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# taz.de -- Zentrum für politische Schönheit: „Es braucht nicht viel Mut“
> Früher gehörte Cesy Leonard zur Deutschrap- und Graffitiszene in
> Stuttgart, heute regt sie mit dem Zentrum für Politische Schönheit die
> Öffentlichkeit auf.
Bild: Cesy Leonard
taz: Frau Leonard, Sie gehören zum Leitungsteam des Künstlerkollektivs
Zentrum für Politische Schönheit, gegen das die Staatsanwaltschaft Gera
gerade wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt hat. Sie
sagen, das sei politisch motiviert. Wie meinen Sie das?
Cesy Leonard: Das war ein schwerer Angriff auf uns – und auf die
Kunstfreiheit. Denn damit unterstellte uns der Staat, dass der
hauptsächliche Zweck des Zentrums darin bestehe, schwere Straftaten zu
begehen. Der zuständige Staatsanwalt in Thüringen, der AfD-Sympathisant und
AfD-Spender Martin Zschächner, stellte uns damit auf eine Ebene mit
Terrororganisationen wie dem „Islamischen Staat“.
Auf Kritik hin wurden die Ermittlungen nun eingestellt. Ein Erfolg?
Nein, denn das war zu spät: Die Behörden hatten aufgrund der Ermittlungen
16 Monate lang die Befugnis, uns zu überwachen. Jetzt muss gegen die
Staatsanwaltschaft und den Justizminister in Thüringen ermittelt werden.
Ermittelt wurde, nachdem das Zentrum einen Nachbau des Holocaustmahnmals
vor der Haustür von Björn Höcke, dem Landesvorsitzenden der AfD Thüringen,
aufgebaut hatte.
Höckes Rede in Dresden Anfang 2017, in der er über das Holocaustmahnmal
sagte, die Deutschen hätten sich damit „ein Denkmal der Schande“ in das
Herz ihrer Hauptstadt gepflanzt, hat uns veranlasst, ihn genauer unter die
Lupe zu nehmen. Höcke ist ein Nazi, ein Hetzer und Demagoge. Das Denkmal
steht nun für zehn Jahre auf seinem Nachbargrundstück. Wenn er aus dem
Fenster schaut, kann er es sehen.
Zudem haben Sie einen „zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz“
gegründet, um Höcke zu überwachen.
Nein: Wir behaupten, wir hätten es getan, und rufen dazu auf, Höcke zu
überwachen. Die Überwachung von Nazis ist ein wichtiges Thema. Wir wollen
damit auf die Versäumnisse rund um den NSU verweisen. Ein absoluter
Skandal: Niemand hat die Nazis damals überwacht, und wir bezweifeln, dass
die rechtsextreme Szene jetzt genügend vom Staat überwacht wird. Es leben
derzeit knapp 500 Rechtsextreme im Untergrund. Wenn der Staat kein Auge auf
Nazis hat, müssen wir sie im Auge behalten.
Woher nehmen Sie den Mut zu solche Aktionen?
Mut würde ich das nicht nennen, eher Dreistigkeit. Es braucht nicht viel
Mut. Wir sind ja keine Widerständler im Nationalsozialismus. Künstler und
Politaktivisten haben im internationalen Vergleich sehr gute Bedingungen
in Deutschland. Letztens saß ich mit Maria Aljochina von Pussy Riot auf
einem Podium. Sie musste wegen des berühmten Punkgebets in einer Kirche
zweieinhalb Jahre in Haft. Dagegen herrschen hier – zumindest noch –
paradiesische Bedingungen für Widerständler. Für mich ist es ein
Inkaufnehmen der Konsequenzen, die entstehen können, weil etwas anderes
viel wichtiger ist. Wir müssen uns mehr trauen.
Wären Sie bereit, dafür auch Gesetze zu brechen?
Auf jeden Fall. Wie irrsinnig und veraltet Gesetze sein können, zeigt das
Verbot, für Abtreibungen zu werben. Seit ich beim Zentrum bin, bin ich
großer Fan der Zusammenarbeit mit Juristen und des Austestens juristischer
Grenzen.
Bei der jüngsten Aktion des Zentrums listeten Sie auf der Website
SOKO-Chemnitz.de Hunderte Leute mit Namen und Fotos auf, die sich Ende
August 2018 an den rassistischen Aufmärschen in Chemnitz beteiligt haben
sollen.
Wir wollten damit den Irrglauben widerlegen, dass nur sogenannte besorgte
Bürger und ein paar Rechtsextreme aus dem Osten in Chemnitz mitgelaufen
seien, wo Tausende Menschen marschierten und Rechtsextreme Migranten
jagten.
Wer waren denn die, die da auf den Straßen waren?
Die kamen auch aus Westdeutschland, Belgien, Österreich, Frankreich. Da
waren Leute, die einen Cappuccino mit Hakenkreuz im Milchschaum posten und
den Hitlergruß via öffentlicher Facebook-Seiten zeigen. Das Bild vom
Ostdeutschen, der Nazi ist, stimmt nur teilweise. Inwieweit rechtsextreme
Netzwerke dazu aufgerufen haben, werten wir gerade aus.
Wie machen Sie das?
Trotz langer Recherche konnten wir nur einen Teil der Menschen
identifizieren, die mitgelaufen sind. Neben bekannten Personen des
rechtsextremen Milieus und AfD-Abgeordneten fanden sich viele Unbekannte.
Deshalb haben wir eine Internetseite mit Suchfunktion erstellt, damit sich
Leute, die Angst hatten, aufgelistet zu sein, dort selbst suchen konnten.
Dadurch bekamen wir Namenseinträge und Informationen über rechtsextreme
Netzwerke. Die Rechte ist europaweit extrem gut vernetzt: Die Identitären
klüngeln mit Pegida und Burschenschaften und die wiederum mit Leuten, die
in Abgeordnetenbüros im Bundestag arbeiten. Das sollte uns alle alarmieren!
Sie riefen dazu auf, Leute, die mitgelaufen seien, zu „denunzieren“ und
dafür „Sofort-Bargeld zu kassieren“.
Wir provozierten, damit sich die Leute auf der Seite suchen. Wir benutzen
das Wort „denunzieren“ bewusst. Wir spielen mit sprachlicher Übertreibung.
Politik und Medien waren empört.
Alle regten sich tierisch auf. Das Thema Datenschutz wurde dagegen kaum
diskutiert. Wenn eine Künstlergruppe so leicht über Bilddaten an die
Identität von Menschen kommt, was sagt das über die Sicherheit im Internet
aus?
Das Zentrum setzt mit seinen Aktionen oft auf Provokation.
Provokation ist ein wichtiges Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Sonst
bleibt eine Menschenrechtsverletzung eine bloße Pressemeldung, und keiner
regt sich auf und handelt.
Sie stehen für einen „aggressiven Humanismus“. Was ist das?
Der Kampf um Menschenrechte wird viel zu brav geführt. Letztens habe ich
wieder einen Aufruf einer NGO im Internet gesehen, man solle eine Petition
unterschreiben, wenn man etwas gegen den Hunger in der Welt unternehmen
will. Es ist eine absolute Frechheit, dass täglich Menschen verhungern. Das
müsste jeden Tag weltweit auf den Titelseiten stehen. Gleichzeitig
schmeißen wir Lebensmittel in rauen Mengen weg. Und dann kommen Leute mit
Petitionen?
Das regt Sie auf.
Das macht mich wütend! Es braucht radikalere Aktionen, wenn man solche
Themen auf die Titelblätter bringen will, damit sich endlich was bewegt.
Das wollen Sie mit Kunst erreichen?
Kunst hat die Kraft, die Gesellschaft daran zu erinnern, dass es
unerträglich ist, wenn wir als das reiche Europa Menschen im Mittelmeer
sterben lassen. Katastrophen wie diese müssen wieder wahrgenommen und
gefühlt werden, damit sich etwas ändert. Zudem spielen wir mit provokativen
Kunstaktionen, um Rechtspopulisten, denen es häufig gelingt, Themen zu
setzen und den Ton in öffentlichen Debatten zu bestimmen, etwas
entgegenzusetzen.
Bedienen Sie sich nicht selbst populistischer Werkzeuge?
Klar arbeiten wir auch mit einer einfachen Sprache und fetten Headlines.
Aber es sind ja nicht nur fette Headlines. Wer einen
„zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz“ auf einen AfD-Abgeordneten
ansetzt, provoziert Streit.
Wir haben den Ratschlag der Amadeu-Antonio-Stiftung – eine gemeinnützige
Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzt – befolgt: Auf die
Frage, was tun, wenn dein Nachbar Nazi ist, antwortet sie: Genau
beobachten. Das haben wir gemacht.
Die Stiftung empfiehlt aber auch, sich im Umgang mit Rechtspopulisten nicht
provozieren zu lassen und sachlich zu argumentieren. Das machen Sie nicht
unbedingt.
Stimmt. (lacht) Das ist eher ein Tipp für Medien und andere NGOs. Ich kann
das Mantra, dass man mit den Rechten reden müsse, nicht mehr hören.
Soll man nicht?
Nein. Wenn Leute abschaffen wollen, wofür eine offene Gesellschaft steht,
gibt es keine Grundlage für ein Gespräch. Wenn uns gesellschaftliche
Toleranz wichtig ist, müssen wir intolerant gegen die sein, die sie infrage
stellen. Wir müssen intolerant mit der AfD umgehen. Mitläufer durch Reden
zu überzeugen kann der versuchen, dem seine Lebenszeit nicht zu schade ist.
Nicht mit Rechten reden ist eine klassische Antifa-Haltung. Auch die
Soko-Chemnitz-Aktion erinnert an die Antifa – nur anders verpackt, oder
nicht?
Ich bin Antifaschistin. Aber unsere Aktionen sind nicht aktivistisch.
Sie empfinden den Begriff „Aktivismus“ als Beleidigung. Warum?
Ich bin sicherlich auch Aktivistin, aber was wir machen, ist nicht
Aktivismus. Klassischer Aktivismus hat meistens ein klares Ziel. Das
unterscheidet sich von unseren Aktionen. Wenn wir den europäischen
Mauerfall aktivistisch geplant hätten …
… Sie meinen die Aktion, als das Zentrum zum 25. Jahrestag des Mauerfalls
Kreuze, die als Denkmal für die Mauertoten im Regierungsviertel stehen,
geklaut und an die Grenzen Europas gebracht hat, um der Opfer der
EU-Asylpolitik zu gedenken …
… dann hätten wir nicht öffentlich dazu aufgerufen, an die EU-Außengrenze
zu fahren und den Zaun zu durchbrechen. Wir wären heimlich runtergefahren –
und hätten den Zaun wahrscheinlich aufbekommen. Aber wir wollten mit der
Aktion mehr als das. Es ging um die Frage: Wie kann es sein, dass wir
derzeit eine Mauer um Europa bauen, während wir feiern, dass eine andere
vor 25 Jahren gefallen ist? Wir wollen erzählen, dass es eine
Zivilgesellschaft gibt, die bereit ist, die neue Mauer einzureißen. Wir
arbeiten mit künstlerischen Mitteln, Bühnenbildern, Schauspielern und
Hyperrealitäten: Was wäre, wenn? Kunst kann Menschen wieder
emotionalisieren.
Was kann ein Kunstwerk noch?
Dass sich die Menschen, die uns zuschauen und über uns sprechen,
positionieren müssen. Und sich im besten Fall die Frage stellen: Wie weit
bin ich bereit zu gehen, damit das, was uns wichtig ist, erhalten bleibt?
Wie sind Sie zur Menschenrechtlerin geworden?
Ich würde mich nicht als Menschenrechtlerin bezeichnen. Ich bin politische
Künstlerin. Die perfekte Mischung aus Kunst, Politik und Radikalität habe
ich beim Zentrum gefunden.
Gibt es Menschen, die Sie auf Ihrem Weg inspiriert haben?
Selbstverständlich. Seit ich denken kann, inspirieren mich
Persönlichkeiten, die ihren eigenen Weg gehen, sich gegen Ungerechtigkeit
einsetzen. Im persönlichen Umfeld war es meine Mutter, eine Feministin. Sie
erzog mich und meine Schwester zu starken Frauen. Durch sie lernte ich
schon als Kind, die Welt zu hinterfragen.
Wie sind Sie aufgewachsen?
In einem spießigen Stadtteil von Stuttgart. Mein Vater ist Australier, er
spricht mit Akzent Deutsch. Das reichte damals im Schwabenland schon, damit
auch wir Kinder uns anders fühlten. Ich bin in mittelständischen
Verhältnissen aufgewachsen …
… aber Sie haben kein Abitur.
Richtig. (lacht) Spätestens mit 16 bekam ich totale Beklemmungen in der
Schule, sie war für mich die reinste Qual. Ich habe kein Abi, bin aber
trotzdem meinen Weg gegangen. Mir ist es wichtig, jungen Menschen Mut zu
machen, individuelle Wege zu gehen. Die vielen Umwege in meinem Leben haben
mich stark gemacht. Nach der 11. Klasse bin ich von der Schule gegangen und
ausgezogen. Ich wollte auf eigenen Beinen stehen.
Wie ging es weiter?
Ich habe für eine Fernsehserie Graffiti gemalt und dort irgendwann als
Schauspielerin angefangen. So kam ich zum Schauspiel. Zudem war ich in der
Stuttgarter HipHopszene aktiv. Das Rebellische, das Rap und Graffiti mit
sich bringen – nachts rausgehen und die Stadt gestalten – hat mir viel
Selbstvertrauen gegeben, selbst Dinge zu gestalten
Rappen Sie heute noch?
Nein, nur noch auf dem Fahrrad. Aber Rappen hat mich damals befähigt,
eigene Texte zu schreiben, auf einer Bühne zu stehen und auszudrücken, was
in einer Stadt vor sich geht und in einer jungen Frau schlummert. Das war
ein krasser Katalysator und stand im Widerspruch zu Schule und dem
Wiederkäuen von Ideen.
Wie wurden Sie Regisseurin?
Es war erst mal toll, als Schauspielerin Geld zu verdienen mit etwas, was
ich liebte. Aber der Beruf ist total auf Äußerlichkeit fixiert. Das
frustrierte mich. Ich wollte eigene Geschichten schreiben.
Und wie sind Sie dann zum Zentrum gekommen?
Durch meinen Film „Schuld. Die Barbarei Europas“.
Darin geht es um Lebensmittelspekulationen der Deutschen Bank und um
persönliche Schuld. Sie verurteilen die Selbstbezogenheit der Menschen. Was
genau meinen Sie damit?
Die Spekulationen mit Lebensmitteln finden hier in Deutschland statt – mit
katastrophalen Auswirkungen in der ganzen Welt. Die Täter sitzen hier,
werden aber nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Opfer sind woanders. Es
kann gefährlich sein, wenn wir uns nur für Dinge interessieren, die in
unserem Vorgarten stattfinden oder uns selbst betreffen.
Warum ist das gefährlich?
Weil wir uns dann nur für uns selbst einsetzen. Es ist wichtig, dass wir
uns für andere einsetzen. Wenn wir uns als Gesellschaft nicht für die
Bedürfnisse von Minderheiten einsetzen, wird es gefährlich. Dann hat die
AfD leichtes Spiel.
Das lässt sich leicht sagen, wenn man in privilegierten Verhältnissen lebt.
Es gibt extrem viele privilegierte Leute, die extrem unpolitisch sind.
Meiner Erfahrung nach sind gerade Menschen, die tagtäglich mit
Ungerechtigkeiten konfrontiert sind – sei es, weil sie einer Minderheit
angehören, arm sind oder sonst wie am gesellschaftlichen Rand stehen –, oft
viel politischer als der gemütliche, bequeme, privilegierte Bürger.
13 Apr 2019
## AUTOREN
Sophie Schmalz
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