# taz.de -- Die gärtnerische Zukunft: Nahrung aus dem Hightech-Container | |
> Christian Ulrichs arbeitet in seinem Projekt CUBES Circle daran, Fische, | |
> Pflanzen und Insekten in intelligent verknüpften Containern zu | |
> produzieren. | |
Bild: Container – Modell | |
taz: Herr Ulrichs, Kerngedanke Ihres Forschungsprojekts CUBES Circle ist | |
eine Art Legobaukausten für die Nahrungsmittelproduktion. Wie können wir | |
uns das vorstellen? | |
Christian Ulrichs: Ziel ist es, Pflanzen, Insekten und Fische in Containern | |
zu züchten. Damit bringen wir drei Ebenen der Nahrungskette zusammen. Jedes | |
dieser drei Produktionssysteme kann, wie bei Legobausteinen, | |
unterschiedlich skaliert und kombiniert werden. Dabei bilden die Container | |
ein gemeinsames System, das von einer Kontrollzentrale aus reguliert wird. | |
Was wir in diesem Forschungsprojekt umsetzen möchten, haben wir uns von der | |
Natur abgeschaut. In der Natur werden biologische Ressourcen weiter | |
verwertet, sodass es im Grunde keinen Abfall gibt. Das ist in unserem | |
Projekt das oberste Credo. Wenn wir zum Beispiel Pflanzen für die | |
menschliche Ernährung produzieren, bleibt Biomasse übrig, die nicht | |
verwertet wird. Diese Biomasse wird dann in den Insekten-Container | |
transferiert, damit sich die Insekten daraus ernähren können. Die | |
Biomasse-Reste aus dem Insekten-Container fließen wiederum zurück in den | |
Pflanzencontainer und dienen dort als Düngemittel oder sie kommen als | |
Proteinquelle in den Fischcontainer. Mit diesem ressourcenoptimierten | |
Ansatz kann fast alles wiederverwertet werden. | |
Die Idee der containerbasierten Lebensmittelproduktion ist nicht neu. Was | |
ist an Ihrem Projekt das Besondere? | |
Das stimmt, die containerbasierte Produktion wird in kleinerem Rahmen, | |
vorrangig experimentell, zur Pflanzenproduktion eingesetzt. Wir heben uns | |
von den existierenden Systemen mit den eingesetzten Technologien deutlich | |
ab. Zur Insektenproduktion gibt es rudimentäre Ansätze mit Containern, für | |
Fische ist mir nichts dergleichen bekannt, und unser Pflanzencontainer | |
unterschiedet sich substanziell von denen im Handel. Unser Ansatz ist ein | |
ganzheitlicher. Wir setzen auf der Containerebene „State of the | |
Art“-Technologien ein und vereinen diese erstmals für drei | |
Ernährungsebenen. Neben den drei verschiedenen Produktionssystemen, die wir | |
umsetzen möchten, geht es auch um die Stoff- und Energieflüsse, die | |
aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Container sollen im urbanen Raum, | |
aber auch in Dritte-Welt-Ländern als alternative Produktionssysteme zum | |
Einsatz kommen. Das Wichtigste dabei ist, dass sie nicht autark gedacht | |
werden, sondern sich in die Energie- und Stoffströme der Umgebung einfügen. | |
Auch das ist in unserem Projekt eine Neuheit. Wichtige Industriepartner | |
helfen uns außerdem, die richtigen Standards zu setzen. So arbeiten wir zum | |
Beispiel mit Hermetia Baruth, dem größten Insektenproduzenten für | |
Soldatenfliegen in ganz Deutschland, zusammen. Die Industriepartner sorgen | |
dafür, dass wir geerdet bleiben und unsere Forschung später in der Praxis | |
umsetzbar ist. | |
Wie soll der Lebensmittelbedarf in Zukunft gedeckt werden? | |
Im Moment gibt es vor allem zwei dominierende Ansätze, um die | |
Lebensmittelproduktion dem künftigen Bedarf anzupassen. Forscher arbeiten | |
einerseits mit immer ausgefeilteren Hightechlösungen an neuen | |
Produktionssystemen. Der andere Ansatz legt den Fokus auf Nachhaltigkeit | |
und eine natürlichere Lebensmittelproduktion ohne Chemie. Wir liegen mit | |
unserem Projekt irgendwo in der Mitte. | |
Schließen sich Hightech und Ökologie nicht aus? | |
Für uns nicht. Wir verzichten auch auf Pflanzenschutzmittel und versuchen | |
die Nährstoffproduktion durch biologische Reststoffe zu lösen. Dennoch | |
möchten wir die Container mithilfe einer Art Steuerzentrale bedienen und | |
mit Sensoren arbeiten, um gewisse Vorgänge zu automatisieren. So verwenden | |
wir etwas, das wir Speaking-Plants-System nennen. Hier werden | |
Pflanzensignale mittels Sensorik erfasst, interpretiert und entsprechend | |
bedient. So erkennt das System, wann Pflanzen zum Beispiel Wasser, | |
Nährstoffe oder Zusatzlicht benötigen. Ich glaube nicht, dass wir mit CUBES | |
Circle die Universallösung gefunden haben, aber wir leisten einen Beitrag | |
zur nachhaltigeren Lebensmittelproduktion. Der Anbau in kleinen, flexiblen | |
Einheiten wurde im Agrarbereich lange Zeit unterschätzt. Viele | |
kleinskalierte Lösungen werden in Zukunft, glaube ich, den großen | |
Unterschied machen. | |
Viele Projekte zielen darauf ab, Proteinquellen für eine gesunde Ernährung | |
zu liefern, Stichwort: Insekten-Burger. Wie wird sich unsere Ernährung | |
verändern? | |
Wir diversifizieren unsere Nahrung, und das ist gut. In den letzten | |
Jahrzehnten haben wir im Lebensmittelbereich bereits eine große Öffnung | |
erfahren. Sushi haben vor zehn Jahren zum Beispiel nur Eingeweihte | |
gegessen. Der Gedanke, rohen Fisch zu essen, war nicht verbunden mit | |
unserer Ernährung. Mittlerweile gehören Sushi, aber auch viele andere | |
Produkte wie Superfood oder auch Insekten-Burger zur Bereicherung in | |
unserem Lebensmittelangebot. Aber nicht nur neue Produkte kommen auf den | |
Markt. Wir versuchen auch bedrohte alte Kulturarten im Gemüse-Bereich quasi | |
wiederzubeleben, einige davon aus Superfood. Alte Sorten stellen eine große | |
Ressource für die Zukunft dar. Wir arbeiten mit Hightechlösungen, aber die | |
Nachteile der Grünen Revolution, die wollen wir nicht mehr. Wir möchten weg | |
von den Monokulturen und synthetischen Agrochemikalien. | |
Wie wird CUBES Circle finanziert und was sind die nächsten Schritte? | |
Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, | |
durch Fördergelder der Industrie und auch die Humboldt-Universität zu | |
Berlin investiert, und zwar nicht zu knapp. Allein die Kosten für den | |
Aufbau der Infrastruktur, also die Hülle des Projekts, bewegen sich im | |
Millionenbereich. Wir arbeiten in Form einer Matrix mit neun Arbeitsgruppen | |
und vielen Querschnittthemen. Neben den Technischen Universitäten | |
Braunschweig und Chemnitz kooperieren an der Humboldt-Universität die | |
Institute für Psychologie, Biologie sowie Agrar- und | |
Gartenbauwissenschaften. Aber auch Ökonomen und Sozialwissenschaftler sind | |
feste Partner, unter anderem das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und | |
Binnenfischerei sowie viele weitere Partner aus der Industrie. | |
Also keine One-Man-Show, sondern ein stark interdisziplinäres Vorhaben? | |
Ja, vieles läuft dabei parallel. Wir am Institut für Agrar- und | |
Gartenbauwissenschaften entwickeln in den Gewächshäusern optimierte | |
Produktionssysteme. Außerdem evaluieren wir verschiedene | |
Umgebungs-Szenarien, in die sich unsere Container anpassen könnten, wir | |
sprechen mit unseren IT-Industriepartnern darüber, wie man | |
Software-Lösungen intelligent miteinander vernetzen kann und versuchen, die | |
Stoffströme und Steuerungsmechanismen anzupassen. Ein international | |
hochkarätiger wissenschaftlicher Beirat begleitet das Vorhaben. Neben | |
diesen ganzen Entwicklungen errichten wir gerade die Infrastruktur für die | |
Forschung, um in einem Jahr richtig durchzustarten. Ziel ist es, 2025 die | |
ersten Hightech-Container in Berlin aufzustellen und kommerziell in Betrieb | |
zu nehmen. | |
29 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Manuela Tomic | |
## TAGS | |
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Schneeschuhhase | |
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