# taz.de -- Studie zu Gefahren von Windrädern: Stimmungsmache mit Insektentod | |
> Rotorblätter töteten laut einer Studie im Sommer pro Tag fünf Milliarden | |
> Insekten. Biologen halten die Zahl für nicht sehr relevant. | |
Bild: Fliegenfallen – möglicherweise | |
FREIBURG taz | Die Zahl hört sich dramatisch an: Mehr als fünf Milliarden | |
Fluginsekten kommen im Sommer täglich an den Flügeln von Windkraftanlagen | |
in Deutschland zu Tode. Der Wert stammt aus [1][Modellanalysen des | |
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt] (DLR) in Stuttgart. Dort hat | |
Verfahrenstechniker Franz Trieb mit der Präzision eines Ingenieurs | |
Insektendichten analysiert, Volumenströme der Luft an Windrädern kalkuliert | |
und dann alles hochgerechnet. Und weil die Verschmutzung der Rotorblätter | |
mit Insektenresten ein bekanntes Phänomen ist, wirft der | |
Energiesystemanalytiker nun die Frage auf, ob der Schwund der Insekten auch | |
mit der Windkraft zusammenhängen könnte. | |
Wirklich beantworten kann er die Frage am Ende allerdings nicht. Denn Trieb | |
muss eingestehen, dass es keine Vergleichszahlen gibt. Diese aber bräuchte | |
man, um sagen zu können, welche Relevanz die Windkraft hat im Vergleich zu | |
den Pestiziden, zur intensiven Landwirtschaft, zum Verkehr, zur | |
Flächenversiegelung, zum Gewässerverbau und der Urbanisierung. | |
Die vielen Unsicherheiten (die DLR-Studie benennt sie offen) griff der | |
Bundesverband Windenergie sofort auf, um darauf hinzuweisen, dass den | |
Feststellungen „keine empirisch gesicherte Basis“ zugrunde liege. Somit | |
eigneten sich die Aussagen nicht für die wissenschaftliche Debatte, zumal | |
der Rückgang der Insektenpopulationen auch Länder betreffe, die keine | |
Windenergie nutzen. | |
Der Branchenverband verbreitet auch eine Grafik, die aus einer aktuellen | |
Publikation in der Fachzeitschrift Biological Conservation stammt. Diese | |
listet 13 Faktoren auf, die beschuldigt werden, zum Rückgang der Insekten | |
beizutragen – die Windkraft ist nicht dabei. Trotzdem nutzten Kritiker der | |
Energiewende wie Spiegel-Kolumnist [2][Jan Fleischhauer] oder | |
Welt-Chefredakteur [3][Ulf Poschhardt] die DLR-Studie für ihre Zwecke. | |
## Simulation und Realität | |
Dennoch ist die Frage, wie die Rotoren auf Insektenbestände wirken, | |
natürlich legitim und aus wissenschaftlicher Sicht auch allemal | |
interessant. Allerdings halten Zoologen schon die Herangehensweise der | |
DLR-Studie für nicht zielführend. Sie argumentieren lieber aufgrund ihrer | |
Kenntnis von Wirkzusammenhängen statt mit physikalisch-technischen | |
Simulationen. | |
Wer aus den DLR-Zahlen Schlüsse für die Bedrohung der Insektenwelt ziehe, | |
verkenne einen wichtigen Aspekt, sagt Professor Johannes Steidle, | |
Tierökologe an der Universität Hohenheim: „Entscheidend für die Größe von | |
Insektenpopulationen ist weniger die Frage, ob irgendwo Tiere sterben, | |
sondern ob sie den richtigen Lebensraum zur Vermehrung finden.“ Und genau | |
an solchen Habitaten fehle es zunehmend. | |
Ähnlich argumentiert Professor Lars Krogmann, Experte für Hautflügler am | |
Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart: „Wenn es entsprechende | |
Lebensräume gibt, können viele Insektenarten schnell große Populationen | |
hervorbringen.“ Eine errechnete Zahl getöteter Individuen sei völlig | |
irrelevant, solange Vergleiche fehlen – etwa Daten zu den Insekten, die | |
natürlicherweise von Vögeln vertilgt werden, oder jenen, die auf | |
Windschutzscheiben sterben. | |
Welche Aspekte vor allem relevant sind für den Insektenschwund, hatten | |
Wissenschaftler im vergangenen Oktober beim Internationalen | |
Insektenschutzsymposium in Stuttgart diskutiert. Heraus kam ein | |
„Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben“. Dieser fordert als wichtigste | |
Schritte – in dieser Reihenfolge – eine Einschränkung des Pestizideinsatzes | |
in der Landwirtschaft, eine Extensivierung der Landwirtschaft mit mehr | |
Brachflächen, die Pflege von Naturschutzgebieten, die Erhöhung der | |
Artenvielfalt auf Grünland und mehr Natur im öffentlichen Raum. | |
## Nicht der Windkraft schaden | |
So spiegelt auch dieses Papier jene entscheidende Aussage wider, die ebenso | |
das Bundesamt für Naturschutz sich zu eigen macht: Insektenschutz ist vor | |
allem ein Schutz der Lebensräume. Bei der Zerstörung dieser Habitate, sagt | |
Entomologe Krogmann, spiele die Windkraft definitiv keine Rolle. Dennoch | |
fürchtet er, dass nun, indem man die Rotoren als potenziellen Insektenfeind | |
aus dem Hut zaubere, der Druck auf die Landwirtschaft nachlässt, | |
umweltverträglicher zu werden. | |
Das allerdings sei nicht die Intention des Deutschen Zentrums für Luft- und | |
Raumfahrt, versichert Wissenschaftler Trieb. Schließlich gilt das DLR seit | |
Jahrzehnten als eine führende deutsche Forschungsinstitution im Sektor der | |
erneuerbaren Energien. Ihn selbst jedoch erfülle das Insektensterben mit | |
Sorge, sagt Trieb, und da er die toten Tiere immer wieder an den | |
Rotorblättern kleben sehe, habe ihn als Wissenschaftler der Zusammenhang | |
der beiden Phänomene interessiert. | |
Der Windkraft schaden wolle er keinesfalls, beteuert Trieb: „Ich würde mich | |
sogar freuen, wenn am Ende herauskäme, dass die Windkraft für das | |
Insektensterben irrelevant ist – aber man müsste das Thema eben weiter | |
untersuchen.“ | |
24 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dlr.de/tt/desktopdefault.aspx/tabid-2885/4422_read-53289/ | |
[2] https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/faktencheck/faktenche… | |
[3] https://twitter.com/ulfposh/status/1107318139048607751 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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