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# taz.de -- Polizist Steven Baack und der Fall Frank S.: Fatale Botschaften
> Der ehemalige Leiter der Hamburger Soko „Cold Cases“ hat sich im Fall
> Frank S. nicht strafrechtlich schuldig gemacht. Trotzdem bleiben am Ende
> nur Verlierer.
Bild: Keine Hinweise auf planvolle Irreführung: Soko-Leiter Steven Baack im No…
Hamburg taz | Die Staatsanwaltschaft Hamburg kommt zur Einschätzung, dass
dem geschassten Chef der Sonderkommission für ungelöste Gewaltverbrechen
„Cold Cases Unit“, Steven Baack (38), nicht vorgeworfen werden kann, sich
in seinem ersten Fall mit verbotenen Ermittlungsmethoden strafrechtlich
schuldig gemacht zu haben.
Baacks erster Fall drehte sich um Frank S. und mündete in einen Prozess vor
dem Landgericht Hamburg. Dem heute 54-jährigen Frank S. wurde zur Last
gelegt, vor 38 Jahren eine gleichaltrige Schülerin in Hamburg-Steilshoop
mit acht Messerstichen fast umgebracht zu haben. Doch nach der
Beweisaufnahme stand im Oktober vergangenen Jahres für das Gericht fest,
dass Frank S. unschuldig ist: „Die Indizien haben aufgrund fehlerhafter
Polizeiarbeit wenig Beweiskraft“, rüffelte die Vorsitzende Richterin Anne
Meier-Göring die Soko in der Urteilsbegründung.
Die Vorwürfe gegen Baack habe die Behörde „über Monate und mithilfe aller
zur Verfügung stehenden Dokumente geprüft“, sagte Sprecherin Nana Frombach.
Es hätten sich keine Hinweise auf eine „absichtliche und planvolle
Irreführung von Staatsanwaltschaft und Gericht“ ergeben, die einen
Anfangsverdacht und Ermittlungen wegen falscher Anschuldigung,
Aktenmanipulation oder Freiheitsberaubung rechtfertigen würden, sagte der
Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich dem Hamburger Abendblatt.
Bei ihrer Überprüfung der Vorwürfe habe die Staatsanwaltschaft zwar
festgestellt, dass es schwerwiegende handwerkliche Fehler der „Cold
Case“-ErmittlerInnen gegeben habe. Diese seien aber durch Personalengpässe
in der Einheit begünstigt gewesen. „Die von Herrn Baack vorgebrachten
Hinweise auf eine Überlastung und Überforderung als wesentliche Ursache
dieser Fehler erscheinen grundsätzlich plausibel“, sagte Fröhlich.
## Entlastendes kam erst nach Monaten
Für den Verteidiger von Frank S., Jan Jacob, der auf Schadenersatz gegen
die Stadt klagt, ist das eine unzulässige Entschuldigung. „Es kann nicht
angehen, dass die Polizei entlastende Beweismittel erst Monate nach
Inhaftierung zur Akte reicht. Gegen meinen Mandanten wäre niemals
Haftbefehl erlassen worden, wenn sämtliche verfügbaren Informationen
frühzeitig für Gericht und Verteidigung verfügbar gewesen wären“, moniert
Jacob.
Wäre die Staatsanwaltschaft in dem Komplex zu einem anderen Ergebnis
gekommen, müsste der „Täterkreis“ wohl erheblich ausgeweitet werden. Denn
„Herrin des Verfahrens“ gegen Frank S. war damals die Staatsanwältin Tanja
Glositzki, die normalerweise über sämtliche Ermittlungsschritte ihrer
„Hilfspolizisten“ informiert ist und die den Fall 2018 auch zur Anklage
brachte.
Die Ermittlungen der im Oktober 2016 vom Chef des Landeskriminalamtes (LKA)
Hamburg, Frank Martin Heise, mit viel Brimborium eingesetzten „Cold
Cases“-Einheit standen von Anfang an unter enormem Erfolgsdruck und wurde
nvon der LKA-Führung und von Baacks Vorgesetzter Alexandra Klein beäugt.
Die Vorzeigepolizistin ließ es sich nicht nehmen, bei der medienträchtigen
Inszenierung von Frank S. Verhaftung im Februar vergangenen Jahres anwesend
zu sein, bei der Soko-Chef Baack den Verdächtigen höchstpersönlich im
Blitzlichtgewitter der PressefotografInnen in ein Polizeifahrzeug
bugsierte.
## Baack im Blitzlichtgewitter
Auch Baacks Anwalt Gerhard Strate macht die LKA-Führung, die eigens eine
Ermittlungsgruppe zur „Cold Case“-Affäre eingesetzt hat, mitverantwortlich
für das Debakel. „Das Vorgehen bestärkt den Eindruck, dass Herr Baack zum
Sündenbock gemacht wird, um Versäumnisse der Führung zu verdecken“, sagt
der renommierte Strafverteidiger. „Alle in dem Urteil bemängelten Sachen
waren den Vorgesetzten vor der Verfahrenseröffnung durch das Landgericht
bekannt, das steht sogar in dem Untersuchungsbericht der LKA-Führung“, so
Strate zur taz.
Baacks Schilderungen zufolge habe die Soko „Cold Cases“ als Vorzeigeprojekt
massiv unter Erfolgsdruck gestanden, sei mit vier BeamtInnen aber personell
und technisch schlecht ausgestattet gewesen, was zu einer „Überforderung“
geführt habe. So seien viele Vernehmungen nur von einzelnen Beamten statt
zu zweit geführt worden oder zur Aufklärung wichtige – vielleicht
entlastende – Zeugen nicht befragt und entlastende Angaben von Baack von
der LKA-Führung bewusst ignoriert worden.
Baack selbst gibt sich der Staatsanwaltschaft gegenüber selbstkritisch: Ihm
seien in der Sache Fehler unterlaufen. „Diese sind nach fast zehnjähriger
operativer Verwendung in einem Spezialeinsatzkommando zu erwarten“, weshalb
er „um enges Controlling“ gebeten, es aber nicht bekommen habe, sagte der
Beamte, der zuvor beim Mobilen Einsatzkommandos (MEK) tätig war. In der Tat
wirft die „Cold Case“-Affäre Fragen auf. Warum hat Heise damals Steven
Baack zum Soko-Chef für diese äußert spezifische Materie ernannt, in der
innovative Methoden und ein neuer Blickwinkel notwendig sind, obwohl der
35-Jährige mehr als zehn Jahre lang keine kriminalistische
Ermittlungspraxis mehr hatte?
## Mehr als bloß kriminalistische List
Zudem habe die Arbeitsgruppe der LKA-Führung Baack „rechtliches Gehör nicht
gewährt“, so Strate. Ihr Bericht sei an die Staatsanwaltschaft gegangen,
„ohne dass Baack Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen, so geht man
mit seinen Beamten nicht um“, moniert Strate gegenüber der taz.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Meier-Göring, die den Prozess gegen
Frank S. vor dem Hamburger Landgericht leitete. So seien dem Opfer Fotos
von acht jungen Männern vorgelegt worden, auf denen sie den Täter von
damals erkennen sollte.
Allerdings stammte nur das Jugendfoto des Angeklagten erkennbar aus den
1980er-Jahren. Die Zeugin identifizierte Frank S. daraufhin zu „80 bis 90
Prozent“, während sie Tage zuvor in einer Mail an die Soko „Cold Cases“
noch den sogenannten Göhrde-Mörder als Täter benannt hatte.
## Schlamperei in der Asservatenkammer
Auch wurde dem heute 54-jährigen traumatisierten Opfer seitens der Soko
suggeriert, der Täter sei aufgrund von DNA-Spuren am Tatmesser bereits
überführt, obwohl die gefundenen Tatwaffen und andere Tatortspuren wegen
Schlamperei in der Asservatenkammer der Polizei vor 16 Jahren versehentlich
entsorgt worden waren.
Zum wichtigsten Belastungszeugen avancierte ein ehemaliger Kumpel des
Angeklagten, der sich plötzlich erinnerte und „aus sich heraussprudelte“,
so die Richterin, dass sich der dunkelhaarige Frank S. zum Tatzeitpunkt die
Haare blond gefärbt gehabt habe – wie der vermeintliche Täter.
Zuvor soll Baack den Zeugen auf eine Belohnung von 3.000 Euro aufmerksam
gemacht und suggeriert haben, dass er sich in einem Strafverfahren gegen
ihn im Falle einer Kooperation mit der Polizei stark machen werde. So ein
polizeiliches Verhalten „übersteigt die kriminalistische List“, rügte
Meier-Göring. „Hätten die Hinweise sich bestätigt, hätte es sich um
verbotene Vernehmungsmethoden gehandelt.“
## Nur Verlierer
An die Angeklagten und Opfer gerichtet, bedauerte die Richterin, welche
fatalen Botschaften von dem Prozess ausgegangen seien: „Wie bitter muss es
für die Nebenklägerin sein, dass sie mit dem heutigen Freispruch wohl
endgültig der Hoffnung beraubt wurde, zu erfahren, wer ihr dieses unsagbare
Leid angetan hat.“
Die Angeklagten hätten verzweifelt versucht, ihre Unschuld zu beweisen.
„Aber was hilft die Unschuldsvermutung, wenn die Polizei überzeugt ist,
dass man der Täter ist?“, resümierte Meier-Göring: „So ein Verfahren, das
nur Verlierer, aber keine gerichtshaltbaren Beweise produziert, darf es nie
wieder geben.“
16 Apr 2019
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Polizei Hamburg
Ermittlungsfehler
Hamburg
Landeskriminalamt
dna-probe
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