# taz.de -- Die Wahrheit: Moher sehen und sterben | |
> Die Klippen an der Westküste der Grünen Insel gehören zu den bekanntesten | |
> Monumenten Irlands – und zu den tödlichsten … | |
In den sechziger Jahren hat sich niemand dafür interessiert. An den Cliffs | |
of Moher an der irischen Westküste grasten Kühe, die Wiesen gehörten der | |
Familie Considine. Heute sind die 155 Meter hohen und 8 Kilometer langen | |
Steilklippen nach der Guinness-Brauerei die meistbesuchte Attraktion der | |
Grünen Insel. | |
Zwar kamen auch früher schon Touristen, aber damals war es kein | |
Profitobjekt, sondern einfach nur Landschaft. Man konnte ungehindert | |
hinlaufen. Ich bin Mitte der siebziger Jahre, als ich noch keine Höhenangst | |
hatte, bäuchlings bis an den Rand gerobbt. Es gibt Fotos davon, bei deren | |
Betrachtung mir heute schwindlig wird. | |
Offenbar haben einige Deutsche damals das große Geschäft mit der Natur | |
gewittert. Deutsche erkennt man unter anderem daran, dass sie den Namen der | |
Cliffs „Mohair“ aussprechen – wie die Wolle der Angoraziege. | |
Eberhard Kemper war ein Textilfabrikant aus Gelsenkirchen und besaß eine | |
Fabrik in Drogheda an der irischen Ostküste, wo die Uniformen für die | |
irische Fluglinie Aer Lingus hergestellt wurden. Auch die Firma Liebherr, | |
die seit 1958 eine Zweigstelle sowie ein paar Hotels im südwestirischen | |
Killarney betreibt, war hinter Considines Wiesen her. | |
Die Lokalzeitung Clare Champion monierte: „Tausende Iren sind im Kampf | |
gestorben, weil sie das Land von den britischen Besatzern befreien wollten. | |
Es wäre eine nationale Tragödie, wenn die Ideale, für die sie gekämpft | |
haben, in Vergessenheit gerieten.“ | |
Joe Boland von der Grafschaftsverwaltung fand das auch. Er wollte nicht, | |
dass das Land an „Aliens“ ging, wie alle Nichtiren damals hießen. Ich | |
besitze noch einen „Aliens-Pass“, eine Art Aufenthaltsgenehmigung als | |
Vorläufer für meinen irischen Pass. Boland kaufte nur vier Prozent der | |
Wiesen im Auftrag der Verwaltung – aber es waren die entscheidenden | |
Grundstücke direkt an den Klippen. Damit war das Land für Investoren | |
wertlos. | |
Boland bezahlte tausend Pfund. Das entspricht nach heutigem Stand 13.500 | |
Euro – ein Schnäppchen. Inzwischen gibt es ein Besucherzentrum, ein Café, | |
einen Parkplatz und vor allem ein Kassenhäuschen, an dem jedes Jahr rund | |
1,3 Millionen Menschen Eintritt zahlen. | |
Nicht alle kommen wegen der Landschaft, einige springen freiwillig in den | |
Tod. Andere wiederum fallen hinunter, weil sie aus Leichtsinn unachtsam | |
waren. Jeden Monat gibt es hier einen Toten. | |
Manche sind aber bereits tot, wenn sie den Abgang von den Klippen machen. | |
Dusty Springfield zum Beispiel. Nachdem die englische Sängerin 1999 | |
gestorben war, wurde ein Teil ihrer Asche von den Cliffs ins Meer gestreut. | |
Es dauerte nicht lange, da wurde sie wiedergeboren, und zwar als Delfin, | |
behaupten ihre Fans. Sie tauften das Tier, das erstaunlich zahm in der | |
Bucht von Galway herumdümpelt, natürlich Dusty. Ein törichter Name für | |
einen nassen Meeressäuger. | |
18 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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