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# taz.de -- Kommentar Kindesmissbrauch in der DDR: Traumata bis in die Gegenwart
> Ein Staat, der seine Bürger*innen bis unter die Bettdecke bespitzelte,
> will von sexuellem Missbrauch nichts gewusst haben. Und es geht noch
> absurder.
Bild: Der ehemalige Jugendwerkhof Torgau gilt als eines der schlimmsten Folterh…
Was nicht sein durfte, das gab es in der DDR nicht: keine Kriminalität,
keine Morde, keine sexuelle Gewalt. So die offizielle Diktion der einstigen
DDR-Politik. Real sah es anders aus: Raub, Totschlag, Morde gab es
selbstredend. Ebenso massenhaft sexuelle Gewalt, vor allem an Kindern und
Jugendlichen. Doch im Gegensatz zu den anderen „menschlichen Verfehlungen“
wurde über sexuellen Kindesmissbrauch in der DDR vehement geschwiegen.
Viele Opfer können bis heute nicht darüber reden, so heftig sind sie
traumatisiert. Die Tabuisierung des Themas hielt länger und stärker an als
in der Bundesrepublik, wie eine [1][aktuelle Studie] der Kommission zur
Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs zeigt.
Das Schweigen und Verschweigen hatte System: Die „allseits gebildete
sozialistische Persönlichkeit“ war höchstes politisches Erziehungsziel, die
„heile Familie“ heiliges Gut in einer vermeintlich konfliktfreien
Gesellschaft. Sexuelle Gewalt an Kindern durch Eltern, ErzieherInnen,
HeimmitarbeiterInnen kam in diesem System nicht vor, durfte nicht
vorkommen.
Es galt das unumstößliche Verhaltensgesetz: Alles, was zu Hause passiert,
hat draußen niemand zu erfahren. Anderenfalls drohten Sanktionen – sowohl
zu Hause als auch seitens der Gesellschaft. Perfider kann man einen
Missstand und ein enormes Machtgefälle nicht verleugnen. Absurder kann es
kaum werden: Ein Staat, der seine Menschen bis unter die Bettdecke
bespitzelt, will von sexuellem Missbrauch, von Gewalt in den Familien und
in staatlichen Einrichtungen nichts gewusst haben?
## Torgau, das Guantánamo für Kinder
Doch, doch, es geht noch absurder: Kinder und Jugendliche, die infolge von
physischer und psychischer Gewalt „Verhaltensauffälligkeiten“ zeigten,
wurden vielfach aus den Familien herausgenommen und in Heime gesteckt – und
dort häufig noch übler missbraucht. Wagten sie zu erzählen, was sie dort
erlebten, hörten sie solche Sätze: „Die kommt aus einer asozialen Familie,
die lügt doch sowieso.“
So etwas ist wohl nur in einer weitgehend geschlossenen Gesellschaft, wie
die DDR eine war, möglich. Kinder und Jugendliche wurden für grausame Taten
an ihnen selbst – begangen von Müttern, Vätern, Staatsangestellten –
zusätzlich bestraft. In der Regel mit „lebenslänglich“, wie sie selbst
sagen. Unabhängig davon, dass viele von ihnen bis heute nicht über die
sexuelle Gewalt reden können – so stark prägt das Tabu sie als Opfer –,
leiden sie an Traumata, körperlichen Schäden, sozialer Isolation.
Manche widerspenstige Opfer landeten in Jugendwerkhöfen, die „verwahrloste“
Kinder und Jugendliche „zurückführen sollten in den Schoß der
Gesellschaft“. Die Heime waren wie Burgen, zu denen Unberechtigte keinen
Zutritt hatten, die Insassen waren häufig als „kriminelle Elemente“
stigmatisiert.
Die dennoch aus den Werkhöfen nach außen dringenden Grausamkeiten lösten so
heftigen Schrecken aus, dass allein das Nennen von Ortsnamen wie
[2][Torgau], wo sich das wohl schrecklichste dieser Folterheime befand, für
Unruhe sorgte. Torgau, das war das Guantánamo für Kinder und Jugendliche in
der DDR. Die Opfer haben jede Offenheit und Entschädigung verdient. Die
neue Studie kann ein Anfang sein.
6 Mar 2019
## LINKS
[1] /Studie-ueber-Kindesmissbrauch-in-der-DDR/!5578716
[2] /Buch-ueber-Erziehung-in-der-DDR/!5042472
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
sexueller Missbrauch
DDR
Studie
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