# taz.de -- Britisches Parlament streitet über Brexit: Die Woche der Entscheid… | |
> Folgt das Parlament dem Brexit-Deal? Welche Rolle spielt Larry, der Kater | |
> von Premierministerin May? Eine Rückschau auf die Woche. | |
Bild: Theresa May bedächtig in der Kirche – ganz ohne Streit und widerspenst… | |
Montag, 11. März | |
Das politische London rüstet für die entscheidende Brexit-Woche. Drei | |
Grundsatzentscheidungen stehen an: Theresa Mays Brexit-Deal am Dienstag, | |
No-deal am Mittwoch, Brexit-Verschiebung am Donnerstag. Alles ist in der | |
Luft. Hält der Zeitplan? Hält der Brexit? Hält May? Keine Spekulation ist | |
zu abenteuerlich. | |
Montagmittag: Das Büro der Premierministerin bestätigt: die Abstimmung am | |
Dienstag wird stattfinden. Ihr Inhalt wird noch bekanntgeben. Das nährt | |
Spekulationen. | |
Oppositionschef Jeremy Corbyn stellt im Parlament eine Dringlichkeitsfrage | |
an die Premierministerin: sie soll sagen, was los ist. | |
Montag früher Nachmittag: Theresa May geht nicht ins Parlament, sondern in | |
die Westminster Abbey direkt gegenüber. Dort liest sie beim feierlichen | |
Gottesdienst zum Commonwealth Day aus dem Korintherbrief der Bibel: „Auf | |
dass nicht eine Spaltung im Leibe sei, sondern die Glieder füreinander | |
gleich sorgen.“ Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind rein zufällig. | |
Montagnachmittag: Ein Staatssekretär antwortet im Parlament an Mays Stelle: | |
es wird am Dienstag abgestimmt, die Abgeordneten werden rechtzeitig | |
informiert. Theresa May steigt ins Auto und fährt zur Flugbereitschaft | |
Northolt. Ziel: Strassburg. | |
Montagabend: In Strassburg wird verhandelt. In London wird getuschelt. Ein | |
AFP-Korrespondent startet einen 144-teiligen Twitter-Thread mit der | |
Nachricht: „Laut Quellen wird es was Neues geben, aber es wird dem Alten | |
ziemlich ähnlich sein.“ Nach Tweet Eins hört er wieder auf. | |
Montagnacht: In Strassburg treten Theresa May und Jean-Claude Juncker vor | |
die Presse und vermelden eine Einigung. Dem Brexit-Vertragstext werden drei | |
rechtlich bindende Zusatzprotokolle beigefügt. Die regeln die Überwindung | |
des ungeliebten Nordirland-Backstops und bekräftigen Großbritanniens | |
Möglichkeiten im Konfliktfall mit der EU. Es hat sich was bewegt. | |
## Dienstag, 12. März | |
Großes Rätselraten in London. Durchbruch oder Bluff? Ist der Deal gerettet? | |
Niemand weiß es. | |
Dienstag später Vormittag: Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox veröffentlicht | |
sein Rechtsgutachten zum neuen Deal. Darin steht als letzer Satz: Das | |
rechtliche Risiko, dass Großbritannien auf ewig im Nordirland-Backstop und | |
damit in der EU-Zollunion gefangen bleibt, sei „unverändert“. | |
Dieser eine Satz zerschlägt Mays Hoffnungen. „Game Over“, twittert | |
Brexit-Experte Tim Shipman von der Sunday Times. Larry, der Hauskater von | |
10 Downing Street, ätzt auf seinem Twitterkonto: „Theresa Mays Plan, um | |
ihren Deal durchzubringen, ist, den Leuten nicht genug Zeit zu geben, ihn | |
zu lesen.“ Dienstag Mittag: Cox spricht vor dem Parlament. Er ist laut und | |
leutselig und eigentlich für den Deal. Die Zusatzprotokolle brächten | |
„substantielle und verbindliche“ Verbesserungen. | |
Rechtliche Risiken blieben natürlich, sagt der Spitzenjurist spitzindig, | |
aber ihr Eintreten sei jetzt „extrem unwahrscheinlich“. Ein Abgeordneter | |
erinnert den Generalstaatsanwalt an gemeinsame Zeiten als junge Anwälte: | |
gefragt, ob er jemals Generalstaatsanwalt werden würde, habe Cox damals | |
auch gesagt, das sei „extrem unwahrscheinlich“. Alle lachen. Cox auch. | |
Dienstagnachmittag: Laut einer neuen Meinungsumfrage wären bei einer | |
Ablehnung des Deals 37 Prozent der Befragten für einen pünktlichen | |
No-Deal-Brexit. 33 Prozent wollen ein zweites Referendum, nur 17 Prozent | |
eine Verschiebung. Vor diesem Hintergrund eröffnet Theresa May im Unterhaus | |
die große Brexit-Debatte. Sie ist heiser. Sie bemüht sich. Nach zwei Seiten | |
Text kann sie kaum noch sprechen. | |
Dienstag später Nachmittag: Die Brexit-Debatte plätschert lustlos vor sich | |
hin. Boris Johnson, einstiger Brexit-Star, sitzt mit Kurzhaarschnitt hinten | |
rechts und will seriös sein. Er vergleicht Generalstatsanwalt Cox und | |
Premierministerin May mit Adam und Eva, die nicht merken, dass sie nackt | |
sind. „Sie haben sich eine Feigenblattschürze geschneidert, die nicht dazu | |
geeignet ist, die Scham und die Schande des Vereinigten Königreichs zu | |
bedecken“, sagt er. | |
Niemand lacht. Die Bänke sind fast leer. Die eigentlichen Debatten unter | |
den Konservativen finden draußen auf den Fluren statt: Wir werden | |
verlieren, was dann? Agrarminister Michael Gove verteilt Polo-Minzbonbons, | |
falls Mays Heiserkeit ansteckend ist. | |
Dienstagabend: Der Brexit-Deal fällt durch, mit einer gigantischen Mehrheit | |
von 391 zu 242 Stimmen. Das ist besser als die 432 gegen 202 Stimmen vom | |
Januar, aber es bleibt für May ein Debakel. | |
Dienstag später Abend: „In dieser Zeit tiefer Verunsicherung biete ich an, | |
die Brexit-Verhandlungen zu übernehmen“, lästert auf Twitter Kater Larry. | |
Seine Chefin May bestätigt: Morgen entscheidet das Parlament, [1][ob es | |
einen No-Deal-Brexit will] oder nicht. Sie legt den entsprechenden | |
Regierungsantrag vor. Darin steht nicht nur, dass das [2][Parlament einen | |
No-Deal-Brexit ablehnt] – sondern auch das Gegenteil, nämlich dass ohne | |
einen Deal trotzdem am 29. März ein No-Deal-Brexit eintritt. | |
## Mittwoch, 13. März | |
Die Regierung veröffentlicht auf über 1100 Seiten ihre No-Deal-Planungen | |
für Außenhandel und Nordirland. Die Zollfreiheit für EU-Waren wird fast | |
weltweit ausgeweitet – ein deutlicher Schritt Richtung Freihandel, der | |
Europa vor den Kopf stößt. Die nordirische Grenze bleibt offen. | |
Mittwochmittag: „Question Time“ beginnt, der wöchentliche Schlagabtausch | |
zwischen Regierungschefin und Oppositionschef. Theresa May ist immer noch | |
heiser. Sie krächzt vor sich hin. Jeremy Corbyn brüllt. Statt May mit | |
präzisen Nachfragen unter Druck zu setzen, verliert er sich in lautstarken | |
wolkigen Ausführungen. May schlägt zu. „Ich habe vielleicht meine Stimme | |
nicht, aber ich verstehe die Stimme des Landes“, blafft sie. Die Kammer | |
jubelt. | |
Mittwoch früher Nachmittag: Finanzminister Philip Hammond gibt im Unterhaus | |
seinen Halbjahresbericht zur Wirtschaftslage der Nation. Normalerweise ist | |
das eine Sternstunde im Parlamentskalender, diesmal schrumpft es zum | |
Pausenfüller. Aber die Wirtschaftsdaten sind gut, Hammond verspricht eine | |
Brexit-Dividende. Eine neue Meinungsumfrage gibt den Konservativen zehn | |
Punkte Vorsprung vor der Labour-Opposition, 41 zu 31 Prozent. | |
Mittwoch später Nachmittag: Die konservative Abgeordnete Caroline Spelman | |
will ihren Änderungsantrag zurückziehen, der aus dem Regierungsantrag gegen | |
No-Deal den Halbsatz streicht, wonach es in Abwesenheit eines Deals | |
trotzdem No-Deal gibt. Parlamentspräsident John Bercow erlaubt ihr das | |
nicht. Mittwoch früher Abend. Mit 312 zu 308 geht der Spelman-Antrag durch. | |
Damit ist aus dem Regierungsantrag der Teil gestrichen, der No-Deal auf dem | |
Tisch hält. May ist wütend. Sie wird jetzt dagegen stimmen und verfügt | |
entsprechend Fraktionszwang. | |
Mittwochabend: Der amputierte Regierungsantrag geht durch. Damit hat die | |
Regierung verloren, obwohl es ursprünglich ihr eigener Antrag war. Auch die | |
Premierministerin hat Nein dagegen gestimmt. Manche Minister stimmen mit Ja | |
oder enthalten sich, darunter hochrangige. Sie haben den Fraktionszwang | |
ignoriert und müssten automatisch ihre Jobs verlieren. Aber niemand wird | |
gefeuert. Nur zwei Staatssekretäre treten freiwillig ab. | |
Mittwoch später Abend: Premierministerin Theresa May bestätigt: Morgen gibt | |
es ein Votum über eine Verschiebung des Brexit. Der Antrag wird vorgelegt. | |
Darin steht, dass Großbritannien bei der EU eine Verschiebung des Brexit um | |
drei Monate beantragt, sofern das Parlament vorher Mays Brexit-Deal | |
zugestimmt hat, spätestens am 20. März. Der totgeglaubte Deal ist plötzlich | |
wieder lebendig. Wie geht das denn? | |
## Donnerstag, 14. März | |
Das Chaos vom Vorabend ist in aller Munde. Das einflussreiche konservaive | |
Wochenmagazin „The Spectator“ titelt in seiner neuen Ausgabe „Brexit | |
Meltdown“. Helle Aufregung: Wozu Fraktionsdiziplin, wenn Kabinettsminister | |
sie ungestraft brechen können? Ist May schon längst entmachtet? | |
Donnerstagnachmittag: Theresa May ist immer noch heiser. An ihrer Stelle | |
bringt Kabinettsminister David Lidington den Regierungsantrag zur | |
Brexit-Verschiebung ein. Nur wenige Abgeordnete machen sich die Mühe, zu | |
erscheinen. | |
Donnerstag später Nachmittag: Die Abgeordneten stimmen ausnahmsweise | |
komplett im Sinne der Regierung ab. Aber alles ist seltsam. Ein | |
Labour-Hinterbänklerantrag, wonach die Abgeordneten eigenmächtig über das | |
weitere Vorgehen befinden dürfen, scheitert mit 314 gegen 312 Stimmen, weil | |
wieder Caroline Spelman zu den Sponsoren gehört, aber Nein statt Ja stimmt. | |
Ein Antrag für ein zweites Brexit-Referendum fällt krachend durch – 335 | |
Gegenstimmen, mehr als die Hälfte aller Abgeordneten, und nur 85 dafür, | |
weil Labour sich enthält. Der Verschiebungsantrag der Regierung passiert | |
mit Zweidrittelmehrheit, aber es stimmen mehr Konservative dagegen als | |
dafür – darunter Brexit-Minister Stephen Barclay, der in der Debatte den | |
Schlussvortrag für den Antrag gehalten hatte. | |
Donnerstagabend: Nach den Abstimmungen ist das Unterhaus vollgepackt. | |
Jeremy Corbyn stellt sich hin und bekräftigt, er sei doch für ein zweites | |
Referendum. Die Kammer tobt vor Lachen. Zwei Labour-Amtsträger in der | |
Fraktion treten zurück. | |
Donnerstag später Abend: Wie geht es weiter: wann ist denn nun die dritte | |
Deal-Abstimmung? Was wird wann bei der EU beantragt? Niemand weiß etwas. | |
Liberaldemokratenchef Vince Cable, der eigentlich wichtigste Brexit-Gegner | |
im Parlament, für den sich die ganze Woche kein Mensch interessiert hat, | |
verkündet seinen Rücktritt. Theresa May ist immer noch heiser. „Ich habe | |
momentan mehr Autorität als die Premierministerin“, twittert Larry, der | |
Kater. Später fügt er hinzu: „Das ‚momentan‘ ist wohl überflüssig.“ | |
15 Mar 2019 | |
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Dominic Johnson | |
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abgestimmt. |