. Wenn zu viele so | |
| tun, als sei Berichterstattung ohne Haltung möglich, entmachtet sich die | |
| vierte Gewalt selbst. | |
| 28 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jagoda Marinić | |
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